Читать книгу Jürgen Klinsmann - Fußball ohne Grenzen - Erik Kirschbaum - Страница 14
Das Debüt gegen Brasilien
ОглавлениеKlinsmanns harte Arbeit zahlte sich einmal mehr aus. Er hatte mit dem VfB Stuttgart 1987/88 einen ersten verlockenden Eindruck vom internationalen Fußball bekommen, als Stuttgart im UEFA-Pokal (heute UEFA Europa League) spielte. Klinsmann genoss die Gelegenheit, zwischen den Bundesligaspielen am Wochenende ins Ausland reisen zu können, um sich mit den besten Mannschaften Europas zu messen. Der UEFA-Pokal machte ihm Lust auf mehr Spiele, auf mehr internationalen Fußball.
Im UEFA-Pokal setzte sich der VfB Stuttgart in der ersten Runde erfolgreich gegen Spartak Trnava aus der Tschechoslowakei durch, musste sich aber in der zweiten Runde gegen Torpedo Moskau geschlagen geben. Klinsmann freute sich dennoch darüber, andere europäische Städte kennenzulernen und erinnert sich zum Beispiel gern an Moskau, wo er den Roten Platz zu sehen bekam. Er war entschlossen, das Beste aus den Reisen zu machen, fremde Städte kennenzulernen, und er schwor sich, das auch in Zukunft weiter zu tun. Er blieb diesem Grundsatz während seiner ganzen Zeit als Spieler treu und setzte dies auch als Trainer fort.
Klinsmann wurde im Herbst 1987 für die Olympiamannschaft nominiert, die auch als U-23 bekannt ist, weil die FIFA pro Mannschaft nur drei Spieler, die älter als 23 sind, für die Olympischen Spiele zulässt. Er war voller Enthusiasmus über die Chance, bei den Olympischen Spielen ein Jahr später spielen zu dürfen. Dank seiner starken Leistungen in der U-23 und beim VfB Stuttgart wurde Klinsmann von Beckenbauer auch in die Nationalmannschaft berufen.
Bei seinem ersten internationalen Auftritt für die deutsche Nationalmannschaft am 12.12.1987 gegen Brasilien in Brasília spielte Klinsmann über die volle 90-minütige Spielzeit in einem Spiel, das mit einem 1:1-Unentschieden endete. Es war der erste von Klinsmanns 108 internationalen Einsätzen für sein Land, die über die nächsten zehn Jahre folgen sollten.
Klinsmann an sechster Stelle aller deutschen Nationalspieler, bezogen auf die Zahl seiner Einsätze. Er spielte auch in dem Spiel gegen Argentinien vier Tage später, das die Deutschen 0:1 verloren. Klinsmann erntete in diesem Spiel, mit Diego Maradona als Counterpart, der damals als der weltbeste Spieler galt, positive Kritiken. „Es war beeindruckend, wie Jürgen sich da draußen behauptete“, sagte Beckenbauer über dessen Leistung in den zwei Spielen und fügte hinzu, dass Klinsmann seiner Meinung nach gezeigt habe, dass er den anderen Stamm-Stürmern, Rudi Völler und Klaus Allofs, ebenbürtig sei. Sechs Monate vor der EM im eigenen Lande war dies eine wichtige Bestätigung.
Nach zwei Freundschaftsspielen in Südamerika erhielt Klinsmann einen weiteren Eindruck von den Vereinigten Staaten und ihrer enormen Größe. Er flog nach San Francisco und von dort weiter nach Hawaii, während der Rest der Mannschaft zurück nach Deutschland geflogen war, um dort die Weihnachtsferien zu verbringen. Er hatte zwei engen Freunden, Stefan Barth aus seiner Zeit in Geislingen und seinem Mannschaftskameraden Rainer Zietsch aus Stuttgart, versprochen, sie auf Hawaii zu treffen. „Meine zwei besten Freunde und ich hatten einen gemeinsamen Urlaub geplant, bevor der Ruf in die Nationalmannschaft kam“, erzählt er. „Sie wollten schon immer nach Hawaii fliegen. Ich kannte mich damals in Geografie noch nicht so gut aus und sagte ihnen, dass ich ja schon in Südamerika sei und sie in Hawaii treffen könnte. Es war wie: Ihr Jungs seid schon da und ich treffe euch dann dort. Der DFB buchte also einen Flug von Buenos Aires nach Miami, von dort nach San Francisco und weiter nach Hawaii. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was auf mich zukommen würde. Es war ein langer Flug nach dem anderen. Aber so kam ich zum ersten Mal nach Hawaii. Wir hatten eine fantastische Zeit.“ Die drei sind auch heute noch eng befreundet: Barth ist der Geschäftsführer der Kinderhilfsorganisation Agapedia, die Klinsmann 1995 gegründet hat, und Zietsch ist der Leiter der Nürnberger Jugendfußballakademie.
Klinsmann genoss seine ersten Reisen in die USA in vollen Zügen und lernte einige neue Freunde in Kalifornien kennen. „Ich will völlig raus aus dem Alltag. Das ist doch für einen Fußballprofi die einzige Möglichkeit, seine innere Ruhe wiederzufinden“, erzählte er Eitel in Jürgen Klinsmann und fügte hinzu, dass er sich freute, sein Englisch verbessern zu können und mehr über die USA zu lernen. „Die meisten (meiner Freunde in den USA) wissen, dass ich Fußballspieler bin, aber sie können sich kaum etwas darunter vorstellen.“
Auch in Deutschland interessierte er sich besonders für das Leben außerhalb des Fußballs. Mit Eitels Hilfe organisierte er ein Treffen mit den Insassen eines Jugendgefängnisses in der Nähe von Heilbronn. Er wollte mehr über ihr Leben erfahren. „Ich wollte auch wissen, wie es da zugeht. Ich habe mir vielmehr Gedanken darüber gemacht, wo die Ursachen dafür liegen“, sagte er mit Bezug auf die Vergehen, wegen derer die jungen Männer ins Gefängnis gekommen waren.
Das erste seiner 47 Tore für sein Land schoss Klinsmann schließlich am 27. April 1988 in einem 1:0-Freundschaftsspiel gegen die Schweiz. Es war sein vierter Einsatz in der Nationalmannschaft vor dem Beginn der Europameisterschaft 1988 zu Hause, das eines von sechs internationalen Turnieren war, die er als Spieler für Deutschland bestritt: die Europameisterschaften 1988, 1992 und 1996 sowie die Weltmeisterschaften 1990, 1994 und 1998.
Bei der EM ’88 half Klinsmann der bundesdeutschen Mannschaft mit sechs starken Auftritten, ins Halbfinale zu kommen. Er gab über zehn Jahre immer alles für sein Land und glänzte bei allen sechs Turnieren im richtigen Moment mit brillanten Leistungen. Klinsmann sagt, dass er immer das Beste aus jedem Turnier machen wollte, auch aus den kleinen, und dass er niemals mit dem Gefühl nach Hause gehen wollte, dass er oder seine Mannschaft hätte besser spielen können. „Gib mir ein Turnier, ich habe sie immer genossen“, ist seine Antwort auf die Frage, warum er offenbar stets in der Lage war, in den Turnieren seine Leistung zu steigern. Die Deutschen haben international lange in dem Ruf gestanden, gute „Turniermannschaften“ hervorzubringen. Teams, die zwischen den Turnieren mal besser und mal schlechter spielten, die aber dann, wenn es darauf ankam, zur Höchstform aufliefen, wie bei den WMs und EMs nach Ende der Gruppenphase und mit dem Beginn der K.-o.-Runden. In diesem Sinne war Klinsmann ein „Turnierspieler“, der auch am allerbesten zu spielen schien, wenn der Einsatz besonders hoch war. „Ich konnte den Beginn eines Turniers immer kaum abwarten. Ich spürte irgendwie, dass dies Augenblicke waren, die niemals wiederkommen würden. Mit deiner Mannschaft hast du die reguläre Saison und klar, du willst die Meisterschaft gewinnen. Du willst mit deinem Club auf nationaler Ebene gut abschneiden, aber die Saison ist lang, und du wirst währenddessen gute und schlechte Spiele haben. In einer komprimierten Situation wie einer Weltmeisterschaft oder einer Europameisterschaft ist es einfach, sich zu sagen, du gibst jetzt besser mal Gas, weil du dir nicht sagen kannst, dass du ja noch lange Zeit hast.“
Klinsmann erzählt, dass er jedes Mal mit gutem Gewissen von sich sagen konnte, alles gegeben zu haben, obwohl er mit dem Ergebnis dieser sechs Turniere nicht immer einverstanden war, da die Deutschen nur zwei davon gewannen. Einige der weltbesten Spieler tauchten bei großen Turnieren auf dem Rasen buchstäblich ab. Es sind Leistungseinbrüche zur falschen Zeit, die verhindern, dass sie ihre sonst so glanzvollen Karrieren mit einem Titel krönen konnten. Aber nicht Klinsmann, der seine Bestleistung für die Weltmeisterschaften und Europameisterschaften aufzuheben schien. „Ich habe diesen Momenten bei den großen Turnieren entgegengefiebert“, erzählt er. „Ich habe den Druck und die hohen Erwartungen und vor dem Tor einen kühlen Kopf zu bewahren geliebt. Es hängt wirklich nur von dir selbst ab, sicherzustellen, dass du mit dir im Reinen bist, sobald das Turnier beginnt und dass du dir sagen kannst: Egal, wie’s ausgeht, ich habe getan, was ich konnte.