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Das Ende einer Laufbahn

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Von dem Verfahren in Halle hat Erdmann erfahren, von seiner erneuten Begutachtung wahrscheinlich nicht. Vielmehr wurde ihm mitgeteilt, dass der Minister seine Lehrbefugnis »bis auf weiteres als ruhend« betrachte. Er fand das sehr ungewöhnlich und brach seinerseits alle Brücken zur Universität ab. Er verbat sich die Zusendung von Einladungen und sorgte selbst dafür, dass sein Name aus den Adressenlisten der Dozentenschaft gestrichen wurde. Die Postkarte, die er an deren »Führer« ohne Anrede oder namentliche Nennung des Adressaten schickte, fiel in Form und Inhalt ebenso patzig aus wie die Schreiben, die er von den Repräsentanten der Universität erhielt.40 Das ganze Verfahren lief letzten Endes darauf hinaus, dass die Reichshabilitationsordnung von Dezember 1934 rückwirkend auf Carl Erdmann angewandt wurde. Dort war nämlich die Habilitation auf den Erwerb des akademischen Grads eines »Dr. habil.« reduziert und diese von der Erteilung der Lehrbefugnis durch das Ministerium abgetrennt worden. Zwischen Titel und Dozentur wurde seitdem unterschieden. Zum Dozenten aber sollte nur ernannt werden können, wer nicht nur über wissenschaftliche und didaktische Fähigkeiten verfügte, sondern »vor allem« die »persönliche und charakterliche Eignung als Lehrer an den Hochschulen des nationalsozialistischen Staates« nachweisen konnte – etwa durch entsprechende Zeugnisse über die Teilnahme an Gemeinschaftslager und Dozentenakademie.41 Den Universitäten und Fakultäten war damit ihr tradiertes korporatives Kooptationsrecht entzogen.

Da Carl Erdmann sich längst habilitiert hatte, war er von den neuen Regelungen eigentlich nicht betroffen. Es gab eine vage formulierte Übergangsregelung. Sie kam aber hier nicht zur Anwendung. Stattdessen ließ man sich das seltsame Konstrukt einer »ruhenden« Lehrbefugnis einfallen. Er hätte sich vielleicht mit juristischen Mitteln wehren können; aber er verzichtete darauf und zog sich mit Aplomb aus der Universität zurück. Theoretisch hätte er immer noch anderswohin berufen werden können; aber praktisch war damit seine akademische Laufbahn beendet. De facto war er entlassen; eine Rückkehr an die Berliner oder die Berufung an eine andere Universität kam nicht mehr infrage.42 Als Jahre später noch einmal eine Anfrage eintraf (ausgerechnet aus der »Grenzlanduniversität« Kiel, wo Studentenschaft und Dozentenbund sich besonders radikal gebärdeten), wurde er nicht einmal informiert. Das Gutachten verfasste der Dozent für Geschichte Werner Reese, Pg. seit Mai 1933. Da er erst 1936 an die Berliner Universität kam, kann er Erdmann kaum näher kennengelernt haben. Immerhin wusste er von dessen wissenschaftlichen Fähigkeiten und Leistungen. Darin habe er »Wesentliches geleistet« und sei »heute einer der besten Vertreter der sogen. Monumentistenschule mit all’ ihren Vor- und Nachteilen«. Jedoch fehle ihm »der Wille und das Können zur wirklich grossen geschichtlichen Darstellung. Er bleibt fast überall bei der eigentlichen Quellenforschung stehen und dringt über die Ergründung der Motivierung oder der Tatsachen selten zur wirklichen Synthese vor. Ihm fehlt der Sinn für den eigentlich politischen und völkischen Gehalt geschichtlichen Werdens.« Erdmann hätte hier nicht widersprochen. Erst recht das Ergebnis des Gutachtens, er verstehe sich »als Vertreter der intellektuellen Opposition gegen den Nationalsozialismus« und besitze »zur deutschen Gegenwart […] kein inneres Verhältnis«, hätte ihm aus dem Herzen gesprochen.43

Innerlich hatte Erdmann ohnehin längst Abschied vom Universitätsbetrieb genommen. Schon früh waren ihm Zweifel an den Aussichten einer Hochschullaufbahn gekommen; Zweifel, die sich durch eigene und fremde Erfahrungen zu bestätigen schienen. Er werde – so nahm er an – »noch einige Zeit als Privatdozent herumfummel[n], um dann eines Tages aufhören zu müssen«, was er »natürlich nicht absichtlich herbeiführen, aber wenn es kommt, ohne Tränen hinnehmen werde«. Als es dann so weit war, blieb er tatsächlich gelassen und glaubte sogar, eine Last von den Schultern zu haben. Denn in der Lehre fühlte er sich nicht sicher. Sie koste ihn »überdurchschnittlich viel Zeit«, während er sich in der Forschung raschere Fortschritte zutraute als dem Durchschnitt seiner Kollegen. Er hielt sich für eine einseitige Begabung, die sich durch die Lehrtätigkeit nicht anregen könne; nie habe er eine »persönliche Fühlung« mit Studenten gehabt. Wenn man aber »meistens beobachten muß, daß man die Leute nicht fesselt und seine Sache offenbar schlecht macht, so ist das nicht schön«.44

Erdmanns selbstkritischem Urteil steht ein studentisches Zeugnis gegenüber, das seinen Selbstzweifeln ausdrücklich widerspricht, das hohe Niveau seiner Lehrveranstaltungen hervorhebt und auch in den politischen Fragen ein eigenes, viel freundlicheres Urteil formuliert. Das Gutachten kam unter etwas merkwürdigen Umständen zustande und stammte nach Erdmanns eigenem Zeugnis von einem »sehr gute[n] Bekannte[n]«. Es stellt aber die förmliche Stellungnahme der Studentenschaft dar, die an die Universität Halle geschickt wurde. Es lohnt sich, auch diesen Text vollständig zur Kenntnis zu nehmen und ihn alternativ zur Sammlung der für Erdmann so ungünstigen Gutachten zu lesen:

Dr. Carl Erdmann, seit 1932 Privatdozent an der Berliner Universität, vorher mehrere Jahre Assistent am Preußischen Historischen Institut in Rom, entstammt einer baltischen Familie.

Nicht nur die Historiker seiner Generation, sondern auch viele Ältere überragt er an Sachkenntnis, Weite des Blickes, Beherrschung der Methode, Arbeitsenergie und Umfang der wissenschaftlichen Leistung. Seine natürlichen Anlagen haben sich durch seine wissenschaftliche Tätigkeit, die ihn auf große Reisen durch Spanien, Portugal, Italien und auch nach Paris geführt haben, noch weiter entwickeln können. Bei der Fülle des Materials, das Erdmann auf diesen Reisen kennengelernt hat, ist er aber nicht zum Stoffhuber geworden, hat sich vielmehr stets den Blick für die großen Zusammenhänge der Geschichte bewahrt. Unter seinen zahlreichen Publikationen finden sich glänzende kritische Publikationen, aber auch geisteswissenschaftliche Zusammenfassungen, wie sein letztes Buch über »den Kreuzzugsgedanken«.

Erdmanns ganze Art neigt zu einer Überschätzung des Rationalen, seine baltische Herkunft steigert diesen Zug zum Doktrinären. So ist auch seine ganze Einstellung zu den Menschen und damit zu den Studenten weitgehend vom Verstande her diktiert und es umweht ihn daher eine etwas kalte Luft. Dabei ist er aber ein außerordentlich hilfsbereiter und von anständigster Gesinnung getragener Charakter, bei dem jeder Student stets Hilfe finden wird, allerdings mehr in sachlicher als in rein menschlicher Beziehung.

Erdmanns politische Einstellung ist etwas vom Schreibtisch her diktiert. Wie stark verstandesbetonte Menschen legt er auf Wahrung einer eigenen unabhängigen Meinung viel Wert, ohne daß [er] selbst in Fällen, wo diese Meinung von herrschenden politischen Ideen leicht abweichen sollte, irgendwie gefährlich werden könnte. Er ist eben im Grunde kein Mensch mit praktisch politischen Zielen, sondern von gewissen Ideologien beherrscht, auf die man vielleicht achtgeben sollte, deretwegen man ihn aber nicht fallen lassen sollte, denn es ist nichts verkehrter, als solchen Menschen eine Märtyrerkrone zu verschaffen.

Erdmann ist zurzeit von seiner Dozententätigkeit hier beurlaubt, weil er mit Aufgaben für die monumenta germaniae historica betraut ist, außerdem an der Archivschule im geheimen Staatsarchiv Bln.-Dahlem hilfswissenschaftliche Kurse abhält.

Nachtrag: Seine starke Begabung als Forscher läßt ihn gelegentlich selbst von sich behaupten, er sei für pädagogische Aufgaben weniger geeignet, doch widerspricht dem sein eigener Lehrerfolg. Aus dem Munde mancher Studenten hört man gerade über die reichen Anregungen, die sein Unterricht gibt, viel Günstiges. Freilich ist sein Unterricht durchaus nicht leicht.45

Doch dieses Gutachten hatte keinerlei praktische Wirkung. Erdmanns Ausgrenzung aus der Berliner Universität wurde spätestens seit dem Amtsantritt des Dekans Bieberbach systematisch betrieben. Das Ergebnis stand von vornherein fest. Das Verfahren trug zur »Gleichschaltung« der Philosophischen Fakultät bei und trug zu deren vollständiger Anpassung an die Normen und Absichten des nationalsozialistischen Herrschaftssystems bei. Man sollte von Nazifizierung sprechen und auf diese Weise die scheinbare Nüchternheit eines aus der Elektrotechnik abgeleiteten, von Anbeginn euphemistischen Begriffs vermeiden.46 In jedem Fall stellen die Vorgänge in der Philosophischen Fakultät einen Ausschnitt aus einem Geschehen dar, das die gesamte Berliner Universität (und nicht nur diese) betraf. Erdmann trug seinen Teil dazu bei, dass seine Gegner sich durchsetzten. In einem Schreiben an seinen Mentor aus der Gymnasialzeit, Ernst Witte, gab er das zu. Er hätte sich anpassen können, wie viele andere das taten. Doch dem stand seine »halsstarrige Grundsätzlichkeit im Politischen« im Wege. Wittes Forderung »einer gewissen Beweglichkeit je nach den Umständen« ließ er nicht gelten.47 Dadurch hatten seine Feinde leichteres Spiel. Auch wenn sie nicht alle offen hervortraten, lassen sich doch ihre Namen benennen:

−Willy Hoppe, der Erdmann denunzierte;

−Hermann Christern, der das erste ausführliche Gutachten erstellte;

−Wilhelm Krüger, der als Rektor das Ziel einer weiteren personellen Säuberung ausgab und Erdmann als Objekt der Observation identifizierte;

−Ludwig Bieberbach, der ihn um den vergüteten Lehrauftrag brachte;

−Oskar von Niedermayer, der unverblümt seinen Rauswurf verlangte;

−Wenzeslaus von Gleispach, der apodiktisch seine Verwendbarkeit als Hochschullehrer verneinte;

−Werner Reese, der seine Forschung als unzeitgemäß und ihn selbst als politischen Oppositionellen verwarf.

Jeder von ihnen hatte seine eigene Lebensgeschichte, aus der heraus er agierte, seine Gewissheiten, denen er vertraute, sowie seine Ziele, die er verfolgte. Das alles stand offenbar in mehr oder weniger ausgeprägtem Gegensatz zu Carl Erdmann. Sonst hätte man ihn nicht attackiert. Der Blick auf die Art seiner Feinde und deren Biographien wird deutlich machen, worin er sich von diesen so signifikant unterschied.

Fackel in der Finsternis

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