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Augenscheinlich gehörte Charlotte zu den Köchinnen, die sich mit dem Erreichten nicht zufriedengaben. Sie lud Felizitas am Montag zu sich ein, um neue Rezepte zu entwickeln. Diese fühlte sich natürlich geschmeichelt, an etwas Innovativem mitzuarbeiten, hatte sie doch genau das im Dagobert´s schmerzlich vermisst. Sie hatte zunehmend das Gefühl, endlich zu Hause angekommen zu sein. Und je mehr sie über den romantischen Rhein erfuhr, desto mehr gefiel er ihr. Sie begann so langsam, sich richtig wohl in ihrer Haut zu fühlen. Und sie freute sich sehr darauf, ihren freien Tag mit Charlotte zu verbringen.

Pünktlich um zwölf Uhr stand Felizitas am Montag vor Charlottes Wohnungstür. Deren Wohnung lag über dem Restaurant. Sie hatte sich deshalb nicht um eine neue Route kümmern müssen. Den Weg zum Restaurant kannte sie ja schon. Das Rad stand abgeschlossen im Hinterhof wie immer.

Charlotte öffnete die Tür und empfing Felizitas mit einem strahlenden Blick. Sie trug einen legeren Hausanzug, während sich Felizitas in bequeme Jeans geworfen hatte. Die Chefin sah jedenfalls hinreißend aus. Die Hose saß knatscheng und brachte ihren Po gut zur Geltung. Sie trug kein Makeup, was ihr hervorragend stand und ihr natürliches Wesen unterstrich. Ihre wunderschönen blauen Augen traten viel besser hervor, als wenn sie sie mit Farbe zukleisterte. Felizitas, Felizitas! Sie sollte sich unbedingt zusammenreißen. Sie war zum Arbeiten gekommen und nicht zum Flirten. Außerdem war die Chefin sowieso liiert. Sie schmuste in aller Öffentlichkeit mit einer geheimnisvollen Unbekannten herum. Das hatte Felizitas ja bereits beobachten können.

„´allo Felizitas, komm doch bitte ´erein.“ Charlotte öffnete die Tür weit, und Felizitas trat ein. Der Flur war in einem warmen Hellbraun gestrichen und verbreitete gleich eine gemütliche Atmosphäre. Charlotte schien eine Vorliebe für Details zu haben. In einer Ecke stand eine riesige Blumenvase aus Glas mit einigen Wedeln von Pampasgras. In einer anderen Ecke war ein kleiner Tisch platziert, auf dem ebenfalls eine Glasvase stand, die mit einer einzelnen Rose bestückt war. Auf einem Sekretär fanden sich das Festnetztelefon, Notizzettel, Briefe und andere Kleinigkeiten. Alles sehr geschmackvoll. Dieser erste Eindruck setzte sich im Wohnzimmer fort, das ebenfalls in warmen Farben gehalten war. Ein sehr bequem aussehendes Sofa in knalligem Rot war der Blickfang und bildete einen Kontrast zu den gesetzten Farben im Raum. Daneben stand eine Stehlampe, die aussah, als hätte Charlotte sie von ihrer Oma geerbt. Ein schöner Couchtisch, sicher ein Designerstück, fügte sich optisch gut in dieses Ensemble von Modernem-kombiniert-mit-Altem ein. Der Rest des Wohnraums spiegelte genau diesen Stil wider. Neues stand neben Antikem, dezente Farben wirkten neben knalligen. Einen Fernseher sah Felizitas nicht. Er hätte auch das mehr als niveauvolle Ambiente durchbrochen.

Charlotte bat Felizitas auf die Couch. Ein paar Häppchen schmückten den Couchtisch, der überfüllt war mit zwei Wasserflaschen und zwei Gläsern auf Untersetzern.

„Isch ´abe gedacht, wir trinken besser keinen Wein, damit wir einen klaren Kopf bei der Arbeit ´aben. Isch kann dir gern einen Kaffee anbieten.“

„Hast du einen Espresso? Der wäre jetzt gut, um die Lebensgeister zu wecken.“ Felizitas unterdrückte ein Gähnen. Sie war früh aufgestanden und hatte kaum etwas gegessen und nur einen Kaffee gehabt.

„Aber selbstverständlisch.“ Charlotte erhob sich. Während sie in der Küche zwei Espressi zubereitete, sah Felizitas sich ein wenig von ihrem Sitzplatz aus um. Charlotte schien eine Bücherliebhaberin zu sein. Die Wand gegenüber war vollständig mit Büchern gefüllt. Das Regal hatte sie von der Tür aus nicht sehen können. Hauptsächlich französische Titel, soweit Felizitas sehen konnte. Als Charlotte mit zwei dampfenden Espressotassen zurückkam, fragte Felizitas: „Hast du keinen Fernseher?“

„Er steht in der obersten Etage in einem kleinen Gästezimmer. Isch sehe kaum fern und finde es gemütlischer, misch mit Büschern zu umgeben. Es ´at etwas ´eimeliges. Bei meinen Eltern ist das ganze ´aus vollgestopft mit Büschern. Isch ´abe ganz schön geschleppt, als isch umgezogen bin.“

„Du hast noch bei deinen Eltern gewohnt, bevor du nach Koblenz gezogen bist?“, wunderte sich Felizitas.

„Oui, isch ´atte ein eigenes ´aus auf dem Grundstück von Maman et Papa und war vollkommen unab´ängig. Meine Ausbildung ´abe isch in Obernai absolviert. Dort wohnen meine Eltern immer noch.“

Felizitas nickte und nippte von dem Espresso, den sie ebenso schwarz trank wie ihre Chefin. „Mh, der ist lecker.“

„Es ist derselbe wie im Restaurant. Isch ´abe die gleische Maschine wie unten. Die Investition ´at sisch gelohnt.“

Felizitas trank die kleine Tasse aus und schlug vor: „Lass uns anfangen. Je mehr Zeit wir haben desto besser wird das Ergebnis sein. Was hast du dir überlegt?“

„Wir ´aben doch die Umfragebögen im Restaurant, auf denen die Gäste Vorschläge machen können.“

„Die Bewertungen.“ Felizitas nickte erneut.

„Ziemlisch viele davon wünschen sich etwas Vegetarisches oder Veganes.“

Felizitas sah sie erstaunt an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte gedacht, die Koblenzer würden die französische Haute Cuisine oder zumindest irgendeine Art der gehobenen Küche bevorzugen, wenn sie ins la fantasie kamen. Und das beinhaltete für Felizitas Fisch oder Fleisch.

„Jedenfalls hat misch das dazu bewogen, ein oder zwei vegetarische Gerichte auf die Karte zu setzen. Und dafür benötige isch dein Fingerspitzengefühl.“

Dass die Chefin ihr Urteil hören wollte, schmeichelte Felizitas außerordentlich. Gemeinsam würden sie sicher die Speisekarte um ein paar hochwertige Gerichte erweitern können. „Ach übrigens, die Leute lieben unseren Debbekooche als Amuse-Gueule. Das sagen auch die Einnahmen. Seitdem wir diese Koblenzer Spezialität anbieten, ist unser Gewinn gestiegen.“ Charlotte strahlte.

„Das ist ja wunderbar.“ Felizitas berührte vor lauter Freude ihren Arm und zuckte ob des heftigen Stromschlages, der ihr durch die Glieder schoss, sofort wieder zurück. Das durfte nicht wahr sein. Sie sollte sich wirklich zusammenreißen. Nein, sie musste sich zusammenreißen. Auf keinen Fall wollte sie die gute Zusammenarbeit mit Charlotte gefährden, indem sie unbedacht agierte.

„Oui, n´est ce pas?“ Stolz schwang in Charlottes Stimme mit. „Zuerst war mein Traum, einen Stern beim Guide Michelin zu erkochen. Aber weißt du, Felizitas, es ist viel erfüllender, den Menschen ´ier ihre Wünsche zu erfüllen. ´ilfst du mir dabei?“ Offensichtlich hatte sie von all der Unsicherheit, die in Felizitas tobte, überhaupt nichts mitbekommen.

Felizitas war sprachlos über Charlottes Bitte, die ihr damit so viel Vertrauen entgegenbrachte. Sie konnte nur nicken. Sie räusperte sich und schob ein heiseres „Ja!“ hinterher. Felizitas wurde plötzlich sehr heiß, als ihr klar wurde, dass sie nur wenige Zentimeter entfernt von Charlotte saß. Ihr Herz klopfte schneller, und Atemnot überkam sie. Sie öffnete einen weiteren Knopf ihres Jeanshemdes und fächelte sich Luft zu, bevor sie sich den Ausführungen ihrer Chefin widmete.

„Also“, sagte Charlotte, als sie mit einem Stapel loser Blätter näher rückte. Felizitas kam es so vor, als wäre sie in einer Sauna. Schweißperlen rannen ihren Rücken hinunter. Fast berührten sich ihre Oberschenkel. Das half ihr nicht gerade, die Situation unter Kontrolle zu halten. Sie hatte das Gefühl, Charlotte strahlte ein Feuer aus, das ihren Oberschenkel ohne Berührung verbrannte. Ihr wurde viel zu heiß. Sie zog ihr Jeanshemd aus. Das brachte zum Glück ein wenig Linderung.

„Isch ´abe die Vorschläge der Gäste ausgewertet und ein paar Gerischte ausgearbeitet, die nach Verfeinerung schreien.“

Sie erwähnte verschiedene vegetarische Speisen. Felizitas diskutierte mit ihr darüber, was dem Niveau des Restaurants angemessen war. Sie verliehen den Gerichten gedanklich bereits mehr Geschmack mit französischen Kräutern und Knoblauch, vielleicht mit einem Schuss Cognac. Ob der allerdings vegan war, konnten sie für den Moment nicht klären. Am Ende kamen sie zu dem Schluss, dass sie zuerst mit ein oder zwei Menüs beginnen wollten. Vegane Varianten wollten sie zunächst außen vor lassen und erst prüfen, was ihren Gästen an vegetarischen Speisen zusagte.

Sie würden die Karte erweitern um Rosenkohl mit feinem Sahne-Roquefort-Sößchen. Die Kräutermischung, die das Gericht zu etwas ganz Außergewöhnlichem machen sollte, würden sie am Dienstag in der Restaurantküche kreieren. Außerdem wollten sie einen Gemüsespieß mit saisonal wechselnden Gemüsesorten vom Grill mit dreierlei Dips anbieten. Auch die Dips würden morgen in der Küche ausprobiert.

Ein köstliches Avocado-Gazpacho sollte die Karte im Sommer zieren.

Ein Kartoffel-Chicoree-Gratin á la fantasie würde zusätzlich die Beilagenkarte erweitern, die bislang lediglich aus einfachen Zutaten wie Reis und Rosmarinkartoffeln bestanden hatte, weil der Fokus auf dem Hauptgericht liegen sollte.

Das Highlight aber, das sie im Laufe immer neuer Ideen für Kreationen entwickelten, waren mindestens ein oder zwei Motto-Wochen im Jahr. Zum Zeitpunkt der Weinlese wollten sie einen elsässischen Winstub-Abend durchführen. Sie würden die Speisekarte einer originalgetreuen Winstub zum Vorbild nehmen. Das Restaurant würde für die Dauer der Motto-Woche das Ambiente ändern. Die Tische würden mit karierten Decken gedeckt. Traditionelle Dekorationen wie alte Milchkannen oder Lampen würden die Atmosphäre vervollständigen. Die elsässische Winstub bot Fleisch- oder Fischgerichte an. Etwas angemessen Vegetarisches, was zum Motto passte, würde ihnen auch noch einfallen. Felizitas hatte das Gefühl, dass sie für heute kreativ genug gewesen war. Sie spürte, wie die Müdigkeit in ihre Glieder kroch. Das lange Sitzen bekam ihr gar nicht.

Felizitas und Charlotte drehten sich einander zu, nachdem sie die Stifte hatten fallen lassen, und ließen ihre Hände aneinander klatschen, als hätten sie einen sportlichen Erfolg erzielt. Zufrieden lehnten sie sich zurück.

„Du musst misch einmal ins Elsass begleiten, damit du ein Gefühl für das Winstub-Ambiente bekommst und für die köstlischen Speisen, die dort angeboten werden“, schlug Charlotte vor. Ob dieses absurd intimen Vorschlags schien sie sogleich die Augen aufzureißen. Es sah so aus, als hätte sie das Angebot am liebsten wieder zurückgezogen.

„Danke!“ Felizitas würde nicht weiter darauf eingehen, wenn das Gesagte Charlotte solches Unbehagen bereitete. Und ihr selbst war auch nicht unbedingt wohl dabei, Charlotte an so einem Wochenende unweigerlich näher zu kommen.

In die unangenehme Stille hinein hüpfte Charlotte von der Couch. „Isch ´ole uns einen Wein, den ´aben wir uns nach der Arbeit redlisch verdient.“ Sie stürmte aus dem Raum, um mit einer Weinflasche, zwei Weingläsern und einem Korkenzieher wiederzukommen. Sie setzte sich und traf die Vorbereitungen zur Öffnung der Flasche.

„Ein Muscat d´Alsace“, erklärte sie, während sie die hellgelbe Flüssigkeit in die Gläser gleiten ließ. „Das ist mein Lieblingswein. Isch trinke ihn bei jeder Gelegen´eit, obwohl er bei uns zu ´ause eigentlisch als Aperitif serviert wird. Er reflektiert silbern im Glas, siehst du.“ Charlotte hielt ihr Glas schräg nach oben, um Felizitas zu zeigen, was sie meinte. „Das ist ein Zeischen der Frische des Weines.“ Sie ließ das Glas in der Hand rotieren und schob die Nase hinein. „Olala, der ´at ein kräftiges Bukett. Isch riesche die Traube und den Duft von Blumen auf einer bunten Sommerwiese.“ Sie schlürfte den Wein zusammen mit der Luft und schwenkte ihn im Mund. Felizitas erkannte die Weinkennerin, die sogar auf einem Weingut aufgewachsen war. Das hatte Charlotte vorhin beiläufig erwähnt. Sie hatte die Augen geschlossen und genoss sichtlich, was ihre Zunge schmeckte.

„´errlisch!“, war das einfache wie prägnante Urteil.

Felizitas selbst war so fasziniert von der Intensität dieser sinnlichen Beobachtung, dass sie zu trinken vergaß. Ihr Herz klopfte stark, als Charlottes Gesicht einen geradezu schmachtenden, fast schon erotischen Ausdruck annahm. Ob sie so aussah, wenn sie Liebe machte? Felizitas! Ihr Unterbewusstsein rüttelte sie wach. Solche Gedanken waren vollkommen unangemessen.

Unter Charlottes prüfendem Blick nahm sie endlich einen Schluck und prüfte den Wein. „Oh ja, eine sehr frische Note. Ich kann verstehen, dass es dein Lieblingswein ist“, beeilte sie sich mit ihrem Urteil.

Felizitas´ Lob brachte das Strahlen in Charlottes ermattete Zügen zurück. Dadurch bekam sie eine wahnsinnig anziehende Ausstrahlung. Und ihre Augen lächelten unglaublich intensiv. Felizitas´ Puls überschlug sich.

Gemeinsam tranken sie die Flasche bis auf den letzten Tropfen aus. Ermattet von der Arbeit am Nachmittag wechselten sie nur wenige Worte. Eine angenehme Stille, fand Felizitas und merkte, dass sie immer müder wurde. Als das letzte Glas leer war, kündigte sie ihren Aufbruch an. Die beiden erhoben sich und gingen zur Tür. Felizitas war nicht auf eine solch stürmische Umarmung von Charlotte gefasst. Ihre Leiber waren so eng aneinandergeschmiegt, dass Felizitas die angenehme Wärme von Charlottes Körper durch und durch ging. Der Strom von Wärme überwältigte sie. Ein wunderbares Gefühl. Unvermittelt ließ Charlotte sie los, deutete zwei Küsse auf den Wangen an und sagte: „Vielen Dank, dass du so ausdauernd mit mir über Gerischte diskutiert ´ast. Isch fand es sehr schön, mit dir zusammenzuarbeiten und freue misch auf unsere Kreationen morgen in der Küsche. Können wir erst um eins beginnen? Isch glaube, isch möschte morgen ausschlafen.“

Felizitas konnte nur nicken. Die unverhoffte Nähe zu Charlotte verblüffte sie gänzlich. Sie zwang sich ein „Bis morgen!“ ab, drehte sich um und nahm die Treppe nach unten. Die Fahrt nach Hause würde ihr guttun, sie wieder abkühlen. Ihr einen klaren Kopf verschaffen. Die Kälte würde sie auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Sie war Charlottes Angestellte und nicht die Frau, mit der sie ein Date gehabt hatte, geschweige denn je haben würde.

Liebesschwüre zum Dessert

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