Читать книгу Momente des Erkennens - Emma zur Nieden - Страница 5
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Die Lehrerkonferenz fand am Ende der Ferien statt. Unter dem Tagesordnungspunkt Verschiedenes wurden die beiden neuen Kolleginnen vorgestellt.
Die Schulleiterin wandte sich an Stefanie. „Ich darf ganz herzlich unseren zweiten Neuzugang begrüßen“, begann sie. „Stefanie Lehberg unterrichtet in den Fächern Deutsch und Sport. Sie übernimmt die 5e als Klassenlehrerin. Wir begrüßen Sie aufs herzlichste und wünschen Ihnen, dass Sie sich binnen kurzem bei uns zurecht finden.“
Die gesamte Lehrerschaft empfing Stefanie durch anhaltendes Klopfen auf den Tischen, was sie mit Kopfnicken und Lächeln quittierte.
Nach dem Ende der Konferenz fanden sich alle Kolleginnen und Kollegen an einem Büffet ein, für das jeder von ihnen einen kleinen Beitrag in Form von Salat, Brot, Butter oder Ähnlichem geleistet hatte. Stefanie wurde sofort in Gespräche verwickelt, weil die übrigen Lehrerinnen der 5e wissen wollten, mit wem sie es demnächst als Klassenlehrerin zu tun hatten. Auf diese Weise konnte Stefanie die Lehrerinnen kennenlernen, die ebenfalls in ihrer Klasse unterrichteten. Die Kolleginnen erklärten ihr außerdem, wie der Schulbeginn für die neuen Fünftklässler ablaufen würde, so dass eine von Stefanies dringendsten Fragen bald geklärt war. Plötzlich war es still um sie, und die Kolleginnen, die sich zuvor um Stefanie gedrängt hatten, waren auf einen Schlag verschwunden, um weitere wichtige Gespräche zum Schuljahresanfang zu führen und Antworten auf ungeklärte Fragen zu bekommen.
Plötzlich sah Stefanie sich einem anderen Gesicht aus dem Kollegium gegenüber, das ihr vage bekannt vorkam.
„Hannah Mangold“, stellte sich die Kollegin vor und reichte Stefanie die Hand. Sie ergriff sie und spürte, wie sie sich warm um ihre eigene legte. „Ich glaube, wir kennen uns.“
Ein weicher, strahlend blauer Blick hielt das Blau von Stefanies Augen gefangen. Ihr Blau harmonierte perfekt mit ihren halblangen, dunkelblonden Haaren. Die Kollegin ließ Stefanies Hand nicht wieder los.
Während die Wärme der anderen Hand an ihrem Arm hochkroch, blitzte in Stefanie ein Moment des Erkennens auf. Als hätte ihr jemand mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen, wurde ihr klar, wer die Kollegin war, die vor ihr stand.
„Du bist meine ehemalige Sportlehrerin“, rief sie, und ein Lächeln breitete sich von einem Ohr zum anderen aus. Hannah gab ihre Hand viel zu spät frei.
Hannah Mangold nickte. „Mensch Hannah!“, kam es aus Stefanies Richtung, bevor sie Hannah in die Arme fiel und sie herzlich umarmte, als wolle sie sie ewig festhalten. „Das ist ja eine tolle Überraschung. Ich dachte, du würdest nie von unserer alten Schule weggehen.“
„Wäre ich unter Garantie auch nicht, wenn der Schulleiter sich intensiver bemüht hätte.“
Stefanie löste die Umarmung und trat einen Schritt zurück. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass eine Gruppe von Kolleginnen neugierig beäugte, was da gerade vor sich ging. Sie würden es früh genug erfahren. Aber Stefanie musste zunächst die substanziellen Neuigkeiten mit Hannah austauschen und schenkte den neugierigen Augen keine Beachtung mehr.
„Ich habe natürlich ein bisschen auf der Homepage der Schule gesurft und eine Hannah Mangold in der Kollegiumsliste gesehen. Ich kenne dich als Hannah Auer und bin echt von den Socken, dass du es bist und ich dich an diesem Gymnasium treffe.“ Stefanie strahlte über das ganze Gesicht.
„Und ich erst.“ Hanna grinste breit und lieferte prompt die Erklärung für ihre Namensänderung: „Ich habe mich vor sieben Jahren von Helmut scheiden lassen und meinen Mädchennamen wieder angenommen.“
Die beiden Frauen umarmten sich abermals und erregten erneut die Aufmerksamkeit der umstehenden Kolleginnen.
„Ich bin total aus dem Häuschen, dich wiederzusehen“, begeisterte sich Hannah nach der Umarmung. „Oftmals habe ich darüber nachgedacht, was aus euch allen wohl geworden sein mag.“
Bevor Stefanie antworten konnte, war eine Kollegin näher getreten und fragte neugierig: „Sie kennen sich anscheinend?“
„Ja“, erwiderten beide im Chor und lachten. Hannah erklärte: „Sie war auf dem Bertolt-Brecht-Gymnasium eine meiner Schülerinnen. Ich war neu an der Schule und sollte direkt die Volleyball-AG übernehmen.“
„Volleyball ist eine Ihrer Paradedisziplinen als Diplomsportlehrerin“, warf eine ältere Kollegin ein, die zu dem kleinen Grüppchen getreten war, um zu erfahren, was es mit der innigen Umarmung einer Kollegin mit einer Neuen auf sich hatte. Sie betonte herablassend Hannahs Berufsbezeichnung.
Stefanie rollte mit den Augen. Sie kannte die Ressentiments der Kolleginnen gegenüber Sportlehrerinnen mit Diplom, die oftmals nicht als vollwertige Kolleginnen betrachtet wurden, weil sie ausschließlich Sport unterrichteten. Sport galt ohnehin als Nebenfach und war das Fach, das permanent um eine angemessene Stundenzahl in jeder Jahrgangsstufe kämpfen musste. Wenn es um die Umverteilung von Unterrichtsstunden ging, wurde häufig zuerst am Sportunterricht gespart. Und wer kein „richtiges“ Unterrichtsfach lehrte, war schlechter angesehen als zum Beispiel die Kolleginnen mit den Hauptfächern. Das war vergleichbar mit der Schule gewesen, an der Stefanie ihr Abitur gemacht hatte. Und daran hatte sich in den vergangenen Jahren nichts geändert, wie sie im Referendardienst bereits mitbekommen hatte.
„Das war damals der Grund, aus dem mir die Verantwortung für die Volleyballmannschaft übertragen wurde“, ergänzte Hannah die Feststellung ihrer Kollegin.
„Du hast immerhin in der Bundesliga gespielt“, erklärte Stefanie mit einem gewissen Stolz in der Stimme. „Wir haben dich alle bewundert und waren total begeistert, dass du uns als Mannschaft bei den Stadtmeisterschaften gemeldet und trainiert hast.“
Hannah nickte. „Und ihr habt alle meine Erwartungen übertroffen und seid nicht nur Stadtmeister geworden, sondern auch Nordrheinmeister“, schwelgte Hannah in alten Erinnerungen, während ihr Blick in die Ferne schweifte, als wolle sie diese angenehmen Bilder vor ihrem geistigen Auge hervorrufen.
„Das war toll. Du warst eine klasse Trainerin“, begeisterte sich Stefanie. „Und am Ende sind wir in Berlin Dritte geworden. Niemand aus deinem Kollegium damals hat diese großartige Leistung gewürdigt.“
Stefanie sah herausfordernd zu den beiden Kolleginnen hinüber, die Hannahs Position kritisch bewertet hatten und es offenbar nicht gern sahen, wenn Kolleginnen sich überschwänglich umarmten. Und schon gar nicht, dass eine „Neue“ umgehend in den Kreis der etablierten Kolleginnen aufgenommen wurde. Die beiden älteren Kolleginnen wichen pikiert Stefanies Blicken aus.
„Und Sie haben Ihre Schülerinnen geduzt“, unterstrich die Ältere eindeutig abfällig und feindselig.
„Das kann ich durchaus bestätigen“, antwortete Hannah. „Ich habe den Schülerinnen nach dem Abitur das Du angeboten. Ich hatte nicht den Eindruck, als seien sie altersmäßig weit von mir entfernt gewesen.“
„Du warst keine dreißig“, konstatierte Stefanie.
Hannah nickte.
Die beiden Kolleginnen rümpften die Nase, als wollten sie sagen: Und das haben Sie nun davon. Sie müssen die Neue duzen.
Es war Stefanie schon bei ihren beiden Besuchen an ihrer neuen Schule aufgefallen, dass Duzen nicht zum allgemeinen Umgang miteinander gehörte. Die meisten Kolleginnen und Kollegen siezten sich. Die Älteren benutzten zwar die vertrautere Anrede untereinander, vermieden jedoch das Du mit den jüngeren Kolleginnen. Die schienen durchweg die persönlichere Anrede zu verwenden. Insgesamt kam Stefanie die Atmosphäre allerdings steif vor. Von ihrer Ausbildung her war sie einen deutlich lockereren Umgangston gewohnt. An ihrer neuen Schule würde sie bald Gleichgesinnte finden, dessen war sie sicher. Eine war ihr bereits begegnet. Eine große Freude breitete sich in Stefanie über das Wiedersehen mit Hannah aus.