Читать книгу Jürgen Klinsmann - Fußball ohne Grenzen - Erik Kirschbaum - Страница 12
Fünf Tore
ОглавлениеKlinsmann war in der Bundesliga von Anfang an erfolgreich, obwohl er gerade erst 20 geworden war und plötzlich den besten Spielern der Bundesrepublik gegenüberstand. Die elektrisierende Atmosphäre in den Bundesligastadien beflügelte ihn, wo jeden Sonnabend bis zu 80.000 Leute die Spiele verfolgten. Er liebte die Begeisterung, die sich in der Stadt die Woche über nach und nach bis fast zur Ekstase aufbaute, ein Crescendo der Aufregung in den Tagen bis zum Spiel. Die Stadien waren oft ausverkauft, die Menge dichtgedrängt und oft für die vollen 90 Minuten stehend. Wurde ein Tor geschossen, feierten die Menschen dies mit ohrenbetäubenden Jubelschreien.
Klinsmann hörte diesen Jubel während seiner Saison als Anfänger beim VfB oft, als er 15 Tore schoss und bei 32 von 34 Spielen zum Einsatz kam – häufiger als jeder andere Feldspieler. Es gelang Klinsmann über die Dauer seiner gesamten Karriere die solide Torbilanz von durchschnittlich etwa einem Tor in jedem zweiten Spiel aufrechtzuerhalten.
Klinsmann entwickelte sich beim VfB Stuttgart nicht nur als Spieler, sondern auch in seiner Persönlichkeit. Er liebte es, im Neckar-Stadion in Stuttgart zu spielen, in das sein Vater ihn als Kind mitgenommen hatte, um ein Spiel gegen Hertha BSC anzusehen. Damals, in den späten 80er-Jahren, reisten die Bundesligavereine zu den Spielen innerhalb der Bundesrepublik oft im Mannschaftsbus an. Während viele seiner Mitspieler Karten spielten oder Musik hörten, nutzte Klinsmann die freie Zeit oft damit, Fanpost zu lesen und zu beantworten. Er entschied sich sehr früh, diese Briefe nicht mit nach Hause zu nehmen. Es war der Prozess, Privatleben und Beruf zu trennen. Er ist sich auch hierbei seitdem treu geblieben.
Das Ansehen des Sports, den viele so liebten, war durch Skandale in den frühen 80er-Jahren befleckt worden. Klinsmanns beeindruckende erste Saison, seine energiegeladene Spielweise sowie seine überschwängliche, ungehemmte Freude, wenn er ein Tor erzielte, erwiesen sich als willkommene Erfrischung für viele Fans, die sich nach neuen Gesichtern und einem neuen Start sehnten. Klinsmanns zweite Saison in der Bundesliga 1985/86 begann nicht so gut wie die erste. Helmut Benthaus war der Trainer in seiner ersten Saison, aber er wurde ersetzt durch Otto Baric. Allerdings feuerte der VfB Stuttgart Baric im März.
Die Spieler hatten sich mit Baric schwergetan, der ausgesprochen kritisch den meisten gegenüber war. Unmittelbar nachdem der Kroate weg war, schoss Klinsmann im nächsten Spiel fünf Tore für Stuttgart und hatte damit einen maßgeblichen Anteil an Stuttgarts 7:0-Sieg gegen Düsseldorf. Damit war er einer von nur elf Bundesligaspielern, die jemals fünf Tore in einem einzigen Spiel geschossen hatten.
„Stuttgart hatte Baric eine Woche zuvor entlassen“, erzählt Klinsmann, während er zugibt, dass er sich mit Baric einfach nicht verstanden hatte. „Als der Co-Trainer übernahm, fühlte ich mich wieder frei und selbstbewusst. Und ich zeigte das gleich im nächsten Spiel.“
Barics Nachfolger, Willi Entenmann, gelang es, das Ruder herumzureißen und der VfB schaffte es bis ins DFB-Pokalfinale.
In diesem Pokalendspiel im Mai 1986 standen sich zwei Erstligisten gegenüber, der VfB und Bayern München. Der Favorit Bayern München gewann vor 70.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion mit 5:2. Klinsmann hatte eine entscheidende Rolle dabei gespielt, dass sein Team überhaupt so weit gekommen war. Von der Niederlage war er am Boden zerstört und brach hinterher in aller Öffentlichkeit in Tränen aus. Die bewegenden Bilder von Klinsmann, wie er seinen Gefühlen freien Lauf ließ, boten den Deutschen einen willkommenen Eindruck seiner Leidenschaft. Es zeigte ihnen, dass es tatsächlich Spieler gab, die genauso stark empfanden wie sie selber. Es war ein kurzer, aber bedeutender Moment, der half, die Popularität und die öffentliche Unterstützung für den Fußball wiederzugewinnen. Das vorausgegangene Jahrzehnt war – wie gesagt – schwierig für den Fußball in der Bundesrepublik gewesen, verstärkt von der in der Öffentlichkeit vorherrschenden Meinung, dass der Sport bereits durch zu viel Kommerz unterwandert und viele Spieler überbezahlt und zu wenig leistungsbereit seien.