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Und natürlich Natur

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Nun sprechen hier auch Philosophen allerdings als Laien; wissen es die Fachleute besser?

Nein, die unternehmen es gar zu beweisen, dass es so sein müsse, wie es schon die Philosophen glauben; dass nämlich, »was unsre Vorfahren die Weise, die Römer Numerus und die Griechen Rhythmus nannten«, »auf eignen, in der Natur gegründeten Principien beruhe«.12 So schreibt zur gleichen Zeit etwa, als Hegel seine Vorlesungen zur Ästhetik hält, Johann August Apel in seinen zwei großen Bänden »Metrik«. Auch Apel weiß zwar, dass griechische Verse nach Längen und Kürzen gebaut sind – das ist immerhin ausführlich und unmissverständlich überliefert –, und er bemerkt sehr wohl auch den eigenartigen Ausschluss, der sich dadurch ergibt, dass wir Rhythmus inzwischen anders wahrnehmen als etwa die Griechen. Zu Apels Zeiten nämlich erging es einem Leser antiker Verse schon genauso wie uns heute – ich erinnere an unser kleines Experiment mit den Trimetern –:

Denn er bemüht sich vergebens mit dem Gehör dieses Schema singbar zu finden, und gleichwohl kann er sich nicht abläugnen, dass jene Stelle des Sophokles ein Vers sey, und das metrische Schema den Rhythmus jenes Verses bezeichne.

Leider also: Der moderne und Apels Zeitgenosse »bemüht sich vergebens«, das als Rhythmus zu empfinden, was ein antiker Sophokles aber, ebenso sicher wie Horaz, als den Rhythmus seiner Verse gedichtet hat. Was kann man daraus nur schließen? Dass Rhythmus hier und dort nicht dasselbe sind; dass sich, was Rhythmus hier ist und dort war, historisch gewandelt hat. Folglich kann Rhythmus auch nicht auf einem Naturgesetz gründen, und man dürfte also auf keinen Fall ansetzen, »dass der Bau des Verses auf eigenthümlichen, in seiner Natur gegründeten Gesetzen beruhe«.

Doch genau diese ewig eine Natur »des« Verses unternimmt Apel trotzdem zu beweisen und scheut sich nicht, dafür die notwendige Schlußfolgerung zu verkehren und gegen den Zeitenlauf zu wenden: Wenn wir an den Versen so, wie Sophokles sie gedichtet hat, nicht Rhythmus empfinden, kann Sophokles seine Verse folglich nicht so gedichtet haben, wie er sie gedichtet hat, sondern so, wie wir sie als rhythmisch empfinden! Wenn die Rhythmusempfindung von Sophokles und die Rhythmusempfindung von uns Heutigen aufeinanderprallen und nicht zueinander passen wollen, was ist daraus zu lernen? Dass unsere Rhythmusempfindung die einzig-ewig richtige ist! Und schon erstrahlt für Apel Glanz und Gloria »unserer Theorie, dass sie beweiset, in allen Rhythmen sey Takt, Rhythmus ohne Takt lasse sich dem Wesen des Rhythmus nach nicht denken«.

Und zwar nicht denken, weil nicht anders empfinden. So groß ist die Kraft unserer, der jeweils eigenen Rhythmuswahrnehmung, dass sie den Gedanken an eine andere nicht bloß ausschließt oder gar nicht erst aufkommen lässt, sondern ihn selbst dort, wo er einmal explizit und wissenschaftlich aufkommt, gewaltsam von seinem Ziel ablenkt und absurd verdreht. Derselbe Apel, der sich bei Rhythmus nichts als den Takt denken kann, weiß ja zur selben Zeit, dass Sophokles seine Verse anders, nicht so gedichtet hat, wie es jenem hochverehrten einen »Wesen des Rhythmus« entspricht. Und trotzdem, gegen dieses bessere Wissen, unternimmt Apel unbeirrt den haltlosen Beweis, die Verse des Sophokles müssten genau demjenigen »Wesen von Rhythmus«, dem sie zuverlässig nicht entsprachen, entsprechen.

Im Takt des Geldes

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