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Integration und Integrationskurse

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In der Sauna habe ich in der Spiegelausgabe vom 20. Dezember 2010/Nr. 51 einen interessanten Artikel von Christoph Scheuermann über eine Podiumsdiskussion von Michel Friedman gefunden und die Seite gleich ausgerissen, um sie mit nach Hause zu nehmen. An einer Stelle heißt es von dem PR-Mann Imran Ayata, dass die Migranten in den sechziger Jahren Gastarbeiter, in den Siebzigern Ausländer, in den Achtziger Asylanten oder Flüchtlinge hießen. Er meint damit, dass man an der Art, wie sich die Worte verformen, die Einstellung der Mehrheit zu den Minderheiten ablesen könne.

Ich finde, er hat damit Recht. Provokativ stellt Friedman in der Diskussion die Frage: „Wenn ich jetzt sagen würde, es gibt keinen rassistischeren, diskriminierenderen Begriff als Integration, hätte ich dann Unrecht?“ Und er beantwortet die Frage selbst, indem er das I-Wort als „unheilvolles Konstrukt“ sieht, das dazu diene, Individuen dem Willen einer grauen Mehrheit zu unterjochen. Und er habe sich noch nie integrieren wollen, nicht bei seinen Eltern, nicht bei Helmut Kohl und nicht bei Gerhard Schröder. Er sagt, er wolle im Prinzip nur er selber sein.

Nachdem die Nullerjahre nun vorbei sind, könnte man ja wieder mal auf einen neuen Begriff nach dem Wort Migranten kommen. Wie wäre es mit Integranten? Das Problem wäre vielleicht nur, dass man es mit dem Wort Intriganten verwechseln könnte. Diese neue Wortschöpfung hätte vielleicht sogar die Chance, zum Wort oder Unwort des Jahres 2011 gewählt zu werden.

Said ist aus Syrien und lebt seit neun Jahren in Deutschland. Er ist mit einer deutschen Frau verheiratet und arbeitet als Selbstständiger in einem Dönerimbiss in Freiberg, den er gemietet hat. In seinem Ausweis steht der Status „Aufenthaltserlaubnis“, er braucht aber für seine Integration in Deutschland eine „Niederlassungserlaubnis“, die er jedoch nicht so leicht bekommt, obwohl er seinen Lebensunterhalt selbst verdient, also nicht vom Staat lebt. Die deutsche Sprache hat er sich hauptsächlich selbst angeeignet, das heißt, er hat einen großen Wortschatz, kann aber kaum lesen und schreiben. Ich übe mit ihm das Alphabet und lasse ihn einfache Texte lesen. Im Rahmen meines Unterrichts nutze ich auch die Schulküche, um den Sprachunterricht mit der Alltagspraxis zu verbinden, denn die meisten meiner Schüler kochen selbst und das zum Teil hervorragend.

Said ist ein sehr guter Koch und hat für uns verschiedene Gerichte zubereitet, so zum Beispiel Lachs mit Reis und Salat, Pizza oder Hähnchen mit Reis. Beim Zubereiten der Mahlzeiten haben wir immer viel Spaß, denn Said ist ein Mensch, der viel Humor hat und uns deshalb oft zum Lachen bringt. Er ist Moslem, der jedoch anderen Religionen und Anschauungen gegenüber aufgeschlossen ist.

Cristiane ist neugierig und fragt Said ein bisschen aus: „Wie ist es bei euch mit den Frauen? Darfst du als Moslem wirklich vier Frauen heiraten?“ – „Ja“, meint er, „wenn meine Frau damit einverstanden ist. Aber ich will nur eine.“ Das freut uns für seine Frau, eine Deutsche, mit der er einen sechsjährigen Jungen hat. Das Christentum erlaubt nur eine Frau und verpflichtet die Ehepartner zur ewigen Treue. Für Katholiken gilt sogar die Devise: „Bis dass der Tod euch scheidet.“ Das ist die Theorie und was der Bibeltext verlangt, doch die Praxis sieht oft anders aus, denn ich weiß von einem Katholiken aus meinem Bekanntenkreis, dass er seine Frau schon mehrmals betrogen hat. Auch sonst nehmen es die Deutschen, nicht nur Männer, mit dem Eheversprechen nicht so genau. Bei einem meiner wöchentlichen Besuche traf ich auf Khaled, der im vorigen Schuljahr in meinem Unterricht war, ihn aber aus persönlichen Gründen abgebrochen hatte. Er fragte mich, ob er wieder in die Klasse kommen könnte, denn er braucht unbedingt den B1-Abschluss, das ist ein Zeugnis, das die dritte Stufe des Europäischen Referenzrahmens und der Nachweis für das Erlernen der deutschen Sprache sind. Ich will ihm helfen und verspreche ihm, mich für ihn in der Sächsischen Bildungsagentur einzusetzen. Von der zuständigen Mitarbeiterin erfahre ich, dass er leider nicht an der Prüfung teilnehmen darf, weil er in diesem Schuljahr nicht angemeldet war. Er sieht es gelassen und meint, dass er ja aufgrund seines laufenden Asylverfahrens noch genügend Zeit dazu hätte.

Die Politiker des Landes sind sich einig, dass das Erlernen der deutschen Sprache für Menschen mit einer anderen Muttersprache, die in unserem Land leben wollen, an erster Stelle steht. Doch längst nicht alle haben die Pflicht, geschweige denn das Recht dazu. Das sind vor allem die Migranten mit einem Duldungsstatus bzw. die mit einem laufenden Asylverfahren. Auf Befragung der Ausländerbehörde erhielt ich die Antwort, dass die betreffenden Personen nicht gefördert werden dürfen, so dass es ihnen überlassen bleibt, was sie mit ihrer endlosen Freizeit anfangen. Die Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis werden dagegen verpflichtet, einen Integrationskurs zu besuchen. Es ist ein Paradoxon, dass ihnen die Zeit, oft sind es Monate, die sie in der Vorbereitungsklasse mit berufsbildenden Aspekten Deutsch gelernt haben, nicht angerechnet werden. Außerdem verwehrt ihnen der Wechsel zu einem Integrationskurs, der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert wird, die Rückkehr an eine öffentliche Schule, um dort einen Schulabschluss zu machen, auf den sie sich in meiner Klasse vorbereiten. Dazu muss man wissen, was ein Integrationskurs beinhaltet, der sich nicht wie die Bezeichnung vermuten lässt auf eine umfassende Integration, die alle Bereiche des Lebens umfasst, bezieht. Bestehend aus einem 600 Stunden umfassenden Basissprachkurs und einem 45 Stunden umfassenden Aufbausprachkurs dient der Kurs der Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse bis zum Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens. Bei Wikipedia heißt es zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund: „Der Prozess der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund besteht aus Annäherung, gegenseitiger Auseinandersetzung, Kommunikation, Finden von Gemeinsamkeiten, Feststellen von Unterschieden und der Übernahme gemeinschaftlicher Verantwortung zwischen Zugewanderten und der anwesenden Mehrheitsbevölkerung.“ Es besteht also eine offensichtliche Diskrepanz zwischen dem Begriff Integration und seiner Realisierungsmöglichkeit mit Hilfe der so genannten Kurse, da es sich in erster Linie um Sprachkurse handelt. Ich verbinde in meinem Unterricht den Spracherwerb mit vielfältiger praktischer Tätigkeit. Diese umfasst gemeinsame Sportstunden mit Schülern des BSZ, in denen wir zum Beispiel Volleyball oder Basketball spielen, oder das Kochen von ausländischen und deutschen Gerichten in der Schulküche. Dazu gehören Bowling- und Billardspielen mit Schülern anderer Schulen, Museums- und Kinobesuche oder die Besichtigung von historischen Bauwerken wie dem Freiberger Dom. Wir gehen zusammen ins Freizeitbad nach Marienberg oder besteigen das Besucherbergwerk „Reiche Zeche“ in Freiberg. Mit Jugendlichen, die noch große sprachliche Probleme haben, fahre ich zur Ausländerbehörde, gehe mit ihnen zum Arbeitsamt, zur Sparkasse oder zur Krankenkasse, um ihnen beim Ausfüllen von Formularen zu helfen. Nun kann und will ich keinem Unterrichtenden der Integrationskurse unterstellen, außer der Vermittlung der Sprache die Gelegenheiten zur praktischen Integration nicht zu nutzen. Meine Erfahrung bei der Arbeit mit jugendlichen Migranten und solchen mit Migrationshintergrund führte auf jeden Fall zu der Erkenntnis, dass allein die Unterrichtsstunden zum erfolgreichen Spracherwerb nicht ausreichen. Den zuständigen Behörden schlage ich deshalb vor, den Inhalt der Integrationskurse auf Tätigkeiten im Alltag der betreffenden Menschen zu erweitern. Gegenargumente werden wahrscheinlich fehlende finanzielle Mittel sein, die man meiner Meinung nach jedoch mit dem Einsparen anderer wie zum Beispiel unnötiger Fahrtkosten ausgleichen kann. Warum müssen Migranten, die in Freiberg wohnen, in Chemnitz einen Integrationskurs an der Volkshochschule besuchen, wenn dieser in ihrem Wohnort angeboten wird? Warum werden Kinder vom Asylbewerberheim in Mobendorf mit dem Bus nach Hainichen zur Schule gefahren, wenn sie vom Asylbewerberheim in Freiberg aus zu Fuß zur Schule gehen könnten? Warum wird die Schließung eines zentral gelegenen Asylheims zugunsten eines abgelegenen erwogen?

Vor drei Jahren hatte ich neben meiner Tätigkeit am BSZ in Freiberg einen Nebenjob an der Volkshochschule in Chemnitz. Dort unterrichtete ich an zwei Tagen in der Woche Migranten in einem Alphabetisierungskurs in einer Gruppe von sechs Personen, von denen ein Mann aus Russland nur am ersten Tag anwesend war. Welche Folgen das für ihn hatte, weiß ich nicht, auf jeden Fall blieb sein Name auf meiner Liste der Teilnehmer. Das interessierte mich natürlich nicht, denn meine Stunden konnte ich ja trotzdem halten, die ausschließlich im Klassenraum stattfanden. Der Alphabetisierungskurs, zu dem ein Sprachkurs und ein Orientierungskurs gehören, ist die erste Stufe eines Integrationskurses. In der Sendung „Report Mainz“ vom 25.07.2011 wurde die Summe von 200 Millionen Euro genannt, die der Staat jedes Jahr für die Finanzierung der Kurse aufbringt. Das sei zunächst mal positiv, doch „Report Mainz“ recherchierte, dass „hinter den Kulissen getrickst und getäuscht“ wird. Und weiter heißt es: „Lehrer von Integrationskursen und Verwaltungsmitarbeiter bei Schulträgern berichten übereinstimmend von gefälschten Anwesenheitslisten und ganzen Kursen, die nur auf dem Papier bestehen. Bei staatlich geförderten Integrationskursen kommt es offenbar zu systematischem Abrechnungsbetrug (www.swr.de). Den Beweis bringt das politische Magazin anhand von Gesprächen mit sieben Informanten, die alle von manipulierten Listen berichten. Diese sind wiederum die Grundlage für die Abrechnung mit dem Bundesamt, von dem es für jeden Teilnehmer 2,35 Euro gibt. „Report Mainz“ weiß, dass zurzeit 90.000 Teilnehmer in einem Integrationskurs lernen und der Schaden von Insidern auf mehr als 100 Millionen Euro geschätzt wird. Ich habe einen Vorschlag, wie man dieses Geld besser verwenden könnte. In den Orientierungskursen geht es zum Beispiel um die Vermittlung von Kenntnissen über die Rechtsordnung, die Gesellschaft und die Geschichte Deutschlands. Warum kann man diese nicht mit Besuchen in einem Gericht oder im Rathaus oder auch in einem Museum verbinden? Das Geld wäre also auf jeden Fall vorhanden und die Bezeichnung Integrationskurs hätte eine größere Berechtigung.

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