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Die Lehre vom Pneuma oder Spiritus animalis

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Wenngleich dieses ebenso differenzierte wie ganzheitliche Schema der Seele primär ein Resultat philosophisch-erkenntnistheoretischer Spekulation ist, versucht doch Aristoteles auch die physiologischen Lehren seiner Zeit zu berücksichtigen. Da nach seiner Auffassung mit Ausnahme der aktiven Vernunft die Seele mit allen ihren Teilen in Gemeinschaft mit den Körperorganen handelt, ist er auch in seinen naturgeschichtlichen Schriften bereit, Angaben über die physischen Veränderungen zu machen, die in den Sinnesorganen während ihres Funktionierens vor sich gehen (De generatione animalium 779 b 13–781 a 63; vgl. Solmsen 1971, S. 234), und er beschäftigt sich auch mit der Frage, wie die Empfindungen der Sinnesorgane das Zentralorgan Herz erreichen und wer der Träger dieser Übertragung sein kann. Das Blut ist zwar auch nach seiner Auffassung der Träger des Ernährungsvermögens oder der vegetativen Seele und kein blutloser Teil des Körpers (nach Aristoteles fällt darunter auch das Gehirn) ist der Empfindung fähig, aber es empfindet selbst nicht, wie man eindeutig feststellen kann, wenn man es berührt und daher kann es auch nicht der Träger der Empfindungen sein, die von den Sinnesorganen zum Herzen geleitet werden.

Mit der Verwerfung des Blutes als Träger der Empfindungen bricht Aristoteles zwar mit einer langen Tradition, die bis zu Empedokles zurückreicht und dem Herzen eine zentrale Rolle zugesprochen hat, eröffnet aber andererseits eine neuen, die gesamte weitere Geschichte der Hirnforschung bestimmenden Weg in die Zukunft: Es ist seine Lehre vom Pneuma, das als „Spiritus animalis“ bis weit in die Neuzeit hinein fast alle Hirnphysiologen mit wenigen Ausnahmen beeinflusst hat. Unter „Pneuma“, wie der ursprüngliche griechische Ausdruck lautet, ist bei Aristoteles nicht einfach die Luft zu verstehen, die bei Alkmaion, Diogenes und Hippokrates eine zentrale Rolle spielt. Denn Aristoteles redet von einer „eingeborenen“ (symphoton) Substanz, die in den Gängen (Poroi) des Geruchs und Gehörs, die mit der äußeren Luft in Verbindung stehen, bereits von vornherein vorhanden ist. Die Luft aber, die durch die Atmung erst in den Körper eindringt, kann nicht eingeboren sein, deshalb lässt sich Luft und Pneuma bei Aristoteles nicht gleichsetzen. Vielmehr handelt es sich bei Aristoteles um ein Prinzip der Bewegung, das in der gesamten belebten und unbelebten Natur eine kausale Rolle spielt, so zum Beispiel auch bei den Erdbeben, die durch das aufsteigende Pneuma verursacht werden, in ähnlicher Weise, wie es Zittern und Krämpfe im kranken menschlichen Körper hervorruft. Das Pneumatische Prinzip ist nach Aristoteles für alle Bewegungen des Lebewesens verantwortlich: „Alle Tiere haben natürlich eingeborenes Pneuma und üben ihre Kraft vermittels desselben aus.“ Aristoteles selbst versucht jedoch nicht jene „Gänge“ zu identifizieren, in welchem das Pneuma zu den Gliedern oder Sinnesorganen und Herz gelangen kann. Diese Frage wurde erst von den nächsten Generationen der experimentellen Anatomen und Physiologen behandelt und führte zur Entdeckung der Nerven.

Geschichte der Hirnforschung

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