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„Weißt du, wo mon tablier ist?“ Charlotte lief wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her, um ihre Schürze zu finden. Heute sollte Amélie, vermutlich die schöne Unbekannte, auftreten. Sie würde den Abend mit französischen Chansons begleiten. Dass sie Sängerin von Beruf war, erklärte, warum Felizitas sie noch nie bei Charlotte gesehen hatte. Sie reiste wahrscheinlich von Auftritt zu Auftritt und konnte deshalb selten bei der Geliebten sein.

Einerseits freute sich Felizitas auf diesen besonderen Abend. Das Restaurant war ausgebucht bis auf den letzten Platz, dennoch würde sich sicher zwischendurch einmal Gelegenheit bieten, durch die Schwingtür zu lugen. Sie liebte französische Chansons. Andererseits hatte sie keine Lust darauf, Amélie und Charlotte beim Turteln zuzuschauen.

Doch jetzt musste sie dafür sorgen, dass die Chefin ihre große Unruhe auf keinen Fall in die Küche trug. Als sie den Kochbereich ansteuerte, sprang Felizitas schnell herbei, um sie daran zu hindern, durch die Schwingtür zu treten und die Mitarbeiterinnen so nervös zu machen, dass unter Garantie etwas schief ging. Felizitas breitete die Arme aus, damit Charlottes Schwung gestoppt wurde.

„Du lässt misch nischt in meine eigene Küsche?“ Falten zeigten sich auf Charlottes Stirn, und sie hob ihre rechte Augenbraue in Zeitlupe nach oben. So süß.

„Nein.“ Felizitas schüttelte den Kopf und ignorierte ihren gedachten Kommentar zur Augenbraue. „Du machst mir das Personal ganz nervös. Und dann haben wir zwar wunderbare Musik im Restaurant, aber lauter ungenießbare Gerichte auf den Tellern. Das willst du doch nicht, oder?“ Sie sprach leise und eindringlich.

Charlotte hob beide Augenbrauen, als wollte sie sagen, sie wäre hier die Chefin. Dann runzelte sie die Stirn, um wenig später zuzustimmen. „Du ´ast rescht.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und nahm die nervösen Runden im Restaurant erneut auf.

Puh, das war nochmal gut gegangen. Felizitas wischte sich den imaginären Schweiß von der Stirn und betrat die Küche, klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit der Mitarbeiterinnen auf sich zu lenken, die allesamt in Gespräche vertieft waren. Die Unterhaltungen erstarben und die Vorbereitungen ruhten. Felizitas fühlte sich an einen Hühnerhaufen erinnert. „An die Arbeit, ihr Lieben“, forderte sie auf. „Ihr wisst, wir sind ausgebucht. Und ihr seht ja, die Chefin kann man vergessen. Dafür müssen wir heute alles geben.“

Jede machte sich an die Arbeit, um ihre Aufgabe gewissenhaft zu erledigen. Es dauerte nicht lange, da kamen die ersten Bestellungen herein, die umgehend erledigt wurden. Für eine Pause war keine Zeit. Sie wurden regelrecht mit Bestellungen bombardiert.

Ein paar Minuten später schien der große Moment gekommen zu sein. Charlottes „un, deu, trois“, das sie zur Probe ins Mikrofon sprach, war bis in die Küche zu hören. Die Stimme kam zwar dumpf dort an, aber jedes Wort war zu verstehen.

„Meine Damen und ´erren, begrüßen Sie mit mir die unvergleischlische Amélie, die größte Chansoniere seit Edith Piaf.“ Applaus brandete auf. Die ersten Töne auf dem Klavier waren zu hören: Milord. Felizitas erinnerte sich. Charlotte hatte angekündigt, dass Amélie ihre eigene Pianistin mitbringen würde. Das Piano stand von Anfang an im Restaurant, wurde jedoch selten genutzt. Gelegentlich engagierte die Chefin eine Pianistin, die Lounge-Musik spielte. Musikalische Untermalung zum Essen kam bei den Gästen gut an – zu solchen Gelegenheiten war das Restaurant stets bis auf den letzten Platz besetzt – und sollte viel öfter auf dem Programm stehen.

In der Küche hörte man die Musik zwar nicht so unverfälscht wie im Restaurant, dennoch konnte Felizitas erahnen, was für ein Volumen Amélies Stimme besaß. Sie musste die Chansoniere unbedingt live sehen. Daran war in der nächsten Zeit jedoch nicht zu denken. Ein Teller nach dem anderen verließ die Küche, und die Bestellungen nahmen kein Ende. Felizitas fühlte sich an Fließbandarbeit erinnert. Wenn jeden Abend so viel im la fantasie los wäre, bräuchten sie noch eine weitere Kraft. Sonst würde die gesamte Crew nach einem Monat auf dem Zahnfleisch gehen. Das wäre kontraproduktiv für die Motivation.

Als die meisten Gäste erst einmal mit ihrer Hauptspeise beschäftigt waren, wollte Felizitas einen Blick nach draußen wagen. Sie wischte ihre Hände am Tuch an ihrer Schürze ab, öffnete die Schwingtür eine Handbreit und linste durch den kleinen Spalt.

Sie traf der Schlag. Sie trat einen Schritt zurück, so dass die Schwingtür vor ihrer Nase wedelte. Sie trat vor und öffnete die Tür ein weiteres Mal. Doch was sie sah, änderte sich nicht. Charlotte stand auf der Bühne und sang mit einer Wahnsinnsstimme ein Chanson nach dem anderen. Gänsehaut überzog Felizitas´ Körper. Von La vie en rose über Chanson d´amour, L´etranger und Non, je ne regrette rien war alles von Edith Piaf dabei. Sie hatte auch Georges Moustaki in ihrem Programm: Le Métèque und La liberté. Felizitas hatte nicht gewusst, dass die Chefin auch noch eine großartige Sängerin war. Leicht rauchig war ihre Stimme, verführerisch, erotisch. Felizitas merkte, dass eine Röte in ihr vom Hals an aufwärtsstieg. Aber wo war die angekündigte Unbekannte? Und wie hatte Charlotte es geschafft, sich so schnell umzuziehen? Abgesehen davon, dass sie allen ihr heimliches Talent verschwiegen hatte.

Jemand rief nach Felizitas. Sie musste wieder an die Arbeit. Dennoch blieb sie weiter wie angewurzelt stehen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie einen Schatten über die improvisierte Bühne huschen, der das nächste Chanson ankündigte. Das war Charlotte. Die andere Frau war – Felizitas öffnete vor Sprachlosigkeit ihren Mund – offensichtlich Charlottes Zwillingsschwester. Die eine glich der anderen wie ein Ei dem anderen.

Felizitas wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Die Chefin hatte gar keine Geliebte. Das war die beste Nachricht des Tages. Beschwingt machte sie sich wieder an die Arbeit.

Nachdem das letzte Dessert die Küche verlassen hatte, atmete die Crew hörbar aus. Alle nahmen ihre Kochmützen ab und wischten sich den Schweiß von der Stirn.

„Puh, geschafft“, sagte jemand. „So viele Leute können wir nicht jeden Abend bedienen. Dann gehen wir am Stock.“ Alle anderen, einschließlich der Souschefin, die die Mitarbeiterinnen im Laufe des Abends immer wieder gelobt hatte, nickten.

Schließlich kam die Chefin herein. „Ihr Lieben, isch bedanke misch bei eusch für die grandiose travail. Wenn die Gäste zufrieden sind, bin isch es auch. Isch danke eusch allen!“ Sie verneigte sich, wie Felizitas es vom Yoga kannte. Derartige Dankesworte mit einer Verbeugungsgeste waren selten, deshalb waren sie etwas ganz Besonderes. „Isch möschte eusch alle zu einem Glas Wein im Restaurant einladen. Außerdem gibt Amélie ein kleines Privatkonzert exclusif pour nous. Nur für uns. Kommt bitte mit.“

Da keine der Mitarbeiterinnen aus der Küche Zeit gehabt hatte, einen Blick auf die Chansoniere zu werfen, waren alle baff, dass sie die Zwillingsschwester ihrer Chefin war. Applaus brandete auf, denn natürlich hatten sie die wunderbare Stimme bis in die Küche hören können.

Die Künstlerin verneigte sich, nahm Blickkontakt mit der Pianistin auf und sang Je ne regrette rien noch einmal. Andachtsvoll lauschten die Mitarbeiterinnen, die inzwischen an den Tischen Platz genommen hatten, dem Lied, während Charlotte von Tisch zu Tisch die Weingläser füllte. Muscat d´Alsace. Die Chefin ließ sich nicht lumpen.

Als das Chanson zu Ende war, fragte die Sängerin nach Wünschen. Es wurden ihr manche Lieder zugerufen, die sie am Abend gesungen hatte, aber auch ganz andere Chansons, die gewünscht wurden. Inchallah und Tombe la neige von Adamo, Les Champs-Elysée von Joe Dassin, Nathalie von Gilbert Becaud und noch einige weitere. Die Zuhörerinnen waren begeistert von Amélies Interpretationen dieser weltbekannten Chansons und klatschten um die Wette.

Als die Sängerin schließlich die Bühne zusammen mit der Pianistin verließ und sich zu Felizitas und Charlotte an den Tisch setzte, begann an den anderen Tischen ein allgemeiner Aufbruch. Es war spät genug. Das Gähnen hatte sich unisono ausgebreitet. Felizitas sollte sich den anderen anschließen. Aber sie war neugierig auf die Schwester der Chefin.

Als Amélie ihr die Hand gab, hielt sie sie einen Moment zu lang fest und schaute ihr tief in die Augen. Hoppla, was war das denn? Felizitas Herz schlug Purzelbäume. Warm war Amélies Hand gewesen und intensiv ihr Blick, fast schon intim. Felizitas konnte nicht umhin, ihn ebenso intensiv zu erwidern. Amélie flirtete mit ihr, was das Zeug hielt. Offenbar sehr zum Missfallen der Pianistin, die ihre Hand besitzergreifend auf Amélies Oberschenkel legte. Das war dann wohl geklärt.

Aus dem Augenwinkel bekam sie mit, wie Charlotte ihrer Schwester einen bitterbösen Blick zuwarf, als wollte sie eigene Besitzansprüche Felizitas gegenüber anmelden. Sie war doch nicht eifersüchtig? Wie konnte das sein? Bisher hatte Charlotte nichts getan oder gesagt, dass Felizitas gezeigt hätte, dass Charlotte ernsthaft an ihr interessiert sein könnte. Gut, sie hatte Felizitas umarmt, und sie hatten Wangenküsse ausgetauscht, aber das hatte Felizitas der französischen Lebensart und dem Temperament der Chefin zugeordnet.

Jedenfalls blockte Charlotte jetzt weitere Versuche der Kontaktaufnahme zwischen Felizitas und Amélie konsequent ab. Sobald ihre Schwester auch nur ansatzweise den Mund in Richtung Felizitas aufmachen wollte, grätschte Charlotte dazwischen. So unfreundlich kannte sie die Chefin nicht. Sie wusste nicht, ob sie sich geschmeichelt fühlen oder verärgert sein sollte. Sollte Charlotte ein echtes Interesse an Felizitas haben, hatte sie es bislang geschickt verborgen.

Der Abend endete abrupt, weil Charlotte einfach aufstand und alle Anwesenden herauskomplimentierte. Im Grunde ihres Herzens war Felizitas erleichtert, wenn sie die Aktion auch ziemlich unhöflich fand. Ihre Füße schmerzten. Sie war unendlich müde und wollte einfach nur ins Bett. Eine kleine Ecke ihres Unterbewusstseins war enttäuscht, dass der Flirt mit Amélie beendet war. Felizitas grinste innerlich über Charlottes Besitzansprüche ihr gegenüber, während sie auf dem schnellsten Weg mit dem Rad nach Hause fuhr.

Liebesschwüre zum Dessert

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