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Malin Skogh war müde, rastlos und leicht irritiert. Sie wanderte in der Wohnung herum und konnte sich nicht richtig damit abfinden, dass sie zuhause saß mit einer Tasse Tee und Joyce Carol Oates, mit ihren Gedanken aber ganz woanders war. Sie machte ihren Laptop an, öffnete Facebook und las, was einige ihrer alten Schulkameraden über Mittsommer gemacht hatten, was sie zu Mittag gegessen hatten, wessen Kind sich den Magen verdorben und sich im neuen Auto übergeben hatte.

Malin seufzte. Sie klickte »Mitteilungen« an und sah, dass sie eine Einladung von der Kunsthalle erhalten hatte. Es ging um eine Sonderführung durch die Ausstellung des Gräddö-Künstlers Sander Karlsson, eines alten Bekannten von ihr. Da ihr im Moment jede Art von ablenkung entgegen kam, beschloss sie spontan, an der Führung teilzunehmen.

Sie duschte. Dann schlüpfte sie in das schwarze Kleid mit ein wenig zu viel Rückenausschnitt, putzte sich die Zähne und trank ein eiskaltes Starobrno, während sie am Computer saß. Sie rief Fatima an und sprach ihre Pläne auf den Anrufbeantworter. Sie rief Erik und Elin an, die gerade bei einer Thai-Mahlzeit saßen und fernsahen. Sie musste alleine gehen.

Sie zog ihre Jeansjacke über das kleine Schwarze und rundete das Ganze mit einem dünnen Halstuch aus indischer Seide ab. Eine richtige Frau kommt selbst zurecht, hatte ihre Großmutter immer gesagt und ihr Moa-Martinson-Bücher und fünfhundert Kronen zu Weihnachten geschenkt.

Einen Kuss für dich, Großmutter, dachte Malin, und war froh, dass sich die Großmutter keine Gedanken wegen Robert machen musste. Dass sie sich überhaupt keine Gedanken mehr machen musste.

Malin ging in den Juniabend hinaus und dachte an Elias und seinen Computerfund, und dass es vielleicht ganz gut sei, sich noch einmal mit diesem kleinen Jungen zu unterhalten, der sich ein wenig in seiner eigenen Welt umzusehen schien. Und dann dachte sie an Ronald Schneider und dass sie mit ihm diesen Karteikram vom Karateclub kontrollieren müsse.

Malin ging mit leichten Schritten die Hantverkaregatan entlang und überquerte den Lilla Torget in Richtung Norrtäljes Kunsthalle.

Solche Art von Abenden pflegten die besten zu sein, unvorbereitet und allein, dachte sie, als sie einen bekannten Rücken in Richtung Kunsthalle abbiegen sah.

Sie erwarteten ihn. Auf alte Bauernweise ruderte er stehend, mit dem Gesicht zum Bug hin. Er parierte die Wellen, die von den Sportbooten kamen, welche den Havspiren als Ziel hatten. Es war erstaunlich ruhig bei der Einfahrt. Die Silos wurden größer und der Schatten des Schornsteins der S/S Norrtelje zeichnete sich gegen die noch hoch stehende Sonne ab.

Er fühlte sich ein wenig unwohl. Aber das war nichts Ungewöhnliches, wenn solche Veranstaltungen anstanden. Der Chef der Kunsthalle hatte schon seit dem letzten Frühjahr darauf gedrängt, dass er etwas tun solle. Das widerstrebte ihm. Er war am liebsten zuhause auf seinem Hof.

Beim Holz. Drehte seine Runden um die Werkstatt. Las. Wusch ab. Kümmerte sich um die Kinder, wenn Wilma Tagesdienst im Krankenhaus hatte.

»Des Holzes eingeborene Authentizität« untersuchen, wie der Rezensent geschrieben hatte. Genau, dachte Sander Karlsson und duckte sich unter der Norrtäljebrücke. Das Holz hatte seine Form. Dagegen konnte man nichts machen. Am allerwenigsten er selbst. Er folgte ihm. Oder besser, er nahm dessen ausgestreckte Hand und wurde weiter in den Gegenstand geführt, um »dessen einzigartige Historizität« zu entdecken, wie der Rezensent weiter ausgeführt hatte.

Sander Karlsson setzte sich und machte noch ein paar kräftige Ruderschläge, ehe er am Kai unterhalb der Kunsthalle anlegte. Er dachte an seinen Vater, der sich nie für Sanders Segeltouren interessiert hatte, außer dass er hören wollte, wie er angelegt hatte. »Seid ihr auf Grund gelaufen?«, hatte er gefragt, und das gefurchte, freundliche Gesicht sah neugierig aus.

»Ja, zweimal«, pflegte er zu sagen. Auch wenn es nicht stimmte. Aber dem Vater gelang es immer, die Wahrheit aus ihm herauszulocken.

Sander machte das Boot fest und ging die 35 Treppenstufen bis zur Kunsthalle hinauf.

»Jetzt kommt er.«

Ein vereinzelter Palästinenserschal war zwischen den Jacken und Röcken der gedämpft murmelnden Versammlung sichtbar.

Sie hatten auf ihn gewartet. Der Chef der Kunsthalle hatte schon eine kleine Einleitung in Sander Karlssons Kunst gegeben und empfing ihn nun mit offenen Armen. Sander war nass nach seiner Rudertour und wirkte sichtlich gerührt über den spontanen Applaus, der ihn empfing. Er bekam ein Glas Wein und wurde durch die Besuchermenge geführt. Einige kannte er flüchtig. Andere waren alte Bekannte. Das hier war ungefähr das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte.

Sich unter die Leute mischen. Reden. Das endete meist damit, dass er gewissermaßen durch die Leute sank und wie zu einer Struktur in der Wand wurde, bis er verschwinden und nach Haus fahren konnte. Er hatte inzwischen ein Dutzend Leute begrüßt, genauso viele Gespräche begonnen und abrupt beendet, als sich dieser fast außerirdische Tunnelblick wieder bei ihm bemerkbar machte.

Jetzt war er auf dem Weg in die Wand, als er plötzlich eine Hand auf seinem Arm fühlte.

»Hallo, Sander! Was für eine schöne Ausstellung.«

Malin Skogh stand lächelnd vor ihm. Das weiße Lächeln war durch die Beleuchtung der Kunsthalle leicht gefärbt, aber sie sah sowohl froh als auch erleichtert aus. Trotz allem, was passiert war.

»Hallo, Malin … es tut mir leid …«

»Ja, danke. Im Augenblick ist alles etwas durcheinander.«

Erst jetzt bemerkte Sander den Mann an ihrer Seite.

»Angenehm«, sagte Schneider und hob eine Augenbraue. »Deine Kunst erinnert mich an einen Künstler, dessen Namen ich im Moment vergessen habe. Aber genau wie ihm ist es dir gelungen, die eigentliche Seele der Natur in deinen Werken beizubehalten«, sagte Schneider und trank einen Schluck Wein.

»Danke«, erwiderte Sander und wurde rot.

»Als ich dich mit dem Ruderboot kommen sah, habe ich geglaubt, du würdest es mit reinbringen, um eine Art Vorstellung zu geben«, sagte Schneider und zog die Augenbraue noch ein wenig weiter nach oben.

Sander kam nicht umhin, sich über den Akzent des Mannes zu wundern. Amerikaner vielleicht. Er klang jedoch wie jemand, der wusste, wovon er redete.

»Sander arbeitet ganz und gar nicht auf solche Art und Weise.«

Der Chef der Kunsthalle Wachtenfelt mischte sich in die Unterhaltung und musterte den dunkel gekleideten Mann.

Schicke Jacke, dachte Fredrik von Wachtenfelt und stellte sich vor.

»Ronald Schneider«, antwortete der andere und fasste Malin leichter unter den Arm.

»Und das ist Fräulein Malin Skogh.«

Wachtenfelt brach in ein großes Gelächter aus, das auf Schneider und Malin ansteckend wirkte.

»Ja, sie hat mir die letzten acht Jahre die Haare geschnitten«, sagte Wachtenfelt, »schneidet sie sie Ihnen auch?«

Wachtenfelt wartete die Antwort nicht ab, sondern fasste Sander am Ellbogen und führte ihn an dem groß gewachsenen Kulturchef vorbei, der neben Sanders großer Skulptur »Der Stier« Hof hielt.

Malin sah zu Schneider auf und lächelte.

»Ronald, alle Achtung. Verstehst du so viel von Kunst?«

»Ach was. Aber Torsten Rehnqvist ist doch einer von euern Großen«, sagte Schneider und wandte sich Malin zu. »Und du? Monet oder Kandinsky? Rembrandt oder Malevitsch?«

»Nein. Ich bin mehr für Fotografie. Sarah Moon, Sally Mann.«

Schneider nickte. Sally Mann war ihm etwas zu realistisch, aber er sagte nichts, sondern holte Malin noch ein weiteres Glas Rotwein.

»Du erwähntest etwas über Probleme mit einem Register?«

Jetzt war Malin an der Reihe, rot zu werden. In einem schwachen

Augenblick hatte sie versprochen, eine gute Lösung für das Mitgliederregister des Karateclubs zu finden. Obwohl sie sich eigentlich nicht allzu sehr für Computerlösungen oder die Einrichtung von Registern interessierte, war sie es leid, dass immer irgendein Mann auftauchte und sich erbot, das etwas angeschlagene Programm in Ordnung zu bringen, das danach ein halbes Jahr hielt, um dann auszufallen und noch mehr durcheinanderzubringen, als vorher.

»Wie gut kennst du dich mit Registern aus?«, fragte sie Schneider.

»Register? Ich bin ein Register«, sagte Ronald Schneider und zog ein Zigarettenetui aus seiner Jackentasche.

»Smoke?«, fragte er und lächelte breit.

Malin sah ihn an und lachte.

»Warum nicht? Es ist wohl nie zu spät, um wieder anzufangen«, sagte sie und zog eine Zigarette aus dem kleinen silbernen Etui mit einem kleinen vergoldeten Raubvogel.

Adler, dachte Malin, ehe sie Schneider hinaus in den Juniabend folgte.

Schärenmorde

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