Читать книгу Schärenmorde - Erik Eriksson - Страница 13
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ОглавлениеDer Mann, der Wonner genannt wurde, wachte von einem Geräusch auf, das er nur zu gut kannte, das er aber durchaus nicht schätzte.
Der Wecker klingelte.
Er drückte den Wecker stumm und schaute auf die Zeitangabe. Sie zeigte Viertel vor zwei morgens. Es war Donnerstag, und es begann draußen gerade hell zu werden.
Wonner gähnte und saß eine Weile ganz still auf der Bettkante. Hauptsächlich, um sich selbst Zeit zum Aufwachen zu geben. Nach ein paar Minuten stand er auf und streckte sich.
Zeit, um in Gang zu kommen, dachte er.
Eine dreiviertel Stunde später saß er am Küchentisch im Simbylevägen, frisch geduscht und gekämmt, eine Tasse starken schwarzen Kaffee vor sich. Er trank vorsichtig von dem heißen Getränk und fingerte gleichzeitig mit der anderen Hand an dem Laptop herum, der vor ihm auf dem Tisch stand. Er trank noch einen Schluck, bevor er den Internetbrowser öffnete und eine Adresse eingab:
Eine Homepage, von der er nicht genau wusste, wer dahinter stand, die sich jedoch als sehr nützlich erwiesen hatte. Sie zeigte den Schiffsverkehr in der ganzen Welt an.
Er zoomte auf einer Karte die Ostsee heran. Er wartete und trank unterdessen noch einen Schluck Kaffee. Bald tauchte eine Menge Schiffe auf der Karte vor ihm auf. Dort gab es Passagierfähren, Frachtschiffe und Tanker. Die ganze Ostsee war voll mit Schiffen.
Was für ein Gewimmel, dachte er. Wenn die Leute wüssten, wie viel über die Weltmeere hin und her transportiert wird.
Wonner zoomte noch einmal. Jetzt erschien nur das Åländische Meer. Noch mehr Schiffe tauchten auf. Er hielt die Maus über die kleinen Schiffsicons, um zu sehen, um welche Schiffe es sich handelte und wohin sie unterwegs waren.
Wonner fand das, was er suchte, auf halbem Wege zwischen Åland und Söderarm. Sertem Explorer. Mit 14,6 Knoten auf dem Weg in Richtung schwedische Küste. Bestimmung: Norrtälje.
Wonner stand auf, ging ins Wohnzimmer und blickte aus dem Fenster. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Er hatte dieses Gefühl schon seit mehreren Tagen und wurde die Ahnung nicht los, dass ihm jemand auf den Fersen war.
Wonners Augen verengten sich.
Wir dürfen keine Risiken eingehen, dachte er. Wir dürfen keine Aufmerksamkeit erregen. In den letzten Wochen ist allzu viel passiert, Dinge, die meinen Auftraggeber misstrauisch werden lassen könnten. Was soll ich zu meiner Verteidigung vorbringen? Dass ich Idioten beschäftige? Idioten, die zuerst töten und dann denken?
Wonner seufzte. Er schloss die Webseite, ehe er den Laptop zuklappte. Dann griff er nach seinem Handy und wählte eine Nummer. Nach zwei Signalen wurde abgenommen. Die Stimme am Telefon sprach Russisch.
»Ja?«
»Ich bin es«, sagte Wonner. »Ist alles klar für die Lieferung?«
»Keine Probleme«, antwortete die Stimme.
Der Empfang wurde für einen Augenblick unterbrochen. Wonner hörte, wie es knisterte. Dann war die Stimme wieder da.
»Ist alles vorbereitet?«
Wonner sah auf seine Armbanduhr.
»Ja, sie kommen«, sagte er.
Entlang der Südseite der Furusundrinne, zwischen Kapellskär und Söderarm, liegt eine Inselkette. Sie beginnt mit Plomman in der Nähe von Kapellskär. Eine sagenhaft schöne Insel mit Sandstränden, an der die Bootsbesatzungen und besonders auch die lokale Bevölkerung anzulegen pflegen, um den allzu heißen Sommertagen auf dem Festland zu entkommen. Die Fahrrinne geht dann weiter an der westlichen und der östlichen Lerschäre vorbei, ehe auf der rechten Seite eine Inselgruppe auftaucht, die Viggskären genannt wird. Eigentlich handelt es sich um eine Riesenansammlung von Inseln, bei denen sich niemand die Mühe gemacht hat, ihnen einen Namen zu geben.
Ziemlich anspruchslose Inseln. Auf einer der Inseln gibt es einen öffentlichen Abtritt, den aber selten jemand benutzt.
Dafür gibt es zwei Gründe.
Der erste Grund ist das Meer. Es ist wichtig festzustellen, aus welcher Richtung der Wind kommt, falls man die Absicht hat, bei den Viggskären anzulegen. Bei nordöstlichem Wind schlagen dort hohe Wellen vom Meer aus auf, und dann kann es gefährlich sein, mit kleinen Schiffen zu diesen Inseln hinauszufahren. Es gibt viele Untiefen. Und das Meer ist tückisch.
Das Zweite, an das man denken muss, ist der Schiffsverkehr. Die großen Fähren oder Schiffe, die zwischen Stockholm, Norrtälje oder Kapellskär hin und her fahren, werfen große Wellen auf, was dazu führen kann, dass kleinere Boote – oder auch etwas größere – zerschlagen werden können, wenn sie an den Stränden der Viggskären auf der Nordseite vertäut liegen. Das Ganze pflegt damit zu beginnen, dass sich das Wasser immer stärker bewegt, aus den kleinen Buchten herausgezogen wird, um dann anzusteigen. Die Bewegung schaukelt sich dann immer höher. Die Ankerleinen spannen sich, die Boote beginnen zu schwanken. Dann kommen die Wellen.
Es passiert leicht, dass man davon überrascht wird.
Und wenn man überrascht wird, dann ist es in der Regel zu spät.
All das wusste Erik Jansson aus Östernäs auf Rådmansö sehr genau, als er früh bei Sonnenaufgang sein geschütztes Nachtlager auf der Leeseite einer Schäre verließ und um die nördliche, etwas exponierter liegende Seite der Insel segelte. Die Netze sollten geleert werden.
Und Barsch ist gut, dachte Erik Jansson, als er den Außenbordmotor abstellte. Über seinen schmalen Augenschlitzen befanden sich ein paar buschige Augenbrauen, die vermutlich schon während der Pubertät zusammengewachsen waren.
Erik Jansson hatte gerade etwas aus dem Augenwinkel heraus bemerkt. Etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Etwas, das ihn dazu veranlasste, nach oben zu sehen, statt hinunter auf den Meeresboden.
Direkt im Norden sah er Köttkobben, eine Insel, auf der er als kleiner Junge Brassen mit Pfeil und Bogen geschossen hatte. Im Osten sah er, wie schon viele Male zuvor, den Leuchtturm von Söderarm. Er bedeutete Sicherheit auf den Fahrrinnen. Ein immer zuverlässiger Wächter über den Schärengarten und seine Bevölkerung.
Bei Nygrund, auf der rechten Seite des Köttkobben, glitt in der Morgendämmerung ein rostiges Schiff ruhig vorbei.
Erik Jansson schielte zum Schiff hin. Plötzlich bemerkte er ein kleineres Boot, das langsam hinter dem Köttkobben hervorkam, einige hundert Meter entfernt von dem Schiff. Das Boot kannte er nicht.
Alles weitere geschah im Verlauf weniger Minuten.
Jansson sah, wie das Frachtschiff seine Fahrt verlangsamte. Er fragte sich warum. Kurz darauf beobachtete er, wie das kleine Ruderboot am Heck des Schiffes anlegte. Wieder fragte er sich nach dem Grund. Noch ein wenig später fuhr das kleine Boot auf demselben Weg zurück, auf dem es gekommen war und verschwand hinter dem Köttkobben.
Jansson kratzte sich am Hinterkopf.
Das war ja seltsam, dachte er.
Und dann begann er, die Netze heraufzuziehen.
Vier Stunden später glitt die Sertem Explorer in den Hafen von Norrtälje hinein. Im Societetspark führten Frühaufsteher ihre Hunde aus. Einige von ihnen gingen die Hafenpromenade entlang. Ein Mann joggte auf dem Rasen in Richtung Landungsbrücke.
Wonner kümmerte sich nicht um sie.
Er stand in dem Wäldchen oberhalb vom Societetspark versteckt und suchte den Hafen ab, beobachtete jedoch nicht das Schiff, das begann, im Hafen anzulegen. Wonner interessierte sich für etwas anderes. Er suchte nach etwas, das nicht so war, wie es sein sollte.
Zuerst blickte er in Richtung S/S Norrtelje. Dann ließ er den Blick langsam über den Kai an den Liegeplätzen vorbeischweifen. Er hielt plötzlich inne, als er einen Mann sah, der am Fuße des größten Silos stand und sich vorbeugte. Wonner senkte den Blick und überlegte eine Weile, dann hob er den Blick wieder und suchte den Hafenbereich weiter ab.
Plötzlich erblickte er das, wonach er suchte. Eine Abweichung. Er sah etwas, was sich normalerweise nicht dort befand.
Es war eine Frau.
Wonner spürte ein warmes Gefühl der Zufriedenheit. Er hatte Recht gehabt. Sein Bauchgefühl war richtig gewesen. Die Frau stand dort, um die Sertem Explorer zu beobachten, das war offensichtlich. Sie stand dort und wartete auf das Schiff, da sie offenbar irgendetwas wusste oder erwartete.
Wonner sah plötzlich außerordentlich ernst aus. Das zufriedene Gefühl war verschwunden. Sein Gesicht sah aus wie versteinert.
»Dieses Mal«, sagte er leise zu sich selbst, »dieses Mal kannst du schnüffeln, so viel du willst, Fatima Barsawi.«