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Die ewige Verdammnis

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Die Hölle muss etwas ganz Schlimmes sein. Dies jedenfalls hörten die achtjährigen Jungen und Mädchen an jedem Tag im Kommunionunterricht. Und sie hörten auch, wie sie verhindern konnten, dort einmal zu enden. Für Gustav war es eine furchterregende Vorstellung, in der Hölle sein zu müssen und es kam immer wieder vor, dass er nachts, von Albträumen geplagt, aufwachte und schweißgebadet im Bett lag. Pfarrer Broszka hatte ihnen erklärt, dass sie bald an der Eucharistiefeier teilnehmen würden und sich durch die vorangehende Beichte von aller Sündenlast befreien könnten. Gustav wollte dies ja gerne tun, nur wusste er nicht so recht, was er beichten sollte. Wirkliche Sünden hatte er nicht begangen. Er hatte auch nicht das geringste Empfinden von Schuld.

Am Freitag vor dem weißen Sonntag, an dem er mit den anderen seiner Klasse zum ersten Mal zur Kommunion gehen würde, ging er mit gemischten Gefühlen in die Kirche, um zu beichten. In der Kirche herrschte reger Betrieb. Vier Beichtstühle waren besetzt, und vor jedem knieten die Gläubigen und warteten darauf, die Beichte ablegen zu dürfen. In den Bänken vor dem Beichtstuhl von Pfarrer Broszka knieten die Kommunionkinder. Vorsichtig zog Gustav einen Zettel aus seiner Hosentasche. Er hatte sich aufgeschrieben, was er sagen wollte, doch es war nicht viel dabei herausgekommen, so sehr er sich auch mühte. Schließlich hatte er die zehn Gebote aufgeschrieben und neben ein jedes Nein geschrieben. Als er den Zettel ansah kamen ihm Zweifel. Hast Du wirklich nicht gesündigt? Irgendeine Sünde musste er doch gemacht haben. Und wie sah das denn aus, wenn er ohne Sünde in den Beichtstuhl ging. Er hatte auch ein wenig Angst, Pfarrer Broszka könne ihn der Lüge bezichtigen und vielleicht aus dem Beichtstuhl prügeln.

Gustav konnte an nichts anderes mehr denken. Er zermarterte sich das Hirn, und schließlich schrieb er hinter ‚Du sollst den Feiertag heiligen‘ eine eins und ebenso hinter ‚Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen‘. Einmal nicht in den sonntäglichen Gottesdienst gegangen zu sein und einmal gelogen zu haben wollte er als Sünde angeben.

Nach und nach verschwand ein Kinder im Beichtstuhl, um nach ein paar Minuten mit gefalteten Händen wieder herauszukommen und in einer Bank zur Buße zu verschwinden. Endlich war Gustav dran. Er ging in den Beichtstuhl und kniete nieder. Vor Aufregung vergaß er, sich zu bekreuzigen. Erst als er ein ungeduldiges »Und« hörte machte er das Kreuzzeichen.

»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen«.

Mit den Wortes »Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke Dir wahre Erkenntnis Deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit«, forderte Pfarrer Broszka Gustav auf, ihm seine Sünden zu nennen. Das Rascheln des Zettels in Gustavs Hand war nicht zu überhören. Gustav musste genau hinschauen, denn im Beichtstuhl war es ziemlich dunkel. Die schwarzen Vorhänge verhinderten nicht nur, dass jemand von draußen den Beichtenden sehen konnte; sie ließen auch kein Licht durch.

Gustav spulte Gebot für Gebot herunter, um jeweils, bis auf die beiden, die er ausgewählt hatte, Nein zu sagen. Pfarrer Broszka hörte sich das an, bis Gustav mit einem »Dies sind meine Sünden. Ich bereue sie von Herzen«, geendet hatte.

»Sonst hast Du keine Sünden begangen, mein Sohn?«

»Nein, keine«, war Gustavs Antwort.

»Nichts gestohlen?« Es kam häufiger vor, dass die Kinder schon mal einen Apfel von einem Marktstand mitgehen ließen.

»Nein.« Gustav hatte nichts mehr hinzuzufügen, doch der Pfarrer ließ nicht nach.

»Keine unkeuschen Gedanken gehabt. Nicht mal an Dir herumgespielt?«

Gustav verstand nicht sofort. Doch dann verneinte er auch diese Frage, und er hatte ein gutes Gewissen dabei. Der Pfarrer entließ ihn mit der Auflage, zur Buße zwei

‚Vater unser‘ und ein ‚Gegrüßet seist Du Maria‘ zu beten. Erleichtert verließ Gustav den Beichtstuhl. Am Morgen der ersten heiligen Kommunion war er schon früh von seiner Mutter geweckt worden.

»Heute sollst Du Gott gefallen, Gustav. Es ist der größte Tag in Deinem bisherigen Leben. Du darfst zum ersten Mal Jesus Leib empfangen.« Seine Mutter lächelte ihn an, als sie ihm diese Worte sagte. Der dunkle Anzug, den er trug, war ihm noch zu groß. Er hatte ein weißes Hemd an und eine schwarze Schleife. In seiner rechten Hand hielt er eine große Kerze. Vor der Kirche hatten sich die Kommunionkinder in einer Zweierreihe aufgestellt. Es war kalt und sie froren in ihren kurzen Hosen und den weißen Kleidchen, die die Mädchen trugen. Auf ein Kommando setzte sich der Zug in Bewegung. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Durch das Mittelschiff zogen sie gemächlichen Schrittes in die Kirche ein. Maria Szlapszi saß in der Kirche. Als sie Gustav erblickte winkte sie ihm zu. Überall wehten weiß-gelbe Fahnen. Die Orgel kämpfte mit dem Chor und der Gemeinde um den richtigen Takt.

»Groooßer Goohott wir lohoben Dich – Herr wir preiheisen Deiheine Güte ...«

Gustav erfasste erneut den Blick seiner Mutter. Sie weinte vor Freude und Rührung. Gespart hatte sie, um ihm einen Anzug machen zu lassen. Da das Geld aber nicht reichte kaufte sie bei dem Schneider einen Anzug von einem Jungen, der ein Jahr zuvor zur Kommunion gegangen war. Der Junge war nur etwas größer als Gustav, und so brauchte der Anzug nur ein wenig geändert zu werden.

»Mach ihn nicht ganz so eng«, hatte Mutter dem Schneider aufgegeben, »dann kann Gustav ihn länger tragen.«

Gustav ging gemächlichen Schrittes in der langen Reihe der Kommunionkinder durch das Mittelschiff der Kirche auf den Altar zu. Neben ihm Dorothe, die Tochter des Dorfschmieds. Sie trug ein weißes Kleid, weiße Kniestrümpfe und einen Kranz auf dem Kopf. In der Hand hielt sie ebenso wie Gustav eine große, verzierte Kerze. So schritten sie, bis sie die Stufen erreicht hatten, die zum höher angeordneten Altar führten. Die Reihe der Kinder teilte sich. Die Jungen bogen nach links ab und stellten sich vor der ersten Bank auf der linken Seite auf. Die Mädchen taten dasselbe auf der rechten Seite. Nun waren die Geschlechter in der Kirche vollständig getrennt, denn auch die Erwachsenen hatten nach demselben Schema ihre Plätze eingenommen; die Männer links, die Frauen rechts. Pfarrer Broszka empfing sie. Seine Alba spannte sich um seinen dicken Bauch, der trotz des lose übergehängten Messgewandes nicht zu übersehen war. Die gelbe Stola, die er um den Hals trug, zeugte von der großen Bedeutung, die die Feier der Ersten Heiligen Kommunion im Kirchenkalender hatte. Alle hatten sich herausgeputzt. Die Frauen der Gemeinde hatten ihre besten Kleider angezogen und die Männer ihre Sonntagsanzüge. Alle wollten so gut aussehen wie es ihnen möglich war. Manche hatten sich Kleidung und Schuhe von Verwandten geliehen, denn für neue Kleidung fehlte den meisten das Geld. Eine ausgemergelte Gemeinde, die sich an diesem Sonntag in der Kirche eingefunden hatte. Arm, von der anstrengenden Arbeit verbraucht und früh gealtert, sahen die

Gesichter viel älter aus als sie wirklich waren. Gustav betrachtete Pfarrer Broszka, als er zum Geläut der Messdiener den eucharistischen Wein aus dem goldenen Kelch trank. Er erwischte sich bei dem Gedanken, ob Pfarrer Broszka dies ohne Beichte dürfe und bei wem er wohl gebeichtet hat. Sein dicker Bauch waberte, als er sich den Mund abwischte. So wie an dem Tag im letzten Winter. Der Winter war lang und kalt. Ende Januar gingen die Vorräte zur Neige. Mutter versuchte, so gut es ging, für Essbares zu sorgen, doch außer ein paar Kartoffelschalen und etwas Kohl gab es nichts. Sie mussten argen Hunger schieben und wenn Mutter nicht immer wieder auf ihre Ration zu Gunsten der Kinder verzichtet hätte, wäre es noch schlimmer gewesen. Alle waren von der Not betroffen, zumindest die armen Leute, und das waren fast alle. Nur wenige brauchten sich keine Sorgen zu machen, nicht satt zu werden. Sie lebten weiterhin im Überfluss. Schlimm war nur, dass sie, bis auf ganz wenige Ausnahmen, die Probleme der Masse nicht einmal zur Kenntnis nehmen wollten. Selbst diejenigen, deren Lebensinhalt die Seelsorge der Armen und Leidenden war, ignorierten die bittere Armut, die sie umgab.

Eines Tages schickte der Lehrer Gustav ins Pfarrhaus, um einen sehr wichtigen und eiligen Brief beim Pfarrer abzugeben. Er wurde von der alten Haushälterin in die Stube gebeten, weil Pfarrer Broszka sich nicht beim Mittagessen stören lassen wollte. Gustav trat in die große Wohnküche. An einem riesigen Tisch saß der Pfarrer und aß. Auf dem Teller vor ihm lag ein riesiges Stück Braten. So etwas hatte Gustav schon lange nicht mehr gesehen.

»Was ist, Gustav?«

Der Pfarrer schwenkte seinen Blick eher ein bisschen widerwillig von seinem Essen zu Gustav. Mit einer Serviette wischte er sich das Fett von seinem kauenden Mund. Gustav blickte hoch und streckte die Hand mit dem Brief aus.

»Hier, vom Herrn Lehrer. Den Brief soll ich Ihnen geben.«

»Danke, ist gut Gustav«, war die Antwort und schon fasste ihn die Haushälterin an die Schulter und schob ihn zur Tür.

Am Abend erzählte er seiner Mutter, was er erlebt hatte. Mutter hatte ihn angeschaut, als sie hörte, was Pfarrer Broszka alles zu essen hatte. Dann nahm sie seine Hand und sagte:

»Sei Gott gefällig, Gustav, dann wird es Dir auch wohl ergehen.«

Gustav wusste nicht so recht, was er damit anfangen sollte. Er hatte nichts getan, was Gott nicht hätte gefallen können, aber Mama würde es sicher besser wissen. Er wollte an Gott glauben, doch dafür bedurfte es weder übler Drohungen noch ständiger Ermahnungen.

Und Gott schaut zu

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