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Lennart Wärlin hatte, obwohl er Pensionär war, einen vollen Terminkalender. Montags stand ein Rundgang durch Norrtälje auf der Tagesordnung, mit einem Besuch der Konditorei Töss auf einen Kaffee und der dazugehörigen Zimtschnecke. Dienstags waren eine Autofahrt und ein langer Spaziergang im Sika-Wald an der Reihe. Mittwochs wanderte Lennart Wärlin in einem zügigen Tempo den Slalomhügel hinauf und weiter bis zum Björnö-Hof. Donnerstags und freitags hatte er seine sogenannten »freien Tage«. Samstags stand eine Wanderung hinaus nach Nothamn auf der Halbinsel Väddö auf dem Programm – Lennart Wärlins persönlicher Lieblingsweg – und sonntags ging er nach Frötuna in die Kirche.

Nun war es Dienstagmorgen, und Lennart Wärlin saß auf einem Baumstumpf an einem See im Sika-Wald, von dem er glaubte, dass er Mörtsjö hieß. Er war sich nicht ganz sicher. Der Sika-Wald war voller Teiche und Seen, in denen kaum jemals jemand gebadet hatte oder auf denen jemals gerudert worden war.

Ein Reiher landete auf dem gegenüberliegenden Seeufer. Lennart gefiel, was er sah. Das gab ihm Ruhe.

Er hatte gerade sein zweites Wurstbrot aufgegessen, als ein weißer Lieferwagen auf dem ansonsten einsamen Kiesweg, nur hundert Meter von Lennarts Baumstumpf entfernt, hielt. Dann traf noch ein Wagen ein. Er sah, wie zwei Männer kleine Pakete aus dem Lieferwagen in den Kofferraum des zweiten Wagens umluden. Er glaubte zu erkennen, dass es sich bei dem zweiten Wagen um einen Volvo handelte. Lieferwagen konnte er nicht auseinanderhalten. Sie sahen alle gleich aus. Eine blöde Idee, dachte Lennart. Entweder hat man ein Auto oder man hat einen Lastwagen. Kleintransporter sind nichts Halbes und nichts Ganzes.

Er stand auf und streckte sich. Es war noch früh am Morgen, und es würde ein schöner Frühsommertag werden.

Erst jetzt bemerkten die Männer bei den Wagen, dass sie nicht allein waren. Sie winkten kurz zu Lennart hinüber, der fröhlich zurückwinkte. Lennart sah, dass sie eine Weile miteinander sprachen, ehe sie sich aufmachten, um zu ihm hinüberzukommen.

Lennart blickte in seinen Rucksack hinein, holte seine Thermosflasche heraus und schüttelte sie. Ja, es würde auch noch für einen Schluck Kaffee für die Männer reichen.

Eine Minute später erhob sich ein Reiher vom Ufer des Mörtsjö, aufgeschreckt durch einen Laut, den man sonst nicht so oft im Wald zu hören bekam.

Lennart war beliebt. Er würde von vielen vermisst werden.

Aber niemand würde ihn jemals finden.

Robert Skogh war kein Dummkopf, selbst wenn die meisten seiner ehemaligen Freundinnen in diesem Punkt sicher anderer Meinung sein würden. Er hatte das Gymnasium mit einem guten Zeugnis abgeschlossen und die Berufswelt stand ihm offen, wenn er nur etwas zielstrebiger gewesen wäre. Genau da lag Roberts größtes Problem. Er konnte sich selten zu etwas aufraffen. Das störte ihn natürlich zuweilen, da er wusste, dass Erfolg von Energie abhing. Die allerdings war bei ihm nicht gerade im Überfluss vorhanden.

Dämlich bin ich auf jeden Fall nicht, dachte er. Auch wenn er einsah, dass er einen ziemlich einfältigen Eindruck machte, am mahagonibraunen Tisch im Vernehmungsraum 2 auf der Polizeiwache von Norrtälje. Er war gekommen, um Hinweise zu geben. Jetzt saß er im Verhör.

Und das, dachte Robert, war auf jeden Fall ziemlich bescheuert.

»Blut auf der Jacke? Nein, das weiß ich nicht. Vielleicht habe ich mich geschnitten?«

Er hörte selbst, wie albern das klang, wie dumm er sich ausdrückte. Er versuchte, sich etwas Besseres auszudenken – versuchte, einen Hergang der Ereignisse zu finden –, ihm fehlten jedoch die Worte. Nichts, was als Erklärung dafür herhalten könnte, warum er Blutspuren an seiner Jacke hatte. »In der Nacht zum Samstag? Ich kann mich an nichts erinnern«, sagte er, »es tut mir leid.«

»Sagt dir der Name Lars Gustavsson etwas?«

Robert musste nicht aufblicken, um die Stimme zu erkennen. Fatima Barsawi war hereingekommen. Die Freundin seiner Schwester Malin. Eine schöne Frau, der er gerne einen Platz in seinem Herzen eingeräumt hätte. Dort, wo gerade niemand wohnte, dachte er.

Verständnislos schüttelte er den Kopf. »Nein, im Augenblick nicht. Aber hör mal: Ich würde doch nicht herkommen, wenn ich jemanden getötet hätte. Ich habe nur erzählt, was ich weiß.«

Er hatte seine Stimme erhoben. Kriminalkommissar Harry Lindgren notierte den plötzlichen Gefühlsausbruch in seinem Notizbuch.

»Ich habe davon in der Zeitung gelesen«, fuhr Robert fort. »Und ich dachte, ich könnte vielleicht behilflich sein.«

»Bei was?«, fragte Harry Lindgren. »Du erinnerst dich ja an nichts.«

Robert verstummte.

»Es gibt ein Foto«, fuhr Harry Lindgren fort und legte einen Abzug auf den Tisch. »Das zeigt zwei Männer an der Kaimauer und ist in der Nacht von Freitag auf Samstag aufgenommen worden. Um 2:48 Uhr, um genau zu sein.«

Robert betrachtete das Foto. Es schien, als ob es vom Societetspark aus aufgenommen worden war. Im Vordergrund sah man die Wasserfläche des Hafenbeckens, und im Hintergrund waren zwei Gestalten zu erkennen. Die eine Person war hell angezogen.

»Erkennst du dich darauf?«, fragte Harry Lindgren.

Robert betrachtete das Foto noch einmal. Dieses Mal sah er erstaunt aus.

»Das könnte ich schon sein«, sagte er. »Aber ich weiß nicht. Genauso gut könnte es jemand anders sein.«

Harry Lindgren seufzte, schaltete das Aufnahmegerät aus und stand auf.

»Das hier ist zwecklos«, sagte er. »Ich muss mal auf die Toilette.«

Alles war vorgeplant. Wenn sie nicht weiterkamen, wollte Harry den Raum verlassen, und Fatima Barsawi sollte übernehmen. Fatima kannte Robert. Sie wusste auf jeden Fall, wer er war. »Lass mich einen Versuch machen, wenn es nicht klappt«, hatte sie gesagt.

Lindgren blickte über die Schulter zurück und verließ den Raum.

»Möchtest du Kaffee?«, fragte Fatima.

»Ja, gerne«, sagte Robert.

Sie traten auf den Flur hinaus und gingen bis zu einem Raum mit einer Kochnische und einer Kaffeemaschine, die einen schwer genießbaren, aber zweckmäßigen Kaffee hervorbrachte. Durch das Fenster konnte Robert den Verkehr auf dem Stockholmsvägen sehen, und er beobachtete, wie die Schlange vom Hotel Esplanade her immer länger wurde, als ein Autofahrer nach dem anderen verzweifelt versuchte, sich in den zunehmenden Sommerverkehr auf der Durchgangsstraße einzuordnen. An der Tankstelle stand eine Frau mit einem Kind an der Hand und nahm sich viel zu viel Zeit am Kartenautomaten. Robert konnte sehen, wie sich die Leute in der hinter ihr wartenden Schlange darüber aufregten. An der Schwimmhalle marschierten Kindergartenkinder in Reih und Glied durch die Tür zum Schwimmunterricht. Einen kurzen Moment lang erblickte er einen Mann, der an der Ecke der Schwimmhalle stand und fragte sich, was der dort zu suchen hatte. Er fühlte sich plötzlich unangenehm berührt.

Fatima stellte sich neben ihn und reichte ihm eine Tasse Kaffee.

»Wir müssen dich hierbehalten«, sagte sie. »Deine Geschichte klingt ziemlich diffus, und wir müssen die Blutflecken untersuchen.«

Robert nickte.

»Das verstehe ich«, sagte er. »Aber ich bin mir fast sicher, dass ich nichts getan habe.«

»Fast sicher?«

»Ja.«

»Robert«, sagte Fatima. »Möchtest du, dass ich jemanden anrufe?«

»Ja, ruf Malin an. Erzähl ihr, was passiert ist.«

Der gepflegt gekleidete Mann war sowohl zufrieden als auch äußerst unzufrieden. Zufrieden darüber, dass er Robert auf der Polizeiwache gesehen hatte. Unzufrieden allerdings, dass auch dieser ihn bemerkt hatte. Das hätte nicht passieren dürfen. Das war ein Fehler, der einem Profi wie ihm nicht hätte unterlaufen dürfen. Er war sichtlich irritiert. Er ging mit schnellen Schritten am Fluss entlang und stieß ab und zu kleine Steine hinein, die hungrige Stockenten für Brotkrümel hielten. Auf jeden Fall hat er keine Ahnung, wer ich bin, dachte er. Er hat mich gesehen, aber er weiß nicht, was er gesehen hat.

Die Überlegung beruhigte ihn.

Er ging über die Brücke am Kraftwerk und setzte sich auf eine der Bänke in dem kleinen Park. Er holte sein Handy heraus und wählte eine Nummer.

»Ich bins«, sagte er. »Wie ging es im Wald?«

»Problem gelöst«, wurde ihm geantwortet. »Die Waren sind geliefert worden.«

»Gut«, sagte der Mann auf der Parkbank, drückte das Gespräch weg und blinzelte in die Sonne.

Es war ein recht schöner Frühsommertag, trotz allem.

Schärenmorde

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