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Die ISS bis Ende 2021

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Anfang September 2020, zum Zeitpunkt an dem diese Zeilen entstehen, befindet sich lediglich die dreiköpfige Crew von Sojus MS-16 mit Chris Cassidy, Anatoli Iwanischin und Iwan Wagner an Bord der ISS. Zuvor hatten Bob Behnken und Doug Hurley die Crew Dragon DM-2 Mission erfolgreich abgeschlossen und waren am 2. August im Golf von Mexiko gelandet. Die Rückkehr von Sojus MS-16 ist, nach 195 Tagen im Orbit, für den 22. Oktober 2020 geplant. Ein schwieriger Zeitpunkt, denn nur wenige Tage zuvor werden kurz hintereinander zwei neue Mannschaften an Bord der ISS erwartet. Eine sehr knappe Zeit für die Übergabe der Raumstation.


Derzeit sieht es so aus, dass die dreiköpfige Crew von Sojus MS-17, bestehend aus den beiden russischen Kosmonauten Sergei Ryschikow und Sergei Kud-Swertschkow, sowie der NASA-Astronautin Kathleen Rubins am 14. Oktober zur ISS starten sollen. Die haben dann etwa sieben Tage Zeit, die Raumstation von Cassidy, Iwanischin und Wagner zu übernehmen. Recht viel länger kann die Sojus MS-16 Crew tatsächlich nicht an Bord bleiben, denn die technische Gewährleistung ihres Raumschiffs läuft nach 200 Tagen im All ab, und die haben sie zu diesem Zeitpunkt bis auf fünf Tage ausgeschöpft. Bei bemannten Raumflügen wird nur im äußersten Notfall am Mindesthaltbarkeitsdatum gedreht. Sojus MS-16 ist noch kaum zwei Tage zurück auf der Erde, da soll auch schon der SpaceX Crew-1 Flug auf die Reise gehen. Mit den Astronauten Michael Hopkins, Victor Glover, Soichi Noguchi und Shannon Walker. Klappt das, dann ist Ende Oktober 2020 zum ersten Mal in der 21jährigen Geschichte der ISS die Sollstärke von sieben Langzeitbesatzungsmitgliedern erreicht. Zusammen bilden sie nun die Expedition 64.


Irgendwann während des ersten Drittels ihres Aufenthaltes, derzeit sieht es nach Dezember aus, sollte Boeing den zweiten unbemannten Testflug seines Starliners durchführen, die Mission OFT-2. Die erste Mission erreichte ja wegen eines Software-Problems nicht die Raumstation, so dass der Testflug nun wiederholt werden muss. Wenn es diesmal klappt wird es an der ISS ein interessantes Bild zu sehen geben. Alle drei bemannten Raumtransportsysteme befinden sich dann gleichzeitig an der ISS: Sojus, Crew Dragon und Starliner. Während also letzterer noch unbemannt unterwegs ist, wird es für SpaceX sicher eine Genugtuung darstellen, dass ihr Raumschiff nun schon den zweiten bemannten Einsatz durchführt.

Im zweiten Drittel ihres Aufenthaltes werden sie etwas erleben, das es nur in einer kurzen Transferphase zwischen der dem Untergang geweihten russischen Raumstation Mir und der noch sehr infantilen Internationalen Raumstation um den Jahreswechsel 2000/2001 gab: Zwei Raumstationen gleichzeitig im Orbit, denn das Tianhe-Basismodul der chinesischen Raumstation soll im Februar oder März starten. Anfang April 2021 findet erneut ein sehr dicht getakteter Schichtwechsel auf der Station statt. Zu diesem Zeitpunkt könnte die ISS dann kurzfristig mit 14 Personen belegt sein. Zunächst startet am 30. März die SpaceX Crew-2 Mission mit Robert Kimbrough, Megan McArthur (der Ehefrau von Bob Behnken), Akihido Hoshide von der JAXA und Thomas Pesquet von der ESA. Nur zwei Tage später folgt nach gegenwärtiger Planung Sojus MS-18. Und das wird mit Oleg Nowitzki, Pjotr Dubrow und Andrei Borisenko zum ersten Mal seit 21 Jahren eine rein russische Crew sein. Wenige Tage danach, das Datum steht noch nicht genau fest, kehrt die Space X Crew-1 (mit Glover, Hopkins, Walker und Hoshide) wieder zur Erde zurück, gefolgt von der Besatzung von Sojus MS-17 am 9. April 2021. Die drei russischen Neuankömmlinge werden gut zu tun haben, denn im April soll zunächst das Nauka-Modul mit einer Proton M-Trägerrakete gestartet werden. Am 23. April legt Progress MS-16 zusammen mit dem Pirs-Modul von der ISS ab. Dadurch wird der Dockingknoten frei, an dem dann Nauka wenige Tage danach anlegen kann. Nauka ist das erste neue Großmodul der ISS seit vielen Jahren.

Im Juli wird die Besetzungslage in der ISS weiter verwirrend bleiben. Werfen wir deshalb einen kurzen Blick nach China, wo etwa um diesen Zeitraum die dreiköpfige Crew von Shenzhou-12 am Tianwe-Modul anlegen soll und dann dort für etwa zwei bis drei Monate bleiben wird. Während ihres Aufenthaltes wird sie möglicherweise noch die Ankunft des Tianzhou 2-Raumfrachters und des zweiten großen Raumstationsmoduls mit der Bezeichnung Wentian miterleben. Die zeitliche Verteilung ist aber noch ungewiss. China hat für die Inbetriebnahme seiner nationalen Raumstation auf jeden Fall zwischen Juli 2021 und Dezember 2022 vier bemannte Shenzhou-Missionen vorgesehen. Nach dem Dezember 2022 ist die Aufnahme des permanenten Betriebs der chinesischen Raumstation geplant.

Bei positivem Ausgang des unbemannten OFT-2 Testfluges werden im Juni 2021 auch die ersten Astronauten mit Boeings Starliner an der ISS eintreffen. Dieser Einsatz ist mit einer Dauer von mehr als 100 Tagen von vorneherein als Langzeitflug geplant. Kommandant ist Christopher Ferguson von Boeing (ein früherer NASA-Astronaut). Begleitet wird er von den beiden NASA-Astronauten Michael Finke und Nicole Mann. Das hat nun zur Folge, dass die ISS bis in den August hinein mit zehn Personen besetzt ist.

Sollte die momentan gültige Planung halten, dann wird es Anfang August für etwa eine Woche wieder ziemlich belebt auf der ISS, denn der Start der SpaceX Crew-3 am 12. August überschneidet sich mit der Rückkehr des SpaceX Crew-2 um etwa eine Woche. Die vierköpfige Besatzung von SpaceX Crew-3 ist derzeit noch nicht vollständig benannt. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich dann elf Personen auf der ISS. Dazu kommen die vermutlich drei Taikonauten der chinesischen Raumstation womit erneut 14 Menschen gleichzeitig im Orbit wären.

Eine Frage ist nun, wo die eingangs erwähnte „Spezialmission“ eingeflickt wird. Irgendwann im Herbst sollen nämlich auch Tom Cruise, Doug Liman und eine noch ungenannte dritte Person zusammen mit Chris Cassidy von Axiom Space zu einem Flug von etwa 30 Tagen Dauer zur ISS starten, um dort – ein Novum in der Geschichte der Raumfahrt – einen offiziellen Filmdreh durchzuführen. Am 8. September startet von Baikonur aus eine Spezialversion des Progress-Versorgungsschiffes mit der Bezeichnung Progress MS-UM. Dieses Fahrzeug bringt das neue Prichal Docking-Modul zur ISS und macht es am Nauka-Modul fest. Prichal verfügt über sechs Docking-Ports. Am 5. Oktober 2020 stößt auch Sojus MS-19 zur Station. Sie steht unter dem Kommando von Anton Schkaplerow. Mit ihm fliegen Andrei Babkin und Sergei Korsakow. Nun sind zehn Personen an Bord, bis am 13. Oktober Sojus MS-18 zur Erde zurückkehrt. Gegen Ende Dezember kommt auch die Zeit für den zweiten bemannten Starliner-Flug, nämlich die Mission CST-1. Hier steht die Besatzung schon weitgehend fest. Kommandantin wird Sunnita Williams sein, als Pilot fungiert Josh Cassada und mit an Bord werden Janette Epps sein und möglicherweise Matthias Maurer, der deutsche ESA-Astronaut. Das hängt aber stark von der Verfügbarkeit der Starliner-Kapsel ab, denn zum Zeitpunkt an dem diese Zeilen entstehen müssen ja noch zwei Testflüge absolviert werden.

Wundern Sie sich nicht, wenn die eine oder andere Besatzung in einem Jahr etwas anders aussieht und sich auch die Ansätze für die Zeitplanung etwas verschieben. Was dieses Bild aber vermittelt: Es kommt viel Bewegung in den Betrieb der ISS. Die ruhigen Zeiten, wo man auf Jahre hinaus die jeweils zwei Besatzungen pro Jahr kannte, sind vorbei. Ab jetzt werden die Dinge ziemlich dynamisch – und dieser Zustand wird anhalten. Zumindest für eine Reihe von Jahren. Meine Schätzung: Bis etwa 2030.

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