Читать книгу Wann die Zeiten wehen - Erich Rudolf Biedermann - Страница 6
Kapitel 1
ОглавлениеAn einem Herbstnachmittag des Jahres 1958 fragte mich ein Kommilitone, ob ich Lust auf ein Tennismatch hätte. Wir wohnten damals beide im gleichen Münchner Studentenheim, doch ich kannte den Frager bisher nur vom Sehen. Es lag wohl auch daran, dass er nicht wie ich Volkswirtschaft, sondern Medizin studierte. Abgesehen davon, war er erheblich älter als ich.
Von nun an spielten wir öfters miteinander Tennis. Bei unseren sportlichen Kontakten stellte sich heraus, dass uns neben der Begeisterung für den weißen Sport, auch viele andere Interessen verbanden. So diskutierten wir gerne über die Münchner Kulturszene oder unterhielten uns über das aktuelle Fußballgeschehen. Zudem war uns ein ausgeprägtes Interesse am schöneren Geschlecht gemein. Wir unterschieden uns darin nicht von den allermeisten Studenten unseres Heims. Was meinen neuen Bekannten aber auszeichnete und über den Durchschnitt unserer Mitbewohner hinaushob, war sein ungewöhnlicher Erfolg bei jungen Damen. Trotz seines Alters galt er im Studentenheim als berüchtigter Herzensbrecher.
Ältere Studenten waren während dieser Zeit keine Seltenheit. Viele Jugendliche hatten während des Zweiten Weltkrieges ein Notabitur gemacht und waren danach zu den Waffen gerufen worden. Manche hatten sich auch freiwillig zum Wehrdienst gemeldet. Waren sie anfangs froh, dem Schulalltag Adieu sagen zu können, so folgte das bittere Ende oft auf dem Fuße. Viele dieser Unerfahrenen fielen, wie es damals hieß, für Führer, Volk und Vaterland. Die endlosen Gräberreihen auf den Soldatenfriedhöfen Europas zeugen noch heute von ihrem schrecklichen Schicksal. Diejenigen, die das Glück hatten mehr oder weniger heil nach Hause zu kommen, standen vor den Trümmern eines zerstörten beruflichen Lebens. Ein Teil von ihnen schrieb sich an Hochschulen ein und begann, mangels beruflicher Alternativen, mit einem Studium.
Einer dieser späten Studenten war mein Tennispartner. Mit seiner athletischen Figur, seinen grau-blauen Augen und den blonden Haaren, die meist zerzaust über die Stirn fielen, war er ein Mann, der gefiel. Seine durch die Jahre härter gewordenen Gesichtszüge verliehen ihm den Ausdruck von Verwegenheit. Jedoch wurde dieser eher martialische Eindruck, durch seine Art sich zu artikulieren, angenehm überdeckt. Auf Äußerlichkeiten legte er wenig Wert und seine nachlässige Kleidung schien junge Damen nicht zu stören. Es war wohl seine Ausstrahlung und die Art sich zu geben, die sie anzog und bewog, ihn in seiner Studentenbude zu besuchen. Seine Freundinnen waren durchwegs hübsch und gaben uns anderen Mitbewohnern oft Anlass zu Neid. Es war einfach nicht nachvollziehbar, weshalb sich das weibliche Interesse derart auf ihn konzentrierte, obwohl es im Hause doch ansehnliche Alternativen gab.