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Vorfahren, Frieren, Flaschendrehen

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Einer der Fixpunkte im Schulkalender der 1980er-Jahre war der Schulskikurs. Von Vorarlberg bis Wien obligatorisch, von vielen herbeigesehnt, von manchen auch ein bisschen gefürchtet. Der Skiausflug mit der Schulklasse war nämlich nichts für verweichlichte Naturen. Zum einen wegen des Reisezeitpunktes. Weil Skifahren immer schon teuer war, sucht man möglichst eine Woche in der Nebensaison, vorzugsweise im saukalten Jänner oder Februar in einem abgelegenen Skigebiet, das idealerweise noch als Schneeloch verschrien war. Und während man in den Skiferien mit den Eltern bei Schlechtwetter zumindest partiell auf Gnade hoffen konnte – „Gut, heute hören wir schon zu Mittag auf und gehen noch ins Hallenbad“ –, war das Nine-to-four beim Schulskikurs nicht verhandelbar.

Egal ob es schneite, nebelig war, minus 20 Grad hatte oder alles zusammen, die Gruppe brach im Morgengrauen auf. Wobei das natürlich schon auch stark vom Lehrer abhängig war, der eine Gruppe leitete. Da konnte man dem gefürchteten Sportprofessor zugeteilt werden, der allein nach 16 Uhr die Tourenski anschnallte, um sich noch ein bisserl an der frischen Luft zu bewegen (den gab es wirklich, Name den Autoren bekannt), für den jede Minute länger in der Hütte eine persönliche Niederlage war. Oder eben jene Geschichtelehrerin, die prinzipiell eher eine Anhängerin des Sonnenskilaufes war und auch der Geschichte der Hüttenkultur durchaus etwas abgewinnen konnte.

Nicht nur die Witterung, auch das Quartier war häufig nichts für schwache Nerven: Spartanische Jugendherbergen mit Sechs- bis Achtbettzimmern samt fragwürdigsten Sanitäreinrichtungen am Gang und wirklich grenzwertiger Verpflegung. Vom hygienischen Aspekt her war es immerhin ein Riesenvorteil, dass sich jenseits der Baumgrenze und bei zweistelligen Minusgraden auch das Ungeziefer schwertat zu überleben.

Neben diesen allgemeinen Umständen, die einen Schulskikurs zur Bewährungsprobe machen konnten, kamen auch noch zwei höchstpersönliche Schicksalsentscheidungen dazu: Welcher Gruppe wirst du zugeteilt? Und in welches Zimmer kommst du? Die Zimmerbesetzung wurde schon Wochen vor dem Skikurs heftig diskutiert. Gehörte man nicht zu jenen in der Klasse, die den Ton angaben, musste man taktisch sehr genau überlegen, auf welches Zimmer man setzte. Ging man auf Nummer sicher und entschied sich für ein faderes Zimmer, das man aber dafür fix hatte? Oder ging man aufs Ganze, bewarb sich um einen Platz in einem Zimmer mit einer begehrten Partie, mit der Gefahr, plötzlich ins schlechteste Zimmer zu müssen, wenn das Topzimmer ein Sechs- statt ein Achtbettzimmer zugewiesen bekam. Von solchen Zufälligkeiten hing der Erfolg oder Misserfolg bei einem Skikurs ganz wesentlich ab.

Vor allem aber auch von der Gruppenzugehörigkeit. Doch die wurde nicht durch wochenlanges Mauscheln samt Bestechungsversuchen im Dunkeln entschieden, sondern beim sogenannten Vorfahren am helllichten Tag. Dazu musste man nach einer langen Anreise mit einem Bus gleich nach der Ankunft in voller Skimontur antreten. Da die Liftkarten aber erst ab dem nächsten Tag gültig waren, fand das Vorfahren meist auf dem Schlusshang der Talabfahrt statt, den wir zu Fuß hinaufgehen mussten. Nachdem der Lift schon abgedreht worden war, steckte dort am steilsten Stück des Hanges einer der Turnlehrer ein paar Tore aus, und wir mussten vor den Augen der Schulskikursbetreuer, aber vor allem auch vor den Augen aller Parallelklassen, die mit auf Skikurs waren, vorfahren. Und diese vier Schwünge entschieden über Leben und Tod. Denn speziell in Westösterreich war die Zugehörigkeit zur „Ersten Gruppe“ schon ziemlich wichtig für den Rang in der Hackordnung der Klasse. Hier und bei der Zimmereinteilung konnte sich also schon am ersten Tag entscheiden, ob die Skiwoche ein Flop oder ein Highlight wurde.

Dass der Skikurs nichts für Weicheier war, bewahrheitete sich meist schon am zweiten oder dritten Tag. Denn es galt, vor allem auch für weniger sportliche Mitschüler, mit den Kräften hauszuhalten. Denn in der Nacht spielte es sich in den und zwischen den Mehrbettzimmern ziemlich ab. Die Höhenluft und das straffe Tagesprogramm sorgten dafür, dass die Aufsichtspersonen fest schliefen – übrigens auch nicht immer in den eigenen Betten, was wir allerdings erst viel später erfuhren. Was uns erhebliche Freiheiten gab: Da machte mehr als eine heimlich beim ADEG gekaufte Flasche Lambrusco die Runde. Flaschendrehen gehörte danach ohnehin zum Pflichtprogramm. Und ein gängiges Burschenritual war, das Waschbecken (gerne auch vor Publikum) als Toilette zu nützen. Wie gut, dass es noch keine Smartphones gab.

Am nächsten Tag mussten wir trotz aller nächtlichen Aktivitäten pünktlich um neun Uhr auf der Piste sein. Die Müdigkeit ließ die Kälte noch kälter erscheinen.

Höhepunkt jedes Schulskikurses war der letzte Abend vor der Heimreise, der sogenannte „Bunte Abend“. Da spielte jedes Zimmer einen Sketch vor, in dem sich meist über Anwesende lustig gemacht wurde. Die Lehrer wirkten zu diesem Zeitpunkt meist schon etwas geschlaucht. Danach gab es „Disco“, und wer noch nicht verknallt war, war es spätestens nach dem obligaten Lied aus „La Boum“. Wir dachten wirklich, es sei der schönste Abend unseres Lebens.

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