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II Befund

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Um diesen Zwang, um seine Mächtigkeit, um seine Reichweite wird es hier gehen.

Dass er sich nicht nur in der klassischen Philologie ausgetobt hat, lässt sich leicht vermuten; Canettis zwingende Überzeugung, schon die frühesten Wilden hätten nach Takten gehört, hat es ja bereits vorgeführt. Tatsächlich verfährt die Wissenschaft auch allenthalben sonst mit älteren Versen so, wie es die klassische Philologie mit den ihren getan hat, und unterstellt ihnen regelmäßig, was auch immer die alte Überlieferung dagegen sagen mag, in irgendeiner Form den Rhythmus nach betont und unbetont. Ob ägyptisch, ob hebräisch, vorarabisch oder syrisch, altisländisch und phönizisch, es muss sein: nach Takten rhythmisch! Hier und da hat man inzwischen eingesehen, wie willkürlich und falsch diese Unterstellung getroffen war, und hat sie stillschweigend eingezogen. Doch es gibt auch den umgekehrten Fall, dass ein sorgsamer Gelehrter dieselbe Unterstellung für bestimmte Verse schon einmal umständlich widerlegt hatte und dass sich seine bessere Einsicht inzwischen doch ohne jedes Argument wieder ersetzt findet durch das alte Lied vom Takt- oder Akzentrhythmus.14 Und nicht nur den Versen aller Zeiten wurden und werden Takte mit ihrem betont/unbetont unterstellt – für die älteren Zeiten jeweils zu Unrecht –, sondern dem Bereich des Rhythmischen ja durchaus allgemein. Selbst in den Darstellungen zur Musikgeschichte, wo die Widerlegung am sichersten zu treffen ist, findet sich Canettis Irrtum noch immer weitaus häufiger vertreten als das so schwer anzuerkennende Gegenteil: die strikte Neuzeitlichkeit des Taktrhythmus.

Den ganzen Umfang dieser wohlmeinenden Geschichtsfälschung zu dokumentieren, wäre nicht unnützlich, aber endlos, und ich muss darauf verzichten. Wichtiger ist nun endlich ein Beweis dafür, dass der Taktrhythmus wirklich erst der Neuzeit angehört und keiner Zeit vorher. Doch dieser Beweis verlangt es zuvor noch, einiges andere zu klären und festzuhalten.

Zunächst diesen merkwürdigen Befund: Taktrhythmus, ein Phänomen, dessen geschichtliches Auftreten bekannt und belegt ist, wird dennoch mit großer Gewalt zugleich für ungeschichtlich, für überzeitlich konstant erklärt. Wenn es auf allen Gebieten sonst undenkbar ist, von Geschichte abzusehen, hier offenkundig ist es unmöglich, der Geschichte ins Auge zu blicken. Und das nicht bloß wegen des verständlich geringen Interesses, auf das etwa die Versgeschichte oder allgemein auch die theoretische Befassung mit Rhythmus stößt – jene ist zu entlegen und dieser ist einem zu nahe, als dass man sich darüber Gedanken machen wollte –, auch nicht auf Grund einer Jahrhunderte währenden Gedankenlosigkeit der Wissenschaft, die sich diesen Dingen nicht genug gewidmet hätte. Denn im Gegenteil, aktiv, mit großer Mühe und selbst mit klarem Bewusstsein von dieser Anstrengung setzt sich ja der Glaube an den ewig-einen Rhythmus gegen alle eindeutige Überlieferung durch. Das geschichtlich Untergegangene – hier also die älteren Arten von Rhythmus und von Rhythmuswahrnehmung – wird nicht allein getilgt und einer damnatio memoriae unterworfen, also bloß negiert, als hätte es dergleichen nie gegeben, sondern es wird etwas positiv an seine Stelle gesetzt, was neuzeitlich und was uns selbstverständlich ist. Das Neuzeitliche wird retrojiziert, wird dem Alten imputiert, als wäre dieses schon immer gleich dem Neuen gewesen. Und all dies, da wir unwillkürlich, wo wir Rhythmus erwarten, diesen unseren Rhythmus hineinlegen – unwillkürlich: also auch ohne uns darüber bewusst zu werden.

An Taktrhythmus und taktrhythmischer Wahrnehmung verbirgt sich demzufolge etwas, das sich unserem Wissen und unserem Bewusstsein nachdrücklich entzieht – etwas, das sehr bestimmend und nicht wenig tief in uns liegen muss. Denn wenn wir von irgendetwas entschieden werden sagen wollen, dass es zu unserer innersten und unwillkürlichsten Natur gehört, so sicherlich von der Empfindung des Rhythmus. Da aber sie auf diese Weise so tief in unsere Natur reicht, muss auch dasjenige tief in diese Natur hineinreichen, was sie gleichwohl geschichtlich bedingt.

Etwas, das uns innerste und unhintergehbare Natur ist, erweist sich verwirrender Weise als geschichtlich: Damit aber muss es hintergehbar werden. Es muss die Bedingungen solcher unhintergehbaren Natur aufdecken lassen, es muss dorthin geleiten, wo Geschichte am mächtigsten, wo sie nämlich blind wirkt, wo sich das geschichtlich Bedingende ausblendet, als wäre es nicht Geschichte, sondern Natur selbst.

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