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Vorwort zur 2. Auflage

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Bereits vor mehr als hundert Jahren hat der Wiener Medizinhistoriker Max Neuburger (1897) eine „kritische philosophische Betrachtung“ der Geschichte der Hirnforschung gefordert. Und auch heutzutage sind die meisten Vertreter der Neurowissenschaften davon überzeugt, dass die Befassung mit der mehr als zweitausendjährigen Geschichte dieser faszinierenden Wissenschaft für das Verständnis und die Bewertung ihres gegenwärtigen Forschungsstandes unerlässlich ist. Einen Beitrag zu dieser Zielsetzung will auch dieses Buch leisten. Die dabei angewandte Methode ist die einer wissenschaftstheoretischen Rekonstruktion, die von der Idee ausgeht, dass die Wissenschaft ein System darstellt, das in höchstem Maß die Fähigkeit der Selbstkorrektur besitzt. Das aber bedeutet, dass die historischen Fakten für sich selbst sprechen und daher auch in ihren Originalquellen aufgesucht werden müssen. Nur so lässt sich die innere Logik der Entwicklung dieses komplexen Gebietes der Hirnforschung erfassen, deren Fortschritte oft darin bestehen, viel mehr alte Irrtümer und Vorurteile einzureißen als neue Erkenntnisse aufzubauen. Entsprechend dieser Zielsetzung und Methodik stehen nicht die speziellen neurowissenschaftlichen Details im Vordergrund, die bereits von den Fachleuten der Neurowissenschaften selbst in bestimmten Teildisziplinen und für bestimmte Zeiträume behandelt worden sind, sondern es geht hier um die Entdeckung des menschlichen Gehirns als des „Organs der Seele“ oder des „Geistes“. Das heißt, es geht um die seit den Anfängen der Hirnforschung in der Antike immer wieder gestellte Frage, ob aus der Erkenntnis der Struktur und Funktion des Menschenhirns auch Schlüsse auf die Mechanismen von Wahrnehmung, Gedächtnis, Denken und Sprache gezogen werden können und somit auch der menschliche Geist auf diese verobjektivierende Weise naturwissenschaftlicher Erkenntnis erfassbar wäre. Darüber hinaus sind, seitdem sich das Herz als einfacher Muskel erwiesen hat, der den Pumpmechanismus des Blutkreislaufes besorgt und damit seine Bedeutung als Zentralorgan der Gefühle und Emotionen verloren hat, weitere Fragen entstanden. Sie betreffen sowohl die Wechselwirkungen zwischen emotionalen und kognitiven Fähigkeiten des Menschen, die beide ihre Grundlage im zentralen Nervensystem haben, als auch ihre Störungen, die über verschiedene Formen der Geisteskrankheiten bis zum Tode des Individuums reichen können. Auf all diese Fragen sind im Laufe der Geschichte der Hirnforschung sehr unterschiedliche Antworten gegeben worden, die auch heute noch aktuell sind. Denn sie zeigen die Möglichkeiten und Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis bei der Behandlung jener grundlegenden Fragen nach Sinn und Wesen menschlicher Existenz. Diese Fragen waren bisher fast ausschließlich spekulativer Metaphysik und normativer Ethik vorbehalten, können aber heutzutage bereits einem neuen Bereich der transdiszplinären Hirnforschung, der sog. „Neurophilosophie“, zugeordnet werden, die sich entsprechend den klassischen Disziplinen der Philosophie, angefangen mit der „Neurologik“ und „Neuroepistemologie“ bis zur „Neuroethik“ und „Neuroästhetik“, schon zu eigenen Teilbereichen weiterentwickelt hat. Da dieser Bereich von mir bereits in dem 2006 erschienenen Buch ›Das selbstbewusste Gehirn. Perspektiven der Neurophilosophie‹ behandelt worden ist, sind hier nur zwei Ergänzungen nötig. Die eine Ergänzung betrifft die lange in der Geschichte der Hirnforschung vernachlässigte Frage nach der Besonderheit des weiblichen Gehirns, während die andere Ergänzung sich mit der bereits historisch gewordenen Entdeckung des sog. „Bereitschaftspotentials“ beschäftigt, das jene bis zum heutigen Tag so kontrovers geführte Diskussion um die Willensfreiheit ausgelöst hat.

Wien im Juni 2009 Erhard Oeser
Geschichte der Hirnforschung

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