Читать книгу Momente des Erkennens - Emma zur Nieden - Страница 8

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„Gerda!“ Stefanie umarmte ihre zukünftige Schwiegermutter. „Ich wünsche dir alles, alles Gute zu deinem runden Geburtstag.“

„Lieb von dir, Stefanie!“, bedankte sich die Jubilarin. „Und ich finde es fabelhaft, dass ihr das ganze Wochenende bleibt. Ich weiß doch, mit welchem Missvergnügen du auf solch großen Festivitäten bist, Stefanie. Ich weiß es zu schätzen, dass du mitgekommen bist.“ Gerda zwinkerte Stefanie aufmunternd zu und übergab sie an Kurt, ihren Mann.

„Stefanie, wie nett, dich zu sehen. Und wunderbar, euch das Wochenende über bei uns zu haben.“

Kurt umarmte Stefanie und mit Blick auf seine Tochter sagte er: „Wir freuen uns außerordentlich, dass du sie dieses Mal mitgebracht hast.“ Er spielte auf seinen letzten Geburtstag an, bei dem Stefanie nicht dabei gewesen war.

„Vati!“ Ruth rollte mit den Augen. „Wie du weißt, hat Stefanie sich auf ihre Prüfung vorbereitet. Und der Einsatz hat sich gelohnt. Sie hat als Beste abgeschlossen.“ Ruth legte ihrer Freundin den Arm um die Schultern. Stolz darüber schwang in ihrer Stimme mit, dass ihre Partnerin die Ausbildung ernst genommen und sich gewissenhaft auf ihr zweites Staatsexamen vorbereitet hatte, dass sie tatsächlich Beste geworden war.

„Ich weiß, Ruth.“ Kurt zwinkerte Stefanie zu. „Wir sind alle sehr stolz auf dich, Stefanie.“ Kurt warf seiner Tochter einen missbilligenden Blick zu. Es war nicht gern gesehen, wenn sie die Liebe zu ihrer Beinahe-Frau vor aller Augen zur Schau stellte. Ruth ignorierte die unausgesprochene Rüge.

Nach der Begrüßung, die bei den Sondermanns trotz der Umarmungen stets steif ausfiel, konnten Stefanie und Ruth zum gemütlichen Teil der Feier übergehen. Was hier so gemütlich genannt wurde: Festgarderobe war erwünscht, wenn die Familie Sondermann zu welch einem Anlass auch immer einlud.

Ruths Eltern feierten ihre Geburtstage ohne Ausnahme zu Hause. Die Villa hatte einen riesengroßen Garten. Im Sommer wurden die Feiern bei diesem warmen Wetter ausnahmslos in dem äußerst großzügigen Teil des Anwesens begangen. Stehtische waren neben bequemen Sitzgarnituren aufgestellt. Über sechzig Gäste bevölkerten den Garten, die mit Getränken aller Art und kleinen Snacks verwöhnt wurden. Wie nicht anders zu erwarten, bewegten sich gut gekleidete Kellnerinnen und Kellner perfekt zwischen den Eingeladenen, um sie mit kleinen Leckereien zu versorgen.

Ruth und Stefanie gesellten sich zu einem der Stehtische, an dem Ruths Bruder Simon mit seiner Frau und gefüllten Sektgläsern auf sie warteten.

„Hallo, Schwesterchen!“, begrüßte Simon seine „kleine“ Schwester mit einer Umarmung, die nicht bloß angedeutet war wie vorhin bei den Eltern. Ruth war genauso groß wie ihr Bruder, allerdings etwas älter. „Gestern deiner Lieblingsbeschäftigung nachgegangen und Studierende geärgert?“

„Wie du weißt, sind Semesterferien. Da ärgere ich keine Studenten.“ Ruth schenkte ihrem Bruder einen hochnäsigen Augenaufschlag.

„Du ärgerst lediglich die männliche Spezies?“, präzisierte Simon, der wusste, dass seine Schwester auf die Benutzung des korrekten Genus achtete und möglichst eine neutrale Variante bevorzugte.

„So ist es!“, bekam er überheblich zur Antwort, nicht ohne ein freches Grinsen von seiner Schwester zu ernten.

„Und du, liebe Stefanie“, Simon küsste seine Schwägerin in spe auf beide Wangen, „ärgerst fortan die Jugend der Welt?“

„Nicht gerade der Welt.“ Stefanie umarmte Simon und seine Frau Sonja. „Und ärgern ist nicht die angemessene Wortwahl. Ich bin guter Dinge, dass sie von mir lernen können.“

Stefanie und Simon grinsten sich an, denn sie frotzelten ausgiebig miteinander, wenn sie aufeinandertrafen. Und jedes Mal war die Flachserei liebevoll gemeint: Simon mochte Stefanie. Er hatte ihr einmal erzählt, dass sie eine der wenigen Frauen an der Seite seiner Schwester war, die es länger als acht Wochen bei ihr aushielt – immerhin schon drei Jahre. Irgendwann hatte Stefanie außerdem ein Gespräch zwischen ihm und Sonja mitbekommen, in der er gezweifelt hatte, dass Ruth eine Frau zum Heiraten war. Er kannte seine Schwester und wusste, dass sie dauernd neue Herausforderungen brauchte – frauentechnischer Art zumindest. Stefanie wusste Ruth zu nehmen. Aus Simons Sicht würde es seiner Schwester nämlich ausgezeichnet stehen, bodenständig zu werden – frauentechnisch gesehen. Sonja hatte ihm uneingeschränkt zugestimmt.

Der Abend bei den Sondermanns wurde nett, obwohl exklusive Gäste eingeladen waren: Vom Oberbürgermeister über den Stadtrat bis zum Oberregierungsrat war alles vertreten, was Rang und Namen hatte. Stefanie und Ruth verbrachten die gesamte Zeit mit Simon und Sonja. Die übrigen Gäste blieben gleichermaßen unter sich. Zu Beginn ihrer Beziehung zu Ruth hatte Stefanie das befremdlich gefunden – auf den Feiern, auf denen sie sich üblicherweise tummelte, unterhielt sich jede mit jedem –, bis sie auf einem dieser Feste ein äußerst unangenehmes Gespräch mit einem Leitenden Regierungsschuldirektor im Haus ihrer Schwiegereltern geführt hatte, schätzte sie die Tatsache, dass man am liebsten unter seinesgleichen blieb.

Ruth hatte während des Abends mehrmals mit Stefanie getanzt: Walzer zuerst, als nächstes einen Foxtrott und am Ende sogar Tango.

„Du wirst immer besser!“, hatte Ruth während einer dieser Tänze gelobt und ihr einen Kuss auf den Mund gedrückt – das quittierten Ruths Eltern stets mit einem Stirnrunzeln und einem bösen Blick. Es war Ruths Art, sich zumindest ein bisschen gegen die Gepflogenheiten ihrer alten Herrschaften aufzulehnen, wenn sie sie sonst auch verinnerlicht hatte. Stefanie wunderte sich, dass Ruths Eltern ihre lesbische Tochter in dieser edlen Gesellschaft überhaupt akzeptierten und dass sie Stefanie in ihr Herz geschlossen hatten, auf die ihnen eigene, distanzierte Art.

Ruth und Stefanie passten sich den Gegebenheiten an. Stefanie hatte zumindest Tanzen gelernt, widerwillig zwar, weil Ruth gemeint hatte, es sei üblich in den Kreisen, in denen sie verkehrte. Stefanie hatte mit Ruth erbitterte Diskussionen darüber geführt, dass sie keinesfalls gewillt sei, sich einer Etikette zu beugen, die sie nicht guthieß. Letztlich hatte sie sich gefügt, einer der unzähligen Kompromisse, die sie eingegangen war, um ihre Beziehung mit Ruth nicht zu gefährden. Inzwischen genoss sie während solcher Gelegenheiten die zärtlichen Berührungen der Geliebten in aller Öffentlichkeit, die ohne das Tanzen überhaupt nicht möglich wären. Vor sechs Wochen hatten Ruth und Stefanie einen Tangokurs begonnen. Das war ein Tanz, den zu tanzen Stefanie mächtig Spaß machte. Ruth führte fantastisch. Stefanie fand, ein Tango sei Erotik pur, und das vor Publikum. Manchmal verwunderte Stefanie es, dass auf diesen Feiern wie etwa zu Gerdas Geburtstag ein derart freizügiger Tanz wie der Tango überhaupt gespielt wurde.

Als Stefanie und Ruth um drei Uhr in der Nacht in ihrem Zimmer waren, lag Ruth nackt im Bett. „Ich will dich im Bett!“, forderte sie mit nicht mehr ganz klarer Stimme. „Was treibst du die ganze Zeit im Bad?“

„Die abendliche Toilette“, murmelte Stefanie undeutlich, weil sie mit einer Zahnbürste über die Zähne wienerte.

„Du putzt seit Stunden die Zähne. Sie sind längst sauber.“ Ruths Stimme klang ungeduldig. „Ich habe mir extra den Nachtisch verkniffen, weil du mein Dessert sein sollst. Komm endlich.“

Stefanie kam ohne die Zahnbürste aus dem Bad. „Du willst nicht etwa nachts um drei …?“ Stefanie sprach den Satz nicht zu Ende und sah stattdessen in Ruths liebeshungrige Augen, in denen ein Verlangen lauerte, das Stefanie selten darin gesehen hatte.

Sie fragte sich, was der Grund dafür war, dass es sich ausgerechnet im Haus ihrer Eltern zeigte. Der Alkohol hatte des Öfteren dafür gesorgt, dass Ruth anzüglich und offensiv wurde. Möglicherweise spielte die Tatsache eine Rolle, dass Ruth nach ihrer Lesart etwas Ungehöriges, gar Verbotenes tat, wenn sie mit Stefanie im Haus ihrer Eltern schlief, und sie es in deren Betten trieben. Die würden das keinesfalls billigen, wenn sie es wüssten. Stefanie wusste, dass Ruth Situationen solcherart anregten, während sie selbst sie eher abtörnend fand. Sie würde sich auf das einlassen müssen, was Ruth vorhatte, wenn sie sie nicht verärgern wollte. Außerdem hatte Ruth mengenweise Alkohol getrunken. Sie würde nicht sehr angenehm aus dem Mund riechen, obwohl sie sich die Zähne geputzt hatte. Das war ein Umstand, den Stefanie nicht gerade aufregend fand.

Stefanie schlug die Bettdecke auf und krabbelte in ihr Bett.

Unverzüglich lag Ruth auf ihr. „Ich liebe es, wenn ich das Dessert erst noch auspacken muss“, flüsterte sie Stefanie ins Ohr, leckte an ihrem Hals entlang und küsste auf dem Schlafanzug an deren Oberkörper auf und ab, um endlich bei den Brüsten und den wachsenden Brustwarzen zu verweilen.

Ruth nahm Stefanies Brustwarzen durch den Stoff in den Mund und saugte daran. Stefanie atmete schneller. Sie schafft es, mich in den unmöglichsten Situationen rasend zu machen, dachte Stefanie amüsiert. Sie hätte gedacht, Schwierigkeiten mit dem Angemacht-Sein im Haus von Ruths Eltern zu haben. Sie wusste, dass Ruth vorhin die Tür abgeschlossen hatte. Das verlieh ihr eine gewisse Sicherheit, weil wenigstens niemand in den Raum platzen konnte, während sie …

Ruth schien ihr „Dessert“ nicht „auspacken“ zu wollen. Sie griff in Stefanies Schritt, ohne die Hose zu entfernen und fand die Stelle, wo eine Frau nicht mehr nach Hause gehen kann. Diese abgeänderte Zeile eines Songs von Klaus Hoffmann ging Stefanie durch den Kopf, in der eine wesentlich ältere Frau einen jungen Mann verführt. Sie konnte es sich nicht erklären, warum ihr ausgerechnet dieses Lied in den Sinn kam. Bestimmt nicht, weil sie wie der Protagonist in dem Lied jünger war als Ruth, nicht entscheidend jünger zumindest. Jedenfalls war sie erregt und hätte den Vorgang ungern unverrichteter Dinge abgebrochen.

Ruth beschleunigte durch ihr Tun das Tempo von Stefanies Atemrhythmus und konnte bald beobachten, wie sie in ihren Bewegungen innehielt, weil sie kam.

„Das ging ja fix“, flüsterte Ruth, die darauf anspielte, dass eine Reihe der vorangegangenen Akte eher von der mühsamen Sorte gewesen war.

„Das, was du getan hast, hat mich ziemlich heiß gemacht“, antwortete Stefanie, deren Atmung noch die Erregung verriet. Sie lächelte Ruth liebevoll an. Stefanie war selbst überrascht, dass sie die direkten Berührungen auf ihrer Haut nicht gebraucht hatte, um einen Höhepunkt zu haben.

„Desgleichen bei mir!“ Ruth war heiser vor sexueller Energie. Sie hatte eine ordentliche Fahne. Im Gegensatz zu Stefanies, die der Alkohol müde machte, brach sich Ruths Libido ungezügelt Bahn, wenn sie ein paar Gläser intus hatte. Sie drängte sich an Stefanie, rieb sich an ihr. „Fass mich an!“, forderte sie. Stefanie rollte zur Seite und lag auf Ruth. Ihre rechte Hand fand die Stelle, an der Ruth nicht mehr nach Hause gehen konnte.

Ruths Atmung verstärkte sich unmittelbar. „Sei in mir!“, verlangte sie. Stefanie rutschte von der Geliebten, um neben ihr zu liegen und Ruths Wunsch erfüllen zu können. Zwei Finger der einen Hand fanden Ruths Eingang weit geöffnet. Sie bewegte sich in die Geliebte hinein und aus ihr heraus, während sie mit der Handfläche der anderen Hand mit zunehmend größerem Druck über Ruths Klitoris streichelte.

Ruth bewegte sich immer ungestümer, ihr Atem ging zunehmend heftiger, bis sie ebenfalls kam. Stefanies Finger wurden kräftig umschlossen von den Kontraktionen des Orgasmus.

„Das war grandios“, flüsterte Ruth in Stefanies Haar. Sie lag mittlerweile auf ihrer Zukünftigen. Stefanie liebkoste mit ihren Händen Ruths nackten Rücken, während sie selbst noch mit dem Schlafanzug bekleidet war.

Irgendwann drangen Ruths regelmäßige Atemzüge an Stefanies Ohr. Sie war auf ihr eingeschlafen.

Momente des Erkennens

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