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2.2 Jugendsprache als Konsumgut

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Schneller, als es die sich gerade erst entwickelnde linguistische Jugendsprachforschung ermöglichte, befriedigten populärwissenschaftliche Veröffentlichungen das öffentliche Informationsbedürfnis. Dies bestätigt ein Blick auf den sprunghaft expandierenden Markt der WörterbücherWörterbücher, die gleichsam als „Schlüssel für die Szene“ fungierten. Die hohen Verkaufszahlen sprechen dafür, dass hier eine Nachfrage erkannt, durch die attraktiv aufgemachten Angebote aber zweifellos auch verstärkt wurde.

Die 1983 erschienenen „Sprache und Sprüche der Jugendszene“: „Laß uns mal ’ne Schnecke angraben“ des Psychotherapeuten Claus Peter Müller-Thurau standen monatelang auf Platz 1 der Beststeller-Liste. Laut Klappentext können Eltern lernen:

Was bedeutet „knacken“, „ömmeln“, „abschnallen“ oder „Bock haben“? Was ist mit „Haste Bock auf ’ne Mafia-Torte?“ oder mit „Die Tussi törnt mich mächtig an“ gemeint“?

1985 folgte sein „Lexikon zur Jugendsprache“:

Abb. I.2.1:

Titelbild Lexikon

„In diesem endgültigen, umfassendsten, witzigsten und aktuellsten Buch zur Sprache der Jugend finden Eltern, Erzieher und Ausbilder alles, was sie wissen müssen, um ihre heranwachsenden Chippies, Fuzzies, Grünis, Mufties, Müslis, Muttis, Popper, Prolos, Punks, Sahneschnitten, Schlaffies, Schnecken, Skinheads, Spontis, Teds und Teenie-Bopper zu verstehen“.

(Klappentext Müller-Thurau 1985)

Diese Lektionen lernten anscheinend Journalisten und Karikaturisten besonders schnell. Das KonstruktionsprinzipKonstruktionsprinzip der „jugendsprachlichen Textversionen“ und der „VerständigungsproblemeVerständigungsprobleme zwischen den Generationen“ ist leicht durchschaubar: die WörterbücherWörterbücher der Jugendsprache haben bei diesen ÜbersetzungenÜbersetzung ausgeholfen.

Weitere Wörterbücher der 80er Jahre haben sich auf Ausschnitte der Jugendsprache konzentriert wie WandsprücheWandsprüche, Schüler- und SzeneSzene-Sprache, oft mit dem Zusatz „das Letzte aus der Szene“ und stets „die neuen Sprüche“.

 Was an deutschen Wänden steht (Gamber 1983)

 Do you speak Sponti – das Letzte aus der Scene (Gamber u.a. 1984)

 Von Anmache bis Zoff. Ein Wörterbuch der Szene-Sprache (HoppeHoppe, Almut u.a. 1984)

 Angesagt: Scene-Deutsch. Ein WörterbuchWörterbücher (Rittendorf u.a. 1984). In den 90er Jahren folgen u.a.:

 Affengeil. Ein Lexikon der Jugendsprache (EhmannEhmann, Hermann 1992)

 Oberaffengeil. Neues Lexikon der Jugendsprache (EhmannEhmann, Hermann 1996)

 Duden. Wörterbuch der Szenensprache (2000)

 Voll konkret. Das neueste Lexikon der Jugendsprache (EhmannEhmann, Hermann 2001)

 Leet & leiwand: das Lexikon der Jugendsprache (Sedlaczek 2006).

Bei diesem Markt der WörterbücherWörterbücher handelt es sich um Publikationen ohne wissenschaftlichen Anspruch, aber auch ohne wissenschaftlich gesicherte Aussagekraft, was die Auswahl der Lexeme und die Bedeutungszuschreibungen betrifft. Dieser Typ von Publikationen trägt entschieden zur Vermarktung von „Jugendsprache“ bei, und zwar durchaus profitabel für die Produzenten: Der Trend hält bis in die heutige Zeit an, z. T. mit immer aufwändigeren Publikationen wie das Techno-Lexikon (1998) oder das Graffiti-Lexikon (1998).1

Den bisherigen Höhepunkt stellt aber zweifellos das DUDEN-Wörterbuch der Szenesprachen aus dem Jahr 2000 dar, das sich in Inhalt und Aufmachung in die Tradition der populärwissenschaftlichen WörterbücherWörterbücher der Jugend- und Szenesprachen einreiht. Herausgegeben ist diese Publikation von einem „Trendbüro in Zusammenarbeit mit der Dudenredaktion“. Ein Großteil der verzeichneten Ausdrücke scheinen Augenblicksbildungen, Einzelfallbeispiele oder schlicht Erfindungen der Autoren, was durch befragte Jugendliche bestätigt wird, denen viele der aufgeführten Ausdrücke unbekannt sind. Jugendliche durchschauen diese Vermarktungsstrategie sehr wohl, wie die folgende Äußerung belegt:

„Es gibt Leute, die glauben, Szenesprache müsse man nur nachplappern, um ‚cool‘ zu sein und an die jugendliche Zielgruppe ranzukommen – als Lehrer, Sozialarbeiter oder Werbe-Mensch. Solche Leute haben in ihrer Jugend noch ‚megaaffengeil‘ gesagt, und man nennt sie Poser (…), denn die Poser, die dieses Nachschlagewerk vor allem benutzen werden, wollen ja nur bei passender Gelegenheit die eine oder andere auswendig gelernte Vokabel in den Raum schmeißen.“

(Kommentar einer Jugendlichen zum Duden-Wörterbuch der Szenesprachen im Remscheider Generalanzeiger vom 03.05.2000, S. 20)2Neuland, Eva

Seit 2008 hat der Langenscheidt-Verlag die Aktion: Jugendwort des JahresJugendwort des Jahres ins Leben gerufen. Per Internet werden Vorschläge gesammelt, letztlich entscheidet eine Jury unüberprüfbar nach Ermessenskriterien. 2008 landete der Ausdruck: Gammelfleischparty auf dem ersten Platz, in den letzten Jahren lauteten die Sieger: Yolo, Babo, Läuft bei dir?, Smombie, fly sein. I bims wurde als Jugendwort des Jahres 2017 angegeben. Die vermeintlichen Vorzüge dieses Verfahrens, u.a. freie Zuschriften über das Internet, transparenter Auswahlprozess, erwiesen sich jedoch als geschickte Marketing-Strategie für die jährlich erscheinende Langenscheidt-Broschüre: 100 Prozent Jugendsprache. Das Buch zum Jugendwort des Jahres. In die engere Wahl genommene Ausdrücke wie: hartzen und guttenbergen, aber auch Komposita wie: Gammelfleischparty, Niveaulimbo und Arschfax scheinen eher Konstruktionen aus der Feder professioneller „Trendbüros“. Die reklamierte Authentizität ist angesichts der Anonymität der Zuschriften und in Ermangelung von Gebrauchserhebungen zurückzuweisen. Jugendsprache als Konsumgut bleibt anscheinend aktuell.

Als Jugendwort des Jahres wurde 2017 die Formulierung I bims aus der sog. „Vongsprache“ ausgegeben3. Für einen peinlichen Öffentlichkeitsauftritt sorgte der Autohersteller Mercedes-Benz im Sommer 2017 mit dem Werbeslogan „I bims fancy S-Klasse“ für eine Luxuslimousine im Wert von fast 85.000.- Euro. Die öffentlichen Reaktionen reichten von Verwirrung bis zu einem Shitstorm in den sozialen Medien.

Indessen hat sich der Werbetrend mit konstruierten Beispielen der „Vongsprache“ fortgesetzt (u.a. bei Vodaphone und der Sparkasse) und selbst vor dem DUDEN nicht haltgemacht (Slogan: „Man muss immer auf korrekte Rechtschreibung 8en. Vong Grammatik her.“).

Inzwischen wurden eine Holyge Bimbel. Storys vong Gott u s1 crew sowie eine Faust-Ausgabe herausgebracht (I bims Faust) und die Formel: I bims x vong y her hat den Status eines geflügelten Wortes eingenommen – aber eben nur als Werbeslogan.

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