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Als Fatima Barsawi den Block und ihren Stift herausholte, hörte sie das Sirenengeheul der Ambulanz näherkommen. Der Lärm posaunte Eile aus, obwohl es dafür schon längst zu spät war. Ragny Granbergs Bericht, der schon vorher ziemlich unzusammenhängend gewesen war, weil sie so aufgeregt war, wurde durch die Sirene noch unverständlicher. Fatima glaubte, dass die Frau oder wenigstens ihr Hund mehr wussten, als das, was zu verstehen war.

»Lag und schwamm im Wasser … gehe immer hier lang … ist vorher noch nie passiert … muss so etwas vor dem Frühstück sehen … was ist nur los mit den Menschen? … Laila, die sonst nur bellt, wenn mein Bruder sie für die Jagd ausleiht … ich musste sie von der Kaimauer zurückziehen … wer kann das sein, die Sommergäste sind ja noch gar nicht da … die Leute trinken viel zu viel, deshalb gehe ich nicht auf die andere Seite, in den Societetspark, da liegen immer leere Flaschen und Bierdosen herum, obwohl es erst Mai ist. Du als Polizistin solltest besser Ordnung halten.«

Fatima notierte sich Ragny Granbergs Namen und Adresse und forderte sie auf, nach Hause zu gehen. Sie selbst trat dichter an die Kaimauer heran, wo das Motorboot vertäut lag, und betrachtete die Leiche im Wasser. Zwei weitere Streifenwagen trafen ein, und einige der Kollegen begannen, die Leiche zu bergen.

Es war immer noch recht früh am Morgen. Die wenigen Menschen, die schon unterwegs waren, kamen neugierig näher. Fatima half, das blau-weiße Absperrband aufzuspannen, obwohl sie fand, dass das unnötig sei. Es würde sicher keine genaue Tatortuntersuchung geben und der Tote bald eine erledigte Angelegenheit sein, abgelegt als vermutlicher Unfall. In diesem Augenblick sah sie die Flecken auf dem Asphalt, zog das Band noch ein paar Meter weiter aus und befestigte es ordentlich.

Fatima holte ihr Handy heraus und rief ihren Vorgesetzten, den Kriminalkommissar Harry Lindberg, an. Sie wusste, dass er frei hatte, dachte jedoch, dass er trotzdem informiert werden wollte.

»Wir sind gerade dabei, unten im Hafen eine Leiche aus dem Wasser zu holen. Ich dachte zuerst, dass es nichts ist, was sich genauer zu untersuchen lohnt, jetzt habe ich aber Blutflecken auf dem Asphalt entdeckt, die ziemlich frisch aussehen. Vielleicht sollte man doch in Täby anrufen und die Spurensicherung anfordern, obwohl es Samstag ist.«

Sie erhielt eine mürrisch gemurmelte Genehmigung und rief daraufhin in Täby an. Die Spurensicherung würde kommen, aber es könne dauern.

Die Leiche wurde auf die Kaimauer hinaufgehoben und Fatima trat einen Schritt zurück. Als sie das Gesicht des Toten sah, erkannte sie ihn sofort. Lars Gustavsson, der hochgewachsene, magere, musikbegeisterte Mathematiklehrer, der nach seiner Pensionierung in der Kleinstadtidylle zu einem Original geworden war. Intellektuell, belesen, äußerst redselig, aber reichlich selbstgefällig und oft auch ein wenig angetrunken. Fatima wusste, dass er ein Boot besaß, und sie nahm an, dass das Motorboot, auf dem gerade ein paar Polizisten herumkletterten, ihm gehörte.

»Seid vorsichtig mit dem Boot, es könnte dem Toten gehören, vielleicht sind Spuren darauf zu finden«, rief sie. Fatima zeigte der Spurensicherung die Blutflecken und stellte fest, dass nun wirklich alle da waren. Der verschlafene Kriminalreporter der Norrtelje Tidning, Olle Kärv, stieg gerade aus dem Auto. Er hatte eine Fotografin dabei, eine junge Frau mit hohen Absätzen, die die Kamera schon bereithielt, bevor sie die Autotür hinter sich zugemacht hatte.

Olle Kärv machte wie immer keine Umschweife.

»Gibt es schon etwas, was ich schreiben kann, oder soll ich lieber in ein paar Stunden anrufen?«

»Wir haben einen Toten aus dem Wasser gezogen. Im Augenblick weiß ich noch nichts weiter, und ich kann nicht absehen, wann es erste Ergebnisse gibt. Aber ruf an, wenn du willst. Ich habe nicht vor vier Uhr Dienstschluss«, antwortete Fatima.

Olle arbeitete jetzt das dritte Jahr als Kriminalreporter. Er wusste, wie schwer es bisweilen war, einen Polizisten telefonisch zu erreichen, auch wenn dieser versprochen hatte, da zu sein, und er dachte, dass es am besten sei, schon jetzt ein wenig Material zusammenzukratzen, sodass es wenigstens für eine Notiz oder eine etwas längere Bildunterschrift reichen könnte. Er versuchte es mit ein paar Fragen:

»Wie lange hat er dort gelegen?«, »Wer hat ihn gefunden?«, aber als er keine Antwort erhielt, sagte er resigniert: »Ich rufe an.«

Als Fatima gerade das Hafengelände verlassen wollte, kam ihr ein Mann mit schnellen Schritten entgegen. Er stellte sich vor die Absperrung, blickte an dem Motorboot vorbei den leeren Kai entlang und sagte: »Was ist das denn! Haben die schon abgelegt?«

Dann wandte er sich an Fatima: »Was ist denn hier passiert?«

Sie erzählte es ihm kurz und wollte wissen, wer er sei.

»Entschuldigung, ich hätte mich vorstellen sollen. Sune Johansson. Ich arbeite als Hafenvorsteher für die Firma Svevia. Die Gemeinde hat die Arbeit extern vergeben. Ich habe früher für die Gemeinde gearbeitet, jetzt bin ich eigentlich im Ruhestand. Svevia wollte mich jedoch unbedingt haben.«

Er wedelte mit einem Papier und beklagte sich: »Ich habe zu ungenaue Unterlagen erhalten, um eine Rechnung über die Hafenabgabe schicken zu können. Weder Gewicht noch Nummer des Schiffes sind angegeben. Jetzt wollte ich mit dem Kapitän sprechen, aber offenbar haben sie schon abgelegt, obwohl sie nicht vor Montag ausfahren sollten.«

»Welches Schiff?«, fragte Fatima und betrachtete einige Sportboote, die an der Südseite des Hafens in der Nähe des Societetsparks vertäut lagen.

»Das Lastschiff aus Sankt Petersburg, das gestern Abend mit Zement für das neue Hafengebäude angekommen ist. Sie hatten angefangen, die Ladung zu löschen, aber ich habe ihnen gesagt, dass sie warten müssten, da der Empfänger vor Montag keine Wagen bereitstellen könne.«

Aber Fatima reagierte weder auf das verschwundene Lastschiff noch auf Sune Johanssons Sorgen. Sie hörte ihn nur noch sagen: »Dann muss ich wohl eine E-Mail schicken«, ehe ihre Gedanken wieder zu dem toten Lars Gustavsson abschweiften.

Auf dem Weg zurück zur Polizeiwache rief sie ihre Freundin an, die sich sofort meldete: »Malin Skogh – Friseursalon Hårklipparna.«

»Ich komme vielleicht etwas später zum Training. Ich muss bis vier arbeiten und wir wollten uns ja um fünf treffen,« sagte Fatima.

»Ich kann doch heute gar nicht. Muss zu einem Kurs, hatte ich das nict gesagt?«, antwortete Malin.

Obwohl Fatima das eigentlich nicht durfte, konnte sie es doch nicht lassen, Malin zu erzählen:

»Erinnerst du dich an Lars Gustavsson, bei dem ich im letzten Jahr auf dem Gymnasium Mathe hatte?«

Fatima hatte ihn gemocht, vielleicht auch, weil die beiden bisweilen damit angaben, dass sie Russisch miteinander sprachen.

»Sicher, ich hatte ihn ja auch«, antwortete Malin, die zwei Klassen über Fatima gewesen war, aus irgendeinem Grund jedoch diejenige gewesen war, der sich Fatima am engsten angeschlossen hatte, seitdem sie als Kind nach Schweden gekommen war.

Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft – Fatima hatte ihre ersten Jahre in einem armseligen Dorf im Irak verbracht, ehe ihre Familie auf einer strapazenreichen Flucht durch Russland nach Schweden gekommen war, während Malin in einem sicheren Villenviertel in Kvisthamra aufwuchs – hatten sie dieselben Wertvorstellungen und waren über fast alles einer Meinung, außer bei der Wahl ihres Berufes. Als Malin ihre Friseurlehre begann, bewarb sich Fatima um die Aufnahme in die Polizeihochschule. Heute waren sie 32 und 30 Jahre alt und trafen sich regelmäßig. Auch wenn es oft nur beim Sport war.

»Man hat ihn tot im Hafenbecken gefunden«, sagte Fatima.

»Wie schrecklich«, antwortete Malin und schwieg. Sie sagte es noch einmal, und dann erklärte sie, dass sie auflegen müsse. »Ich habe noch einen Kunden.«

Erst am Montag, als Fatima das Bild in der Zeitung sah, bemerkte sie das Frachtschiff im Hintergrund. Man konnte es schräg hinter dem Rettungswagen sehen, der den größten Platz auf dem Foto einnahm. Es war gut zu erkennen, dass das Schiff sich ein ganzes Stück weit draußen in der Hafeneinfahrt befand. Auf dem Weg hinaus.

Bei ihrer Ankunft musste es am Kai gelegen haben, ohne dass sie darüber nachgedacht hatte; dann hatte es die Anker gelichtet und war hinausgefahren, ohne dass es jemand beachtet hätte. Sie bekam Selbstzweifel. Eigentlich fand sie sich in ihrem Beruf immer als sehr fähig, aufmerksam, reaktionsschnell. Ein so großes Frachtschiff nicht zu bemerken, lag weit unter ihrem Niveau. Sie schob es auf die aufgeregte Zeugin, auf die Irritationen wegen der lauten Sirenen des Rettungswagens und auf den Umstand, dass es sie stark getroffen hatte, ihren ehemaligen Mathematiklehrer dort als Leiche zu entdecken.

Schärenmorde

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