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II. Historische Sprachentwicklung und soziolinguistische Erklärungsansätze 1 Entwicklung der luxemburgischen Mehrsprachigkeit

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„It is impossible to understand societal multilingualism fully without understanding something of the historical patterns that lead to its existence“ (Fasold 2004: 9).

Auf dem Gebiet, auf welchem sich das heutige Großherzogtum befindet, wurde über Jahrhunderte hinweg durch wechselnde Dynastien, durch Einwirkungen von außen und die Entstehung des Nationalstaates im Inneren, mal mehr der germanische und mal mehr der romanische Spracheinfluss gestärkt (vgl. Gilles 2009: 185).1

Die luxemburgische Territorialgeschichte begann im Jahr 963 als Siegfried aus dem Ardennergeschlecht einen Felsvorsprung an der Alzette erwarb. Entlang der kleinen Burg Lucilinburhuc, die er zwischen 963 und 987 dort errichten ließ, entwickelten sich eine Stadt und Siedlungen auf germanophonem Sprachgebiet (vgl. Trausch 1989: 19). Im Jahr 1136 erlosch die männliche Linie dieser ersten Luxemburger Dynastie (vgl. Bruch 1953: 64). Luxemburg fiel an das westlich orientierte Haus Namur und stand nun stärker unter romanischem Einfluss (vgl. Fröhlich/Hoffmann 1997: 1159).2 Während des 11., 12. und 13. Jahrhunderts dehnte sich die Grafschaft immer weiter nach Westen auf französisches Sprachgebiet aus (vgl. Thewes 2008: 2). Ende des 13. Jahrhunderts umfasste sie zwischen Maas und Mosel ein ausgedehntes Gebiet beiderseits der Sprachgrenze (vgl. ebd.). Im Westteil wurde Wallonisch und im Ostteil eine ‚luxemburgische’ Varietät des Deutschen gesprochen (vgl. Trausch 2008: 15). Unter dem Haus Namur und der Herrschaft Heinrich des VII. wurde die französische Sprache zur Amtssprache erhoben und trat damit an die Stelle des Lateinischen (vgl. Hoffmann 1979: 26). Mit der Regentschaft Johanns des Blinden, Sohn Heinrich des VII., gewann das Französische weiter an Boden (vgl. ebd.: 27). Aus sprachpolitischer Sicht nahm Johann der Blinde eine bedeutende Regelung vor: Er teilte das luxemburgische Gebiet im Jahr 1340 verwaltungstechnisch auf, in ein quartier wallon und in ein quartier allemand. Die territoriale Zweisprachigkeit wurde so auch von offizieller Seite bestätigt (vgl. ebd.). Unter Balduin von Luxemburg mussten Staatsurkunden wieder auf Latein oder Deutsch verfasst werden, was das gehobene Bürgertum jedoch nicht daran hinderte weiterhin Französisch zu benutzen (vgl. ebd.). Die Bevölkerung ging in beiden Sprachgebieten ihren sprachlichen Gewohnheiten nach (vgl. ebd.). Unter Wenzel dem I., Sohn Johanns des Blinden, wechselte die Sprachenpolitik erneut: Das Französische wurde im offiziellen Bereich wieder massiv vorangetrieben (vgl. ebd.). Mit Wenzel dem II. begann dann die Zeit der Pfandherrschaften in Luxemburg (vgl. Pauly 2011: 42). Offizielle Urkunden wurden wieder ausschließlich auf Deutsch verfasst (vgl. Hoffmann 1979: 28). Im Jahr 1443 eroberte Philipp der Gute von Burgund die Festung und erhob seinerseits erneut das Französische zur Verwaltungssprache und offiziellen Sprache (vgl. ebd.; Timm 2014: 17). Nach der burgundischen Herrschaft geriet Luxemburg in spanische Regentschaft, die 1648 von den Franzosen beendet wurde. Von 1697 bis 1714 fiel es erneut an Spanien, zwischen 1714 und 1795 war es in österreichischem Besitz, um danach wieder bis zum Zusammenbruch des Napoleonischen Reiches als Département des Forêts zu Frankreich zu gehören (vgl. ebd.). Unter allen Regentschaften behielt die französische Sprache ihre Stellung als Verwaltungs- und Amtssprache (vgl. Hoffmann 1979: 28). Sie war darüber hinaus in ganz Westeuropa zur Kultur- und Bildungssprache avanciert, galt als Ausdruck der Moderne und als höfische Sprache per excellence (vgl. Fehlen 2013: 38a). Sowohl im wallonischen als auch im deutschsprachigen Landesteil wurde sie als Prestigesprache kultiviert.

Nach dem Zusammenbruch des Napoleonischen Reiches wurde die europäische Landkarte 1815 neu geordnet (vgl. Thewes 2008: 4). Durch den Wiener Kongress wurde Luxemburg zum selbstständigen Nationalstaat (vgl. ebd.). Wilhelm der I. von Oranien-Nassau wurde zum König der Niederlande ernannt und zugleich zum Großherzog von Luxemburg erklärt. Ihm wurde aufgetragen, eine unabhängige Verwaltung in Luxemburg aufzubauen, in Wahrheit betrachtete er Luxemburg als 18. Provinz der Niederlande (vgl. Timm 2014: 17; Trausch 2008: 17). Er führte die niederländische Sprache ein und erhob sie neben der französischen zur Amtssprache (vgl. Pauly 2011: 67). Niederländisch und Französisch wurden in der Schule gefördert und der deutsche Einfluss eingedämmt (vgl. Fehlen 2008: 47). Die belgische Revolution von 1830 und der Wille der Luxemburger Teil Belgiens zu werden, führten zu einer sprachpolitischen Kehrtwende Wilhelms: Nicht mehr Preußen, sondern Belgien erschien ihm nun als die größere Gefahr (vgl. Bruch 1953: 89). Er setzte fortan alles daran, das luxemburgische Volk zu germanisieren, um es von diesem Anschlussgedanken abzubringen (vgl. Fehlen 2008: 47f.).

Bis heute wird das Jahr 1839 als Jahr der Unabhängigkeit Luxemburgs gefeiert. Sprachhistorische Überblicksdarstellungen setzen oft hier an. Die zwei ersten Teilungen Luxemburgs (nach dem spanischen Erbfolgekrieg im 17. Jahrhundert und 1815 im Zuge des Wiener Kongresses) änderten nichts an der territorialgebundenen Sprachenverteilung. 3 Das änderte sich mit dem Londoner Vertrag 1839. Das wallonische Sprachgebiet Luxemburgs, mitsamt der Marktgrafschaft Arlon und der Grafschaft Bouillon, fiel an Belgien (vgl. LW15: 18.04.1989).4 Luxemburg verlor sein französischsprachiges Gebiet und nahm mit 2586 km2 seine heutige Ausdehnung an.

En 1839, les Luxembourgeois germanophones se retrouvent avec un État qu’ils n’ont ni recherché ni même souhaité. Ils sont au nombre de 170000 sur un territoire de 2586 km2. Cet État est l’un des plus pauvres d’Europe, avec une agriculture peu productive et une industrie travaillant encore selon des procédés surannés, alors qu’au même moment la Belgique est en train d’accomplir sa révolution industrielle (Trausch 2003: 214).

1839 war Luxemburg ländlich und rückständig. Die Mehrheit der Luxemburger hatte keine Schulausbildung und sprach nichts anderes als ihren deutschen Dialekt (vgl. Trausch 2008: 21).5 Das Verwaltungspersonal, das nach der Teilung des Landes übrig blieb und beim Aufbau des Verwaltungsapparates behilflich sein sollte, hatte dagegen eine französische, niederländische oder belgische Ausbildung absolviert (vgl. Trausch 2008: 19). Die gebildeten Eliten pflegten ebenfalls Französisch zu sprechen. Die französische Sprache blieb somit die dominierende Verwaltungssprache und die Sprache der Obrigkeit (vgl. Gilles 2009: 186). Ein Bruch zwischen den einfachen Schichten und der Elite musste verhindert werden. Französischkenntnisse waren darüber hinaus überlebensnotwendig, „[pour] maintenir ouvert l’accès vers la France et la Belgique“ und, um sich eine Eigenheit zu bewahren, die vor einer Vereinnahmung durch den großen deutschen Nachbarn schützen sollte (Trausch 2003: 216f.). Deshalb wurde von der Bevölkerung verlangt, in der Grundschule intensiv Französisch zu lernen (vgl. Trausch 2008: 20). Im ersten Schulgesetz aus dem Jahr 1843 wurde der Erwerb der französischen Sprache für alle Primarschulkinder obligatorisch. Dieser sprachpolitische Eingriff in das Bildungswesen nahm eine entscheidende und dauerhafte Auswirkung auf die Entwicklung des Landes und dessen nationales Selbstverständnis. So schreibt Voss (2012: 56), dass die „von der Verwaltungselite 1843 eingerichtete zweisprachige Primärschule […] sich zu einer zentralen Institution der Luxemburger Identität entwickel[t] [habe].“

Fünf Jahre später, 1848, fand diese Zweisprachigkeit Eingang in die luxemburgische Verfassung. In Artikel 30 wurde der gleichberechtigte Gebrauch beider Sprachen, des Deutschen und des Französischen, fest verankert.6 Jedem Luxemburger wurde die Wahl überlassen eine Angelegenheit auf Deutsch oder auf Französisch zu verhandeln:

L’emploi des langues allemande et française est facultatif. L’usage n’en peut être limité. Der Gebrauch der deutschen und der französischen Sprache steht jedem frei; es darf derselbe nicht beschränkt werden

(Artikel 30 der Verfassung des Großherzogtums Luxemburg aus dem Jahr 1848) (Mémorial 1848: 395).7

Rechtlich gesehen war die Sprachenlage Luxemburgs damit die eines zweisprachigen Staates (vgl. LW15: 18.04.1989). Die Bevölkerung des 1839 gegründeten Nationalstaates hätte ihre Umgangssprache nie als ‚Lëtzebuerger Sprooch’, Luxemburger Sprache, bezeichnet, noch behauptet bei dieser Mundart handele es sich um etwas anderes als einen deutschen Dialekt. Sie bezeichnete sie als Letzebourger Deutsch, als eine Varietät des Deutschen, und sah darin kein politisches Statement:

Certes, les Luxembourgeois de 1840, de 1870 ou de 1890 ont conscience de ne parler qu’un dialecte d’origine allemande – le ‘Moselfränkisch’ des linguistes, le ‘Letzebuerger-Deitsch’ de l’homme de la rue. Le recours au français et à l’allemand pour tout ce qui dépasse les réalités de la vie quotidienne leur paraît comme allant de soi, mais aussi comme étant dépourvu de toute signification politique. Ils vivent tranquilles à l’abri de la neutralité, dont ils ont sans doute tort de surestimer la protection, et pour le reste travaillent dur (LL10 : 11.10.1985).

Als der neu gewählte Abgeordnete C.M. Spoo am 10. November 1896 seine erste Rede in der luxemburgischen Abgeordnetenkammer in ebendiesem Dialekt hielt, reagierten die Anwesenden teils erheitert, teils aufgebracht über seinen Fauxpas (vgl. LW15: 18.04.1989). Spoo erreichte jedoch, dass am 9. Dezember 1896 eine Debatte in der Abgeordnetenkammer über die Verwendung des Letzebourger Deutschs im politischen Raum stattfand (vgl. Hoffmann 1979: 35). Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte dabei gegen die Verwendung des Dialekts (vgl. ebd). Es blieb dabei, dass in dieser prestigebesetzten Domäne entweder Hochdeutsch oder – besser noch – Französisch benutzt werden sollte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Artikel 30 der Verfassung nicht mehr tragbar. Die luxemburgische Verfassung musste geändert werden. Mit Artikel 29 wird am 6. Mai 1948 folgender Passus eingefügt:

La loi réglera l’emploi des langues en matière administrative et judiciaire

(Artikel 29 der Verfassung des Großherzogtums Luxemburg, Verfassungsänderung im Jahr 1948) (Mémorial 1948: 685).

Der zweifache Überfall durch den deutschen Nachbarn und die Germanisierungsversuche der nationalsozialistischen Besatzung führten zu einer nachhaltigen Degradierung des Stellenwerts der deutschen Sprache in Luxemburg.8 Das Letzebourger Deutsch, das in den Köpfen der Luxemburger lange nichts anderes gewesen war als ein deutscher Dialekt, emanzipierte sich infolge dieser Erfahrungen aus dem deutschen Varietätengefüge. Luxemburgisch wurde und wird mit politischer Förderung ausgebaut.9 Es wird 36 Jahre dauern bis auf die Ankündigung vom 6. Mai 1948, die loi sur le régime des langues folgt, das Gesetz, welches der Sprachensituation in Luxemburg bis heute ihr gesetzliches Fundament gibt. 1984 wurde das Lëtzebuergesche zur offiziellen Nationalsprache der Luxemburger erklärt und die komplexe Sprachensituation, die Teil des nationalen Selbstverständnisses der Nation ist, erklärt. Dieser Gesetzestext wird in Kapitel VIII. ausführlich untersucht.

Loi du 24. février 1984 sur le régime des langues :

Art. 1er. Langue nationale

La langue nationale des Luxembourgeois est le luxembourgeois.

Art. 2. Langue de la législation

Les actes législatifs et leurs règlements d’exécution sont rédigés en français. Lorsque les actes législatifs et réglementaires sont accompagnés d’une traduction, seul le texte français fait foi. Au cas où des règlements non visés à l’alinéa qui précède sont édictés par un organe de l’Etat, des communes ou des établissements publics dans une langue autre que la française, seul le texte dans la langue employée par cet organe fait foi. Le présent article ne déroge pas aux dispositions applicables en matière de conventions internationales.

Art. 3. Langues administratives et judiciaires

En matière administrative, contentieuse ou non contentieuse, et en matière judiciaire, il peut être fait usage des langues française, allemande ou luxembourgeoise, sans préjudice des dispositions spéciales concernant certaines matières.

Art. 4. Requêtes administratives

Lorsqu’une requête est rédigée en luxembourgeois, en français ou en allemand, l’administration doit se servir, dans la mesure du possible, pour sa réponse de la langue choisie par le requérant.

Art. 5. Abrogation

Sont abrogées toutes les dispositions incompatibles avec la présente loi, notamment les dispositions suivantes : Arrêté royal grand-ducal du 4 juin 1830 contenant des modifications aux dispositions existantes au sujet des diverses langues en usage dans le royaume ; Dépêche du 24 avril 1832 à la commission du gouvernement, par le référ. intime, relative à l’emploi de la langue allemande dans les relations avec la diète ; Arrêté royal grand-ducal du 22 février 1834 concernant l’usage des langues allemande et française dans les actes publics […] (Mémorial 1984: 196f.).

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