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Kapitel 11

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Jahre waren ins Land gegangen und Niki hatte sich zu einem groß gewachsenen, gut aussehenden jungen Mann gemausert, dessen Gymnasialzeit zu Ende ging. Er war gerne zur Schule gegangen und seine schulischen Leistungen waren, von Mathematik abgesehen, durchwegs gut gewesen.

In seiner Freizeit las er viel und es machte ihm Spaß, Kurzgeschichten zu erfinden und niederzuschreiben. Wenn er aber dann das Ergebnis seiner Bemühungen mit bewunderten literarischen Vorlagen verglich, wurde ihm die eigene Unzulänglichkeit bewusst und seine Versuche landeten regelmäßig im Papierkorb. Alexander und Galina ahnten von dieser Neigung ihres Ältesten nichts. Niki hätte sich auch eher die Zunge abgebissen, als sie ins Vertrauen zu ziehen. Seine ganz persönliche Welt wollte er mit niemandem teilen.

Neben Estnisch und Englisch, die Pflichtfach waren, lernte er in der Schule auch Russisch. Für seinen Vater war es die Sprache seiner Jugend und auch seine Mutter hatte aus beruflichen Gründen Russisch gesprochen. Um ihn mit dieser Sprache vertraut zu machen, unterhielten sich die Eltern öfters auf Russisch mit ihm. Das ging am Anfang holprig, doch er machte gute Fortschritte.

Auch in Nikis Fühlen hatte sich ein Wandel vollzogen. Seine Indifferenz gegenüber den Mitschülerinnen war einem bislang unbekannten Interesse für das weibliche Geschlecht gewichen. Einige seiner Klassenkameradinnen fand er inzwischen sogar hübsch und interessant. Von Freundschaft oder Liebe war aber keine Rede und es wäre ihm nicht eingefallen, mit einer Mitschülerin über andere, als schulische Dinge zu plaudern. Seine Zurückhaltung erklärte sich auch daraus, dass die Mädchen einfach die Klügeren waren. Zwar war der Klassenbeste ein Junge, der sich aber gerade deswegen keiner großen Wertschätzung erfreute. Dann aber kam in breiter Phalanx das schönere Geschlecht, das fleißiger war, den Lehrstoff besser meisterte und sich auch mit den Lehrern besser verstand.


Nikis unbefriedigende Leistungen in Mathematik waren für seinen Vater Anlass zu unnachsichtiger Kritik. Als jemand, der es zu etwas gebracht hatte, glaubte er, dass sich bei angemessenem Fleiß allemal gute Zensuren erzielen ließen. Und das auch in Fächern, die einem weniger lagen. Nikis Lehrerin hatte ihn vor Kurzem zu sich bestellt und auf die unbefriedigenden Leistungen seines Sohnes hingewiesen. Niki und auch seine Mutter mussten sich danach eine harsche Gardinenpredigt anhören. Durch ständigen Ärger werde ihm dafür gedankt, dass er sich für seine Familie abrackere. Galina wäre in schulischen Dingen nicht konsequent genug und würde ihren Sohn zu wenig zur Arbeit anhalten. Alexander konnte sich kaum beruhigen.

Um Nikis Leistungen in Mathematik zu verbessern, hatte die Klassenlehrerin einen Nachhilfeunterricht angeregt. Der Rat der Pädagogin wurde gerne aufgegriffen und bei der Suche nach einer geeigneten Lehrkraft wurde Galina auch bald fündig: In der weiteren Nachbarschaft wohnte eine neunzehnjährige Abiturientin, die sich gerade auf ihr Studium vorbereitete. Ihre Eltern waren vor einiger Zeit aus beruflichen Gründen umgezogen, und weil sie vor dem Abitur die Schule nicht wechseln wollte, hatte sie sich für eine Übergangszeit eine kleine Wohnung gemietet. Sie war an einem Nebenverdienst interessiert und gerne bereit, Niki Nachhilfeunterricht zu geben.

Lena, so hieß die junge Dame, war zwar keine Schönheit, doch ihre frische Jugend und vor allem ihr freundliches Wesen machten sie anziehend und beliebt. Jeder mochte sie und auch Galina war von dem entzückenden Geschöpf sehr angetan.

Niki war von seiner Lehrerin bald begeistert und seine anfänglichen Vorbehalte legten sich rasch. Nie hörte er während des Unterrichts ein ungeduldiges Wort, selbst wenn er sich ungeschickt anstellte. Lena hatte seine Art zu Denken rasch erkannt und erklärte ihm die kompliziertesten Dinge so, dass er sie verstand. Die Nachhilfestunden wurden immer interessanter und gerieten für ihn zu einem intellektuellen Vergnügen. Es dauerte nicht lange, bis Niki seine schulischen Defizite ausglich. Nach einiger Zeit wurde er sogar Klassenbester in Mathematik. Seine Lehrerin war vom Ergebnis des Unterrichts begeistert und selbst sein kritischer Vater konnte sich eines Lobs nicht enthalten.


Nikis Verhältnis zu seiner jungen Lehrerin entwickelte sich mit jeder Nachhilfestunde ungezwungener. Der 17-Jährige überragte sie um Haupteslänge, und wenn sie nebeneinander am Schreibtisch saßen, musste sie beim Erklären zu ihm aufblicken. Auch Lena gefiel der Umgang mit ihrem Schüler, der sich wohlerzogen benahm und sie, wie sie sehr wohl bemerkte, bewunderte.

An einem heißen Sommer-Nachmittag erschien Niki wie üblich zum Unterricht. Lena trug ein ausgeschnittenes Chiffonkleid, das um die Taille mit einem Gürtel gerafft war. Sie hatten wie immer Platz genommen und mit der Arbeit begonnen. Doch Niki zeigte sich an diesem Tag abgelenkt und konnte sich kaum auf den behandelten Stoff konzentrieren. Jedes Mal nämlich, wenn sich Lena nach vorne beugte, um in dem vor ihnen liegenden Lehrbuch auf etwas hinzuweisen, klaffte der Ausschnitt ihres Kleides und unter dessen leichten Stoff konnte er ihre nackten Brüste sehen. Und noch etwas erregte ihn: Der Duft ihres Parfüms, der sich mit dem Hauch eines leichten Schweißgeruchs mischte, übte eine so erotisierende Wirkung auf ihn aus, dass es sich in seiner Hose zu regen begann.

Lena bemerkte natürlich bald, dass mit ihrem Schüler etwas nicht stimmte, und als sie fragend innehielt und er in der kurzen Pause erleichtert zurücklehnte, fiel ihr Blick auf seine leichte Flanellhose, die im vorderen Teil ausgebeult nach oben stand.

„Was sehe ich da?“, meinte sie, „jetzt verstehe ich, weshalb du so unaufmerksam bist!“

Niki errötete bis unter die Haarwurzeln. Er sah sich in seinen intimsten Regungen ertappt und blickte verlegen zu Boden.

„Und wie soll es jetzt weitergehen?“

Er zuckte die Achseln.

„Ist es so schlimm?“

Er nickte, ohne aufzusehen.

Sie überlegte und meinte dann: „Wenn das so ist, sollten wir etwas dagegen tun“, stand auf, nahm Niki bei der Hand und führte ihn zu einer geblümten Couch, die an der gegenüberliegenden Wand des Zimmerchens stand.

Kaum hatte er sich neben ihr niedergelassen, zog sie mit einem schnellen Griff seinen Hosenbund nach vorne. Sein Glied stand noch immer aufgerichtet.

„Einmal muss es ja sein“, meinte sie und streifte die Träger ihres Kleides von den Schultern.

Niki verkrampfte, als er ihren nackten Busen sah.

„Komm“, flüsterte sie und versuchte ihn an sich zu ziehen.

Doch er saß wie versteinert und wagte sich nicht zu rühren.

„Komm´ nur“, forderte sie ihn erneut auf und legte seine Hand auf ihre Brust.

Zögernd begann er, ihre Brüste zu streicheln.

„Du machst das wie ein richtiger Liebhaber“, ermutigte sie ihn, dann zog sie den Unerfahrenen über sich und half ihm dorthin zu kommen, wo sie ihn haben wollte.

Niki stürzte von einer Empfindung in die andere. Der Schreibtisch, die Stühle, der Schrank, ja das ganze Zimmerchen schienen sich zu drehen, als er den ersten Rausch der Sinne erlebte.

Er hatte das erste Mal eine Frau geliebt und — wie ihm Lena versicherte — hatte sich als echter Liebhaber gezeigt. Ein unbändiges Gefühl erfasste ihn. Er fühlte sich als gestandener Mann, und in seiner Hochstimmung glaubte er, dass sich an diesem wundervollen Zustand nie etwas ändern würde.


Während der folgenden Tage war Niki in Gedanken ständig bei Lena und voller Ungeduld fieberte er dem nächsten Nachhilfeunterricht entgegen.

Lena empfing ihn wie gewohnt und wollte ohne Umschweife mit dem Unterricht beginnen. Doch damit klappte es nicht mehr wie früher. Er konnte seine Hände nicht im Zaum halten und in seiner Hose begann es sich sofort wieder zu regen. Lena versuchte es zwar noch eine Weile mit Mathematik, doch es war vergebliche Liebesmüh’. Auch sie war abgelenkt und hatte nicht die Kraft, seinem Drängen zu widerstehen. Wieder landeten sie auf der geblümten Couch und diesmal war er der Aktive, der ihre Hilfe nicht mehr in Anspruch nehmen musste.


Am Morgen des folgenden Tages läutete es im Hause Bisdorff. Lena stand vor der Tür. Verlegen teilte sie Galina mit, dass sie Nikis Unterricht nicht mehr fortführen könne. Ihre Mutter sei erkrankt und bedürfe der Pflege; sie müsse deshalb umgehend abreisen. Sie bedauere diese Entscheidung, denn die Arbeit mit Niki habe ihr viel Freude bereitet. Galina fiel aus allen Wolken, doch Lenas Weggang war nicht zu ändern. Bekümmert wünschte sie ihr Glück und Erfolg für das weitere Leben.

Als Niki von Lenas Abreise erfuhr, brach der Himmel über ihn zusammen und er konnte das Gehörte nicht glauben. Seine Geliebte würde ihn verlassen, ohne sich auch nur von ihm zu verabschieden. Warum nur? Er liebte sie doch und hätte sie geheiratet! Der kleine Altersunterschied zwischen ihnen hätte doch nichts bedeutet. Verstört machte er sich auf den Weg zu ihr, doch er fand die Wohnungstür verschlossen. Lena war nicht mehr da und seine erste große Liebe ging bereits zu Ende, bevor sie richtig begonnen hatte. In seinem Kummer und seiner grenzenlosen Enttäuschung war er kaum ansprechbar.

Um seinen Schmerz zu betäuben, wandte er sich wieder verstärkt seinen alten Hobbys zu. Für seine Insektensammlung fing er auf den umliegenden Feldern und Wiesen Schmetterlinge und Käfer. Auf den seiner Heimatstadt vorgelagerten Inseln stellte er dem Segelfalter nach und auf dem deutschen Friedhof machte er spätabends Jagd auf Nachtfalter. Seine Sammlung war inzwischen auf über 2.000 Exponate angewachsen. Nicht nur seine Klassenkameraden, sondern auch viele Erwachsene kamen, um seine Schätze zu bewundern. Daneben pflückte und trocknete er Beeren für seine Kanarienvögel und Dompfaffen, die er in einer riesigen Voliere hielt. Doch sein Schmerz wurde nur notdürftig übertüncht. Er konnte einfach nicht einsehen, dass Gefühl und Verstand unterschiedliche Dinge sind, die sehr oft unterschiedliche Wege gehen.

Wann die Zeiten wehen

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