Читать книгу Im Takt des Geldes - Eske Bockelmann - Страница 17
Ein unscheinbarer Reflex
ОглавлениеDas scheinen nun recht karge Künste: ein tok tok ins tik-tak zu verwandeln. Davon soll irgendetwas abhängen? Und dafür bedarf es großartig wahrnehmungspsychologischer Experimente?
Nein, dafür braucht es lediglich etwas wie das Geräusch von Schritten – die sind schon Experiment genug. Die Erfahrung des rhythmischen Wechsels von betont und unbetont ist etwas durch und durch Alltägliches. Und zwar alltäglich auch in dem Sinn, dass wir uns ihrer nicht ein einziges Mal bewusst werden müssen. Sie ergibt sich allenthalben, selbstverständlich und unbemerkt, wir hören den Wechsel, und nichts muss uns daran auffallen. Sowenig es uns frappiert, etwas Grünes grün zu sehen, so wenig frappiert uns, Töne nach betont/unbetont abwechseln zu hören, einfach deshalb, weil wir glauben müssen, dies Abwechseln würde ebenso in den Tönen stecken wie das Chlorophyll in den Blättern. Lediglich zu der wie auch immer geringfügigen Erkenntnis, dass dies nicht der Fall ist oder jedenfalls nicht der Fall sein muss, taugen die Experimente; dazu bedarf es ihrer.
Wir hören die gleichmäßig fallenden Töne und reagieren damit, sie auf diese Weise verändert zu hören und sie auf diese Weise als rhythmisch zu empfinden. Ich nenne diese Reaktion unseren taktrhythmischen Reflex. Seine Wirkungsweise ist, aufs kürzeste gesagt, diese: Er setzt je zwei Klangelemente gegeneinander in das Hervorhebungsverhältnis. Und genau damit, so einfach und so abstrakt, konstituiert er vollständig das, was für uns Rhythmus ist: den Taktrhythmus.
Auch das wird man sich zunächst nicht vorstellen wollen: dass der gesamte, vielgestaltige Taktrhythmus auf dieser unscheinbaren Reaktion gründen soll. Er, der so reich ist an tausendfältig unterschiedlichen Einzelrhythmen, der so unabsehbar viele Varianten bilden und der so unwiderstehlich mitreißende Gewalt über uns gewinnen kann, er scheint schlecht bei dem bisschen tik-tak sein Genügen zu finden. Und allerdings, um die Verbindung zwischen all diesen tausendfältigen Rhythmen und jenem einfachen Reflex herzustellen, gibt es noch manches zu klären. Für den Moment jedoch ist vor allem einmal festzuhalten, dass es erstens diesen Reflex gibt; und nun zweitens, worin er genau besteht.
Er unterscheidet die Töne und er verbindet sie damit zu Gruppen. Unterscheiden und Verbinden zerfallen nicht in zwei getrennte Leistungen, sondern sind eine: Unser Reflex verbindet die Töne, indem er sie unterscheidet. Beides ineins besteht darin, dass wir die Töne aufeinander beziehen, dass wir sie zueinander in ein Verhältnis setzen. Und zwar in das Verhältnis der Hervorhebung: Wir beziehen je zwei Töne aufeinander, indem wir den einen hervorheben gegenüber dem anderen. Wir setzen den einen Ton als betont über den anderen, der damit insofern, gegenüber dem ersteren, unbetont ist. Beide Bestimmungen, nach denen unser Reflex die Töne unterscheidet, »betont« und »unbetont«, sind damit Verhältnisbestimmungen; sowohl das »betont«, das stets die Betonung gegenüber etwas anderem ausdrückt, als auch das »unbetont«, das hier durch den Bezug auf das betonte Element genau nur dasjenige Element benennt, gegenüber welchem jenes andere Element betont wird. Ich werde diese beiden Bestimmungen des zweiwertigen Verhältnisses »betont« gegen »unbetont« oder besser »hervorgehoben« gegenüber »nicht-hervorgehoben« die Hervorhebungsbestimmungen nennen. Unser Reflex bezieht Töne aufeinander, indem er sie in dieses Verhältnis setzt, je zwei Töne mit diesen Verhältnisbestimmungen belegt, sie also nach diesen Bestimmungen unterscheidet.
Auf diese Weise schließt er die Töne zu Gruppen zusammen, das heißt, er macht sie zu Elementen von Gruppen. Auch was ein solches Element ist, wird ihm nicht objektiv einfach durch den Klang vorgegeben, auch darüber bestimmt erst unser Reflex: Er macht Einheiten zu Elementen seiner Gruppenbildung, indem er je zwei zueinander in Entsprechung setzt. Diese Einheiten sind ihm nicht unmittelbar nur Töne, die tatsächlich erklingen, sondern es sind – auch das zeigen ja die Experimente – diejenigen bloß zeitlichen Einheiten, die auf irgendeine Weise durch Töne begrenzt werden. Unser Rhythmusreflex macht zu Elementen die zwar irgendwie akustisch markierten und akustisch füllbaren, aber als solche leeren, einander gleichen Zeiteinheiten.
Worauf wir bei diesem scheinbar so geringfügigen Reflex stoßen, es besteht erkenntnistheoretisch gesprochen also in einer synthetischen Leistung, in einer Synthesis, die wir in unserer Wahrnehmung unwillkürlich vornehmen.21 Synthesis ist sie in dreierlei Hinsicht: Sie macht etwas überhaupt erst zu ihren Elementen; verbindet diese zu Gruppen; und dies, indem sie zwischen ihnen das Hervorhebungsverhältnis herstellt. Diese drei Momente bilden die einheitliche Leistung unseres Rhythmusreflexes. Ich nenne sie die Synthesis nach dem Hervorhebungsverhältnis, Takt-Synthesis oder, wenn auch im Bewusstsein, dass der menschliche Denkapparat neben ihr noch zahllose andere synthetische Leistungen erbringt, vereinfachend auch nur »die Synthesis«.