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Erbswurstsuppe und Skiwasser

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So stark weiterentwickelt wie das Material hat sich auch die Kulinarik auf den Hütten. Einkehrschwung, das hieß früher aufwärmen, aufs Klo gehen und kleine Karte. Wobei die Selbstbedienung schon damals Standard war und das Balancieren des Tabletts in Skischuhen mehr zur Ausbildung unseres Gleichgewichtssinnes und damit zur Sicherheit auf den Skiern beigetragen hat als jede noch so schwere Buckelpiste.

Wo heute auf zigtausend Metern manchmal sogar zwischen frischer Steinofenpizza, Filetspitzen und aus einer ansehnlichen Weinkarte gewählt werden kann, hieß es damals immer nur: Erbswurstsuppe, Berner Würstel oder Germknödel. Kaum etwas sieht so eklig aus wie Erbsensuppe mit Würstel. Es gibt sie auch ausschließlich auf Skihütten. Kinder hassen sie und Erwachsene essen sie nur deshalb, weil es sie an früher erinnert. Die Erbswurstsuppe dient also von jeher bloß dem Verfestigen von Erinnerungen. Eine ähnliche Funktion erfüllt das Skiwasser. Der verwässerte und völlig unangemessen teure Himbeersaft findet nur auf Skihütten Abnehmer. Ein anderes Phänomen der Skikulinarik: Käsespätzle, Kaspressknödel und Gulaschsuppe. Lauter Gerichte, die alle gesundheitlich positiven Effekte des Bergsports (Bewegung, frische Luft) mit einem Schlag zunichtemachen.

Doch bevor man sich an diesen fragwürdigen kulinarischen Angeboten laben konnte – so hungrig wie ein Skitag macht sonst nur schwere körperliche Arbeit –, mussten wir zuerst einmal einen Platz ergattern. Das begann mit einer schweren Entscheidung: Wohin mit den Latten und den Stöcken? Die Metall- oder Holzständer vor den Hütten waren meist hoffnungslos überfüllt. Wir neigten dazu, einfach die Bindung zu öffnen und die Skier, so wie sie waren, liegen zu lassen. Man wusste ja, wo sie waren. Später allerdings leider nicht mehr so genau.

Wollte man mittagessen, und alle wollten zu Mittag essen, also so gegen halb eins, dann stellte sich die Frage: drinnen oder draußen? Wobei, eigentlich stellte sie sich nicht: War es warm und schön, musste man drinnen sitzen. War es eisig kalt, aß man im Freien. Denn die Hütten an den neuralgischen Punkten waren zu den Stoßzeiten so überfüllt, dass man froh sein musste, überhaupt noch irgendeinen Platz zu bekommen. Und der war immer dort, wo gerade niemand sein wollte. Da wir uns unser Essen selber holen mussten, galt es, sich einen Tisch zu sichern, bevor man sich ums Essen anstellte. Am beliebtesten waren in der Hütte Eckplätze mit Bank, jene vor der Hütte die an der Hauswand. Hatte man einen Platz ergattert, reservierte man ihn mit einem ganzen Haufen an Materialien: Hauben, Handschuhen, Skibrillen, oft auch Anoraks zeugten davon, dass hier nichts mehr zu holen war. Uns Kindern war immer zu heiß oder zu kalt.

Apropos Hütte: Das mit Abstand Gefährlichste am gesamten Skisport waren nicht etwa Fahrten in ungesicherten Tiefschneehängen, Sprünge über nicht einsehbare Schanzen oder waghalsige Schussfahrten – sondern in der Skihütte die Toilette erfolgreich aufzusuchen. Mit geschlossenen Skischuhen versuchten wir die gefliesten, nassen und damit unendlich rutschigen Stufen in den Keller hinunterzusteigen. Hatte man das geschafft, ohne sich den Hals zu brechen, kam der nächste heikle Teil. Unter den verschiedenen wärmenden Schichten etwa jenen Teil herauszuwurschteln, der einem Erleichterung verschaffen konnte. Wer sich hinsetzte, riskierte, dass der obere Teil des Overalls die eklige Nässe am Boden berührte, außer man hatte alles Ausgezogene gekonnt verknotet. Bis dahin klopften dann aber schon zig Wartende an die Klotür.

Auch für unsere Eltern war das Einkehren wenig erholsam. Kaum hatten sie sich hingesetzt, waren wir mit unserem Essen schon fertig und drängten auf den Aufbruch. Vor allem bei schönem Wetter im Freien gab es immer Diskussionen: Die Erwachsenen wollten nach dem Essen gerne noch ein bisschen in der Sonne sitzen und die Augen zumachen. Wir dagegen so schnell wie möglich wieder in die Bindung steigen.

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