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Kapitel 13
ОглавлениеAuch in Estland war nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland eine Jugendorganisation gegründet worden, die sich an dem Vorbild der Hitlerjugend orientierte. Ihre Mitglieder trugen zwar keine braunen, sondern grüne Hemden, die ideologische Ausrichtung war aber die gleiche. Durch Disziplin und sportliche Ertüchtigung sollten sich die baltendeutschen Jugendlichen, ähnlich wie ihre Altersgenossen in Deutschland, auf ein martialisch geprägtes Leben vorbereiten. Auf gut organisierten Fahrten und an romantisch lodernden Lagerfeuern suchte man die jungen Menschen von der nationalsozialistischen Ideologie und ihren rassistischen Vorurteilen zu begeistern.
Auch in Nikis Klasse hatten sich viele Mitschüler dieser Jugendorganisation angeschlossen. Die Saat der Nazi-Agitatoren war auf fruchtbaren Boden gefallen. Die meisten hatten sich weltanschaulich bereits so festgelegt, dass es wenig Sinn machte, mit ihnen über Politik zu diskutieren. Nach ihrer Überzeugung beruhten die gegenwärtigen Probleme Europas auf dem Unrecht des Versailler Vertrages und den Verbrechen der Juden. Nur Hitler und die Nationalsozialisten wären Willens und in der Lage, die politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Kontinents zu lösen. Wenn es zum Krieg käme, trügen Franzosen und Engländer die Hauptschuld, die bereits durch die Versklavung der Menschen in ihren Kolonialreichen eine große moralische Schuld auf sich geladen hätten.
Niki erschien dieses Denken zu vordergründig und banal. Keiner dieser Gutgläubigen wusste doch, was letztlich die Ziele der Machthaber in Berlin waren. Dem Volk und selbst unbedarften Parteigenossen wurde doch nur mitgeteilt, was die politische Führung für opportun hielt.
Viele Mitschüler entrüsteten sich über Nikis kritisches Denken und warfen ihm vor, die Probleme der Zeit nicht erkennen zu wollen. Doch er beharrte auf seinem Standpunkt und lehnte es weiterhin ab, der am Nationalsozialismus orientierten Jugendbewegung beizutreten. Auch die propagandistisch aufgezogene Erntehilfe für die deutsch-baltischen Großgrundbesitzer sah er als politische Bauernfängerei und lehnte es deshalb ab, bei den propagierten gemeinsamen Erntearbeiten mitzumachen. Dabei konnte ihn auch der Vorwurf, dass er sich damit außerhalb der baltendeutschen Solidargemeinschaft stelle, nicht umstimmen.
In seiner kritischen Haltung sah er sich zusätzlich bestärkt, als die wenigen jüdischen Schüler seiner Klasse, ein Jahr vor dem Abitur, die deutsche Schule verlassen mussten. Nie hatte es Probleme wegen ihres Glaubens oder ihrer Rasse gegeben. Auch der mit ihm befreundete Sohn einer russischen Kantonistenfamilie hatte sich unter den Verfemten befunden.