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Russen

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Einer meiner Lieblingsschriftsteller mit Migrationshintergrund ist Wladimir Kaminer, der 1990 in der damals noch bestehenden DDR „humanitäres Asyl“ bekam und kurzfristig die Staatsbürgerschaft der DDR und mit dem Beitritt dieser zur BRD automatisch die bundesdeutsche Staatsbürgerschaft erhielt.

In einer seiner Geschichten unter dem Titel „Von Tübingen nach Böblingen“ zitiert er einen Werbespruch für einen seiner Live-Auftritte mit dem Titel „Der Russe kommt.“ mit der Bemerkung, dass die Russen wohl immer noch Aversionen bei den Deutschen auslösen, und sich dabei selbst auf die Schippe nimmt.

Da auch ein Russe in meinem Deutschkurs lernt, um seine deutschen Sprachkenntnisse zu erweitern, bezog ich diese Geschichte in meinen Unterricht ein und verband sie mit einer Phonetikübung. Der russische Akzent von Kaminer lässt sich ja nun mal nicht verleugnen und dient als gutes Beispiel für bestimmte unüberwindbare Hürden im Erlernen der deutschen Sprache.

Die Aussage „Der Russe kommt!“ kann noch durch den Satz „Die Russen kommen!“ gesteigert werden, den eine Radiomoderatorin machte, als sie von den neuen Einreisebestimmungen für Russen in die Türkei berichtete. Der Inhalt der Nachricht war, dass sich die Türkei schon jetzt auf die vielen russischen Touristen im kommenden Sommer freut und in Antalya sogar ein neues Hotel mit der Architektur des Kremls gebaut wurde. Sie ergänzte diese Meldung noch mit der ihrer Meinung nach lustigen Äußerung: „Aber die Liegen am Strand bleiben in deutscher Hand.“

Meine Oma erzählte mir mehrmals eine Episode, die sie kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hatte. Auch damals kamen die Russen nach Deutschland, aber aus einem anderen Grund. Nachdem Hitler den Krieg verloren hatte, wurde Ostdeutschland russische Besatzungszone und die Soldaten der Roten Armee waren in vielen Orten präsent. Die Begeisterung der Bevölkerung darüber hielt sich in Grenzen, oft überwog sogar die Angst vor Racheakten und Repressalien. Auch in die Wohnung meiner Großmutter kamen zwei Russen, nachdem sie ihre Pferde im gegenüberliegenden Grundstück angeleint hatten. Während sie sich mit Parfüm besprühten, rannte meine Oma aus der Wohnung ins zwei Kilometer entfernte Polizeirevier, um Hilfe zu holen. Als sie zurückkam, waren die russischen Soldaten jedoch schon wieder weg, doch das Erlebnis hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt und sie erzählte es immer wieder. In der Schule bekamen wir später nichts von solchen oder ähnlichen Situationen zu hören. Im Vergleich zu diesem harmlosen Ereignis gab es jedoch auch andere Vorfälle zwischen Deutschen und Russen wie zum Beispiel Vergewaltigungen und Plünderungen. Einem Russen haben wir Deutschen allerdings auch die problemlose Wiedervereinigung zu verdanken. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die damalige Sowjetunion dies 1989 versucht hätte zu verhindern. Doch mit Gorbatschow hatte das Land einen Reformpolitiker, der die Zeichen der Zeit erkannte und den Slogan „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ populär machte. Die Euphorie über ein vereintes Deutschland wich bald bei so manchem Ostdeutschen, der bald seine Arbeit verlor, zugunsten des Realitätssinns. Auch die Westdeutschen mussten feststellen, dass die Wiedervereinigung nicht nur positive Auswirkungen auf ihr Leben hatte.Für mich sind Meinungs- und Reisefreiheit große Errungenschaften gegenüber dem Honecker-Staat, der eigene politische Ansichten unterdrückte und Reisen ins nichtsozialistische Ausland nur Privilegierten und später Rentnern erlaubte. Doch auch auf die Russen hatte die Entwicklung in Deutschland vor 20 Jahren positive Auswirkungen, indem Spätaussiedlern die Einreise nach Deutschland erleichtert wurde. Die russische Sprache war mit der Wende für viele Jahre „out“ und aus Russischlehrern wurden Englischlehrer. Doch die Motivation zum Erlernen der englischen Sprache hielt und hält sich bei den Schülern der Mittel- und Förderschulen in Grenzen. In meinen Unterrichtsstunden höre ich oft die Begründung: „Das brauche ich nicht im späteren Leben.“ Ich gebe zu, die Lehrpläne der Fächer sind vollgestopft mit Stoff, der oft wirklich nicht die Frage nach dem Sinn des zu erlernenden Inhalts beantworten lässt. Doch das Lernen einer Fremdsprache sehe ich als sehr wichtig an, gerade im heutigen Zeitalter der Globalisierung.

Meine Antwort auf Ihr Buch, Herr Sarrazin

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