Читать книгу Pflegekinder - Ernst Guggisberg - Страница 13
Quellenkorpus und Forschungslage
ОглавлениеDie Aktenlage der Armenerziehungsvereine kann als ausserordentlich reichhaltig und vielfältig bezeichnet werden: Von 21 der insgesamt 28 Gesellschaften wurde Schriftgut überliefert – selbstverständlich in unterschiedlicher Vollständigkeit und unterschiedlichem Umfang .47 Im Folgenden werden diese Vereinsarchive und ihre Überlieferungsgeschichte kurz besprochen. Die Fülle korrespondierender Quellen aus der kantonalen Verwaltung erschliesst sich aus dem Fliesstext, den Fussnoten und dem Quellenverzeichnis.
Im Kanton Aargau sind die umfassenden Vereinsarchive der Armenerziehungsvereine der Bezirke Baden, Brugg, Bremgarten sowie Zurzach im Staatsarchiv des Kantons Aargau überliefert worden. Vom Armenerziehungsverein des Bezirks Zofingen gelangten die Vorstandsprotokolle ab Vereinsgründung im Jahr 1856 bis 1943 in das Stadtarchiv Zofingen. Die Fortsetzung der Protokollreihe und ein Band «Pflegekinderkontrolle» befinden sich beim Vereinsvorstand, dem heutigen Jugendfürsorgeverein des Bezirks Zofingen. In der Sammlung Murensia im Kloster Muri befinden sich die Protokolle und Jahresberichte des Armenkinder-Erziehungsvereins des Bezirks Muri. Vom Vereinsvorstand vernichtet wurde das Schriftgut der Armenerziehungsvereine Aarau (Teilkassation)48 und Kulm (Totalkassation). Die Archive der Armenerziehungsvereine der Bezirke Laufenburg, Lenzburg und Rheinfelden konnten vom Autor nicht aufgespürt werden. Verschollen bleiben die Protokolle des Verbands der Aargauer Armenerziehungsvereine.
Der an Aktentypen reichste und zugleich älteste Bestand ist derjenige des Basellandschaftlichen Armenerziehungsvereins mit der Laufzeit 1839–1965. Der Nachlass umfasst Unterlagen der Vorgängerinstitution – des Landwirtschaftlichen Vereins Baselland49 – und die Unterlagen des Kantonalvorstands des Armenerziehungsvereins sowie von dessen vier Bezirkssektionen. Das erschlossene Archiv misst 2,6 Laufmeter und befindet sich in der Birmann-Stiftung in Liestal. Im Staatsarchiv des Kantons Baselland werden einige korrespondierende Unterlagen aus dieser Provenienz, 50 insbesondere aber der (Teil-)Nachlass des ersten Armeninspektors des Kantons und langjährigen Präsidenten des Armenerziehungsvereins, Martin Birmann, aufbewahrt.51
Zu den zentralen und wichtigsten Quellen zählen die Protokolle des Dachverbands der Solothurner Armenerziehungsvereine im Staatsarchiv Solothurn, die Weisungen für die bezirks- und amteiweise geführten Vereine oder Stellungnahmen an die Regierung beinhalten. Von den Armenerziehungsvereinen Thierstein und Olten-Gösgen sind hauptsächlich die Vorstandsprotokolle ab Gründung bis in die 1940er-Jahre, im Fall der Armenerziehungsvereine Wasseramt (vor 1988 Kriegstetten) und Solothurn-Lebern52 auch Buchhaltungsunterlagen im Staatsarchiv überliefert. Das aussagekräftigste Vereinsarchiv im Kanton ist dasjenige von Balsthal-Thal (aufbewahrt im Oberamt Thal-Gäu), das neben den Vorstandsprotokollen auch Unterlagen zur Pflegekinderadministration und zur Rechnungsführung enthält. Vom Vereinsarchiv des Armenerziehungsvereins Dorneck sind nur noch Jahresrechnungen fragmentarisch überliefert worden.53 Unauffindbar waren die historischen Archive der Armenerziehungsvereine Bucheggberg und Gäu.
Im Staatsarchiv des Kantons Thurgau wurde ein sehr konziser Bestand überliefert, der sich insbesondere durch vollständige Pflegekinderregister ab Vereinsgründung im Jahr 1882 bis in die 1970er-Jahre und teilweise darüber hinaus bis ins Jahr 2000 auszeichnet. Leider fehlen die Protokolle aus der Gründungszeit, die über die ersten Jahre des Vereins hätten Auskunft geben können. Ansatzweise kann diese Lücke durch Jahresberichte und Unterlagen der Thurgauischen Gemeinnützigen Gesellschaft kompensiert werden.
Sehr schlecht dokumentiert ist der 1901 in Olten geschaffene Verband Schweizerischer Armenerziehungsvereine, sprich der überkantonale Dachverband, von dem nur zwei gedruckte Protokolle der Generalversammlung aus den Jahren 1913 und 1914 in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern erhalten geblieben sind54 sowie verschiedene beiläufige Bemerkungen in Protokollen der Mitgliedersektionen. Nicht zu verwechseln ist dieser Verband mit dem bekannteren Schweizerischen Armenerzieher-Verein mit Gründungsjahr 1844, der die verschiedenen Erziehungsanstalten in sich vereinigte.55
Aus archivarischer Sicht ist die Fülle der überlieferten Privatarchive sehr spannend: Die Akten der Armenerziehungsvereine waren aufgrund der Vereinsstrukturen meist bei den verschiedenen Vorstandsmitgliedern örtlich getrennt aufbewahrt, so das Rechnungswesen beim Quästor, die Protokolle beim Aktuar, die Pflegekinderregister beim Präsidenten oder beim Inspektor. Dass sie trotz allen Widrigkeiten wie Platzmangel, Amtsübergabe, Ableben der Vorstandsmitglieder oder Umzügen überdauerten, spricht einerseits für einen bewussten und sensiblen Umgang mit der eigenen Vereinsgeschichte, 56 lässt sich – neben der buchhalterischen Rechenschaft – andererseits aber auch auf die Notwendigkeit eines unkomplizierten Rückgriffs auf die Personendossiers im Fall von Anfragen ehemaliger Pflegekinder und die Transparenz des eigenen Handelns zurückführen. Ferner erklärt sich die Überlieferungsfülle aus der Verwaltungsnähe heraus, denn in einigen Fällen waren Bezirks- oder Oberamtmänner in Personalunion auch gleichzeitig Vorstandspräsidenten. Die Akten wurden dann traditionell nicht in einem Privathaushalt, sondern in der Bezirkskanzlei aufbewahrt. Diese reiche Aktenlage steht ausserdem unter der Prämisse, dass viele dieser Sozietäten bis in die nahe Gegenwart existierten oder sogar noch fortdauern: So traf der Autor auf das Archiv des Basellandschaftlichen Armenerziehungsvereins, des Brugger und Bremgartner Armenerziehungsvereins, dasjenige des Armenerziehungsvereins Zofingens, des Wasseramts, Balsthal-Thals und des Thurgaus. Der Autor erhielt die Erlaubnis, die Bestände zu sichten, zu erschliessen, auszuwerten und teilweise sogar in die Staatsarchive zu überführen und somit der Forschung dauerhaft zugänglich zu machen.
Im Hinblick auf die Einbettung der Armenerziehungsvereine in die kantonale Fürsorgelandschaft, insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit mit kantonalen Verwaltungsdienststellen, sind die amtlichen Überlieferungen in den Staatsarchiven der betreffenden Kantone von hohem Interesse. Die Armenerziehungsvereine hinterliessen ihre Spuren auf sämtlichen Ebenen der kantonalen Verwaltung, vom Regierungsrat bis hin zu den verschiedenen Direktionen/Departementen wie dem Armendepartement, dem Departement des Innern, dem Erziehungs-, Sanitäts- oder auch Justizdepartement. Auch mit den auf die kantonale Departementsebene folgenden Bezirken (und Kreisen) fand ein reger Austausch statt – diese Quellen befinden sich ebenfalls in den verschiedenen Staatsarchiven. Die letzte subsidiäre Ebene, die Kommunalarchive, konnte im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht untersucht werden. Die Entscheidungen und Beweggründe der Gemeinden, die die Pflegekinder den Armenerziehungsvereinen zur Aufsicht anvertrauten, lassen sich aber in vielen Fällen indirekt durch die Vereinsquellen erschliessen.