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Schneepflug statt Pizzaschnitte

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Die Teilnahme am Skikurs war so selbstverständlich wie die täglich frischen Semmeln zum Frühstück. Ein nicht verhandelbarer Bestandteil des Urlaubs, der spätestens nach Erlernen der Grundtechniken sogar Spaß machen konnte. Höhepunkt war neben dem Privileg, als Erster hinter dem Skilehrer fahren zu dürfen, das Mittagessen in der Skischule, bei dem es alles gab, was einem die Eltern auf der Hütte nie kaufen wollten: Pommes, Würstel, Pudding und Eis. Im Winter! Danach durften wir kurz fernsehen, und es lief immer „Tom & Jerry“.

Heute verweigern viele Kinder den Skikurs. Obwohl der Schneepflug inzwischen Pizzaschnitte genannt wird. Und der Parallelschwung Spaghetti. Entweder sind die heutigen Eltern um so viel cooler als unsere oder ihre Kinder haben die für uns so erstrebenswerten Nebenaspekte (Frittiertes, Gummibärchen, Fernsehen) sonst ohnehin im Übermaß zur Verfügung. Zugegeben – glückliche Vierjährige im Skikurs waren damals wohl auch selten. Aber spätestens mit Ende der Volksschule dachte man, man hätte mit dem Skikurs die Eltern abgeschoben und nicht umgekehrt. Schlimm war nur das Skirennen – samt Siegerehrung auf einem Bierkistenpodest –, bei dem immer der gewann, der eigentlich viel schlechter Ski fahren konnte. Das ging aber auch nie mit rechten Dingen zu.

Skifahren war eine ernste Angelegenheit. Die Frage, ob man als Kind überhaupt Ski fahren lernen wollte, stellte sich nicht, sondern nur die Frage nach dem Wann: Kurz bevor man gehen konnte oder erst knapp danach? Wie man diese unabdingbare Kulturtechnik erlernte, war ebenfalls klar vorgegeben: Man wurde möglichst jung in einen Skikurs gesteckt. Denn nur wer schon von klein auf mit dem Wintersport Bekanntschaft machte, stellte sich zum Beispiel mit sechs Jahren nicht mehr die grundsätzliche Frage nach dem Warum.

Unsere eigenen Kinder, die wir offenbar zu spät mit Skiern konfrontiert haben, reagierten fast entrüstet auf das Angebot, bei Affenkälte in Foltermontur den ganzen Tag im Freien zu verbringen. Vor allem da es drinnen gemütlich ist oder der Flug in die Wärme nur die Hälfte dieses grässlichen Skiurlaubs kostet. Diese Frage hat sich uns damals nicht nur mangels leistbarer Fernreisen erst gar nicht gestellt. Wir waren so früh in die Ski-Maschinerie geraten, dass wir ein Teil von ihr geworden waren.

Im Skikurs gab es eine klare Vorgangsweise. Da die Eltern nicht wirklich die Härte hatten, ihre Kinder, die knapp dem Windelalter entwachsen waren, vier Stunden lang weinend über den Zwergerlhang purzeln zu lassen, gab es die Skilehrer. Sie erledigten diesen dreckigen Job mit Lässigkeit. Sie schafften es, Kinder, die aufs Klo mussten, so lange hinzuhalten, bis alle aufs Klo mussten. Tränen zu ignorieren, das Mittagessen als Höhepunkt zu inszenieren, aber auch erste Erfolge mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu würdigen.

Dazu hatte der Skilehrer neben seiner natürlichen Autorität, die ihm seine Könnerschaft auf den Brettern verschaffte, noch eine Methode, die Gruppe zusammenzuschweißen. Heute sagt man dazu „Team building“. Sobald die Kinder in der Früh das erste Mal meist an einem Schild mit einer Disneyfigur versammelt waren, bildeten sie mit angeschnallten Skiern eine Reihe. Dann stellte jeder den rechten Ski senkrecht auf, sodass der Skilehrer unsere Laufflächen sehen konnte. Er sprach die Zauberformel: „Wir begrüßen einander und den neuen Skitag mit einem dreifachen …“ und dann schrien alle drei Mal hintereinander „Ski Heil“. Dasselbe an die jeweilige Tageszeit angepasste Ritual ging vor der Mittagspause und am Nachmittag vonstatten, bevor sich die erschöpfte Gruppe auflöste. Uns kam die Ski-Heil-Brüllerei nie komisch vor, aus heutiger Sicht erscheint sie uns ein wenig befremdlich.

Wir selbst machten als Eltern den Fehler, den Kindern selber das Skifahren beibringen zu wollen. Und obwohl uns heute noch die Oberschenkel und der Rücken brennen, wenn wir daran denken, wie wir mit dem Schleppliftbügel unterhalb der Knie die endlos scheinende Liftfahrt durchgestanden haben, lernten unsere Kinder nie mehr so gut Ski fahren wie wir damals. Das Skifahren ist übrigens eine der führenden „Bruttosportarten“. Das heißt, man verbringt den größten Teil der Zeit mit Anreise, Vorbereitung, Liftfahrten und Nachbereitung. Kleine Kinder pistenfertig zu machen dauert noch einmal so lange. Das macht das „Netto“, also jene Momente, in denen man dann tatsächlich talwärts fährt, so besonders kostbar.

Das Ausschalten des Skilehrers in den ersten Lehrjahren könnte also mitverantwortlich sein für das Ende des Skifahrens als Volkssport.

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