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Auf dem Türschild stand Kurt Karlsson und ein weiterer Name, aber der Mann in der Wohnung am Simpbylevägen war allgemein als Wonner bekannt. Seine Haare waren genauso dunkel wie der Anzug, den er trug. Und fast noch dunkler war seine Augenfarbe. Es funktionierte ausgezeichnet, wenn er sein Lächeln aufsetzte und sich in kultivierten Kreisen aufhielt. Besonders Frauen waren von seinem Aussehen und seinem Charme beeindruckt.

Jetzt warf er einen Blick auf seine Uhr und ging hinaus.

Fatima befand sich auf dem Heimweg von ihrer morgendlichen Trainingsrunde in Richtung Långgarn. Sie begann allmählich müde zu werden, während ihr der Schweiß zwischen den Schulterblättern hinablief, hielt jedoch das Tempo bei. Aus diesem Grunde konnte sie nur knapp ausweichen, als ein Mann mit langen Schritten auf den Simpbylevägen hinaustrat. In dem Augenblick, in dem sie auswich, hörte sie ihn etwas sagen, was wie ein freundliches »asta rochno« klang.

Als Fatima gerade unter die Dusche steigen wollte, klingelte das Telefon. Es war Malin: »Wir müssen uns treffen.«

Es dauerte drei Tage, ehe das Treffen zwischen den beiden Freundinnen zustande kam. Wenn Fatima frei hatte, musste Malin arbeiten und umgekehrt. Jetzt saßen sie an einem Ecktisch in einem Café in Finsta. Aus irgendeinem Grund hatten sie es für besser befunden, sich irgendwo außerhalb von Norrtälje zu treffen. Fatima begann damit, sich zu entschuldigen.

»In der letzten Woche gab es furchtbar viel zu tun, von dem Augenblick an, als wir Lars im Hafenbecken gefunden haben. Während der letzten Tage sind alle, die vom regulären Dienst abgezogen werden konnten, für die Suche nach einem verschwundenen Rentner eingeteilt worden. Trotzdem haben wir bis jetzt nur sein Auto und eine Thermoskanne gefunden, die ihm vermutlich auch gehört.«

»Wo hat die denn gelegen?«, fragte Malin, die nach jedem Strohhalm griff. Dann erzählte sie selbst ausführlich, was ihr auf dem Dach des Silos zugestoßen war, und sie sprachen lange über den Abend im Theater.

»Was passiert denn nun?«, fragte Malin. Sie sah Fatima an und dachte: Bin ich denn die Einzige auf der Welt, die Robert immer noch für unschuldig hält? Sowohl sie als auch Fatima waren im Gerichtsgebäude gewesen, als die Verhandlung wegen der Untersuchungshaft stattfand. Fatima als begleitende Polizistin und sie selbst als Angehörige. Malin erfuhr nicht, was besprochen wurde, da der Staatsanwalt darauf bestand, dass die Verhandlung hinter verschlossenen Türen stattfand. Sie wusste nur, dass Robert auf Grund überzeugender Indizien unter Mordverdacht stand. Es war unfassbar.

Sie saß immer noch da und betrachtete Fatima. Versuchte, die Stärke ihrer freundschaftlichen Verbundenheit auszuloten und stellte die Frage: »Ich weiß, dass er unschuldig ist, was weiß die Polizei, was weißt du?«

»Das wird schwierig werden«, sagte Fatima.

Malin zischte: »Was heißt denn schwierig! Glaubst du, dass er unschuldig ist, oder nicht?«

Fatima wollte nicht antworten, sie wollte nichts erzählen. Sie versuchte zuversichtlich auszusehen, als sie Malin ansah. Aber sie merkte, dass das nicht reichte. Malin war ihre beste Freundin und ihre Stütze gewesen, immer wenn sie jemanden gebraucht hatte. Jetzt waren die Rollen vertauscht. Sollte sie sich da hinter ihrem Beruf verstecken, sollte sie Sachen sagen wie »Schweigepflicht während der Voruntersuchung«, sollte sie sagen, dass sie ihre Stelle verlieren könnte? Nein, dachte sie, es gibt etwas, das über alles andere geht, etwas, das die Menschen dazu bringen kann, allen Ängsten, Gesetzen, Verordnungen oder was auch immer zu trotzen, denn sie wissen, dass das Wichtigste schlicht und einfach die reine Menschlichkeit ist. Ohne diese und ohne mutige Menschen, die gewagt hatten, sich vorhandenen Systemen entgegenzustellen, wäre es ihrer Familie niemals gelungen, nach Schweden zu gelangen. Fatima wusste, dass jetzt die Reihe an ihr war. Die Zeit war gekommen, etwas für einen anderen zu tun.

So erzählte sie dann, dass sowohl der Hafenmeister als auch der Lotse angehört worden waren und dass die Polizei versuchte, mit internationaler Hilfe die Besatzung der Melchior zu erreichen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.

»Du erzählst besser niemandem etwas, und im Hinblick darauf, was dir zugestoßen ist, wäre es eigentlich sicherer für dich, so wenig wie möglich zu wissen«, sagte Fatima. Dann erzählte sie von dem Volvo, der neben dem Transporter aufgetaucht war, als sie mit Robert in das Gerichtsgebäude fuhren. Robert war zusammengezuckt und hatte gesagt: »Der schon wieder«. Und als Fatima gefragt hatte, was er meine, hatte er gesagt, dass der Mann im Auto jemandem ähnele, der neben der Badeanstalt gestanden und hinauf zum Polizeirevier geblickt habe an diesem ersten Tag, als er und Fatima während der ersten Verhöre eine Kaffeepause eingelegt hatten. Als sich Fatima nach dem Volvo umsah, war er schon vorbei, und sie konnte nur noch einen dunklen Haarschopf über einer dunklen Jacke erkennen. Erst als Fatima dies Malin erzählte, fiel ihr der Mann wieder ein, den sie auf dem Simpbylevägen fast umgerannt hatte.

»Er war dunkel angezogen«, sagte Fatima. »Und weißt du was? Er sagte zu mir, ich solle aufpassen, aber er hat es auf Russisch gesagt.«

»Aber warum habt ihr Robert verhaftet, wenn ihr glaubt, dass es um etwas anderes geht?«

Fatima betrachtete ihre Freundin und überlegte, wie viel sie wohl vertrüge.

»Robert arbeitet in einem Lager in Görla. Wir wissen beide, dass er intelligent ist, ein bisschen faul vielleicht, aber wirklich nicht dumm. Warum arbeitet er dann in einem Lager, verstaut Reserveteile in verschiedenen Regalen? Vielleicht ist es nur so, dass er das tut, während er darüber nachdenkt, was er aus seinem Leben machen soll. Oder aber er arbeitet dort, weil es vielleicht jemand anderem nützt. Vielleicht hat ihn irgendjemand in der Hand, vielleicht ist er in irgendetwas verwickelt, was noch nicht einmal du weißt. Wir wissen, dass Lars Gustavsson ermordet wurde. Er hatte Schnittwunden an Händen und Unterarmen und Quetschungen am Hinterkopf. Und wir wissen, dass das Blut an Roberts Jacke von Lars Gustavsson stammt.«

Malin traute ihren Ohren nicht.

»Aber warum ist er dann selbst zur Polizei gegangen?«

Fatima blickte Malin tief in die Augen. »Erinnerst du dich, dass Robert und seine Kumpel im letzten Herbst die Fähre von Kapellskär nach Paldiski genommen haben, und das etwas passiert ist? Robert hatte sich von den anderen getrennt und war über Nacht verschwunden.«

»Er war doch nur blau«, sagte Malin.

»Ich will nicht sagen, dass es so war, aber dass es so gewesen sein könnte. Robert ist vielleicht zur Polizei gegangen, weil er genug hatte. Vielleicht dachte er, dass er auf diese Weise allem aus dem Weg gehen könne. Er weiß vielleicht etwas, was er nicht zu erzählen wagt, oder aber er ist, genau wie du sagst, vollkommen unschuldig.«

»Wenn er seit dem Herbst in irgendetwas verwickelt gewesen wäre, hätte ich das gemerkt. Sich betrinken, weggetreten sein und alles vergessen, das ist typisch Robert, nichts anderes.«

Fatimas Ehrlichkeit war schwer zu ertragen. Aber Malin sah auch, was es bedeutete, dass Fatima ihr Dinge erzählte, die eigentlich vertraulich waren. Ehe sie sich trennten, hatten sie sich für den nächsten Tag zum Laufen verabredet. Malin hatte einen Wunsch, wohin es gehen solle.

»In den Sika-Wald.«

Als sie am nächsten Morgen in die Gegend kamen, in der die Thermoskanne gefunden worden war, verringerten sie das Tempo und joggten ganz langsam, während sie den Boden vor sich absuchten. Malin fand, dass es angenehm sei, etwas langsamer zu laufen. Fatima hatte eine bessere Kondition als sie.

»Super, dass du auch während der Arbeitszeit trainieren kannst«, sagte Malin, aber Fatima war schon vorgelaufen und konnte sie nicht mehr hören.

Malin rutschte an einer Stelle weg, an der der Weg völlig uneben war. Das müssen die Autos der Suchtrupps gewesen sein, dachte sie und hob ein graublaues Stück Holz mit einem Nagel darin auf.

Da hatten die Suchtrupps ja Glück, dass sie keinen Platten bekommen haben, dachte sie. Gleichzeitig merkte sie, dass sie in der linken Seite Seitenstechen bekam.

Sie hielt das Stück Holz mit der Linken fest und ließ den Nagel zwischen Zeige- und Mittelfinger rausstehen. Zurück in der Stadt verabschiedete sie sich von Fatima, ohne weiter an das Stück Holz zu denken.

»Bis demnächst!«

»Sei vorsichtig.«

Das Seitenstechen hatte nachgelassen, aber das Stück Holz hielt Malin noch in der Hand.

Während sie erschöpft auf einen Stuhl im Flur sank, legte sie es auf den kleinen Tisch unter dem Spiegel. Sie bemerkte nicht, dass ein paar Buchstaben darauf standen: htobka. Es sah aus, als ob sie an ein Wortende gehörten, der Anfang war weggebrochen.

Schärenmorde

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