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Wenzeslaus von Gleispach, Strafrechtler

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Wenzeslaus von Gleispach (1876–1944) stammte aus einer vornehmen österreichischen Familie, die sich aus der landesherrlichen Ministerialität zum gräflichen Adel hochgedient und über mehrere Jahrhunderte hinweg in der Geschichte der Steiermark und des österreichischen Gesamtstaats eine bedeutende Rolle gespielt hatte. Sein Vater war Justizminister in Wien, dessen Cousin Landeshauptmann in Graz. Im persönlichen Umgang scheint er »tolerant und diskret« gewesen zu sein. Gute Manieren durfte man von einem österreichischen Aristokraten sogar dort noch erwarten, wo man sie am wenigsten brauchte: im Dozentenlager in Kiel-Kitzeberg, dessen Leitung er gelegentlich übernahm.96 Auf Fotografien und sogar auf Karikaturen machte der hochgewachsene, schlanke Mann immer eine gute Figur. An seiner »repräsentative[n], vornehme[n] Persönlichkeit« gab es nie einen Zweifel.97

Gleispachs akademische Karriere führte steil nach oben und schließlich dorthin, wo sich jeder österreichische Gelehrte am Ziel seiner Wünsche fühlen durfte: auf eine Lehrkanzel an der Wiener Universität. 1915 wurde er zum ordentlichen Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht ernannt. Er gründete ein großes Universitätsinstitut, wurde Dekan, Senator und schließlich auch Rektor. Politisch orientierte er sich nach rechts, zum großdeutschen Lager. Entschieden trat er für den Anschluss Deutsch-Österreichs an das Deutsche Reich ein. Gleichzeitig profilierte er sich als offener, lautstarker Antisemit, in Wien vor und nach dem Weltkrieg kein seltener Fall. »Judenhass« und »Radauantisemitismus« warf ihm die sozialdemokratische Presse vor.98 Als Rektor verantwortete er eine Studentenordnung, die zwischen Studenten »gleicher« und »gemischter Abstammung« unterschied und jüdischen Studierenden den Zugang zur Universität erschweren sollte. Darüber wurde in der Öffentlichkeit heftig gestritten, bis schließlich das Verfassungsgericht Gleispachs Studentenordnung als nicht verfassungskonform aufhob. Die völkische Deutsche Studentenschaft ehrte ihn mit einem Fackelzug.99 Gleispach wurde nie Mitglied der NSDAP; aber er beanspruchte, schon als Wiener Professor und Rektor im gesamtdeutschen, nationalsozialistischen Sinn tätig gewesen zu sein.100

Doch nicht über seinen Antisemitismus kam er in Wien zu Fall, sondern wegen seiner Obstruktion gegen die austrofaschistische Dollfuß-Regierung, die im März 1933 die republikanische Verfassung praktisch außer Kraft gesetzt und im Juni die NSDAP in Österreich verboten hatte. Als sich Gleispach zusammen mit anderen Wiener Professoren in einer deutschen Zeitschrift äußerst kritisch über die neue Regierung äußerte und sogar die Legitimität des Diensteids in Zweifel zog, wurde er umgehend und ohne Disziplinarverfahren in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Er habe die Freiheit der Wissenschaft zu unzulässiger Agitation missbraucht, hieß es zur Begründung.101 Die rechtlichen Grundlagen dafür waren erst kurz vorher geschaffen worden. Eine Beschwerde erledigte sich, weil sich dem Beschwerdeführer eine attraktive Alternative eröffnet hatte.


Wenzeslaus von Gleispach (1876–1944) in der Karikatur.

In Berlin nämlich, wo jetzt die Nationalsozialisten regierten, wurde Gleispach mit offenen Armen aufgenommen, zunächst als Honorarprofessor mit Ordinariengehalt, dann als ordentlicher Professor. Die Verhandlungen führte das Preußische Kultusministerium, die NSDAP mischte sich ein, die Fakultät konnte nur noch zustimmen. Ihr Vorschlagsrecht spielte keine Rolle. Nur Carl Schmitt machte fachliche Einwände geltend, um gleichzeitig die politische Eignung (also die nationalsozialistische Gesinnung) hervorzuheben.102 Gleispach ersetzte James Goldschmidt, der ihm vor Jahren einmal ein Ehrendoktorat verschafft hatte, nun aber als »Nichtarier« aus dem Amt entfernt worden war.103 Umgehend übernahm er wichtige Ämter in der Universität und ließ sich ganz nebenbei von seiner jüdischen Frau scheiden. Fast wäre er sogar Rektor geworden.104 Seine Berufung trug zur Nazifizierung der Universität bei und er selbst sorgte dafür, dass weitere Gelehrte jüdischer Abstammung entlassen wurden.105 Die Entfernung politisch missliebiger Lehrkräfte, Carl Erdmanns zum Beispiel, war für ihn offenbar weniger von Belang.

Auch in fachlicher Hinsicht erfüllte Gleispach die Erwartungen, die man in ihn – als »einen der ersten der Gesinnung und Haltung nach nationalsozialistischen Professoren« – gesetzt hatte.106 Schon vor der »Machtergreifung« und vor seiner Entlassung in Wien nahm er in rechtlichen Fragen einen dezidiert nationalsozialistischen Standpunkt ein. Immer war ihm an einer rechtlichen Angleichung Deutschlands und Österreichs gelegen; aber mit den Bemühungen um eine Humanisierung des Strafrechts, die vor allem sein Heidelberger Kollege, der frühere Reichsjustizminister Gustav Radbruch, vorantrieb, konnte er nie etwas anfangen. Radbruch betrachtete ihn immer als Antipoden, den er privat und öffentlich kritisierte.107

Auf einer Frankfurter Tagung im Herbst 1932 kam es zu einem denkwürdigen Schlagabtausch der Reformbefürworter mit ihren Gegnern. Gleispach tat sich hervor, indem er einen Gesetzentwurf der NSDAP unterstützte, Recht und Rasse miteinander verknüpfte und vom Strafrecht verlangte, es habe der »Förderung und Hochzüchtung der deutschen Volksgemeinschaft« zu dienen.108 Damit hatte er sich für die unmittelbare Zukunft empfohlen. Nach seiner Übersiedlung von Wien nach Berlin wurde er sofort in eine Kommission berufen, die nun ihrerseits eine Strafrechtsreform im nationalsozialistischen Verständnis vorbereiten sollte. Dort sowie in einer Großen Strafprozesskommission arbeitete er eng mit Roland Freisler zusammen, dem späteren Präsidenten des Volksgerichtshofs und »Blutrichter« im untergehenden »Dritten Reich«. Gemeinsam schufen sie Grundlagen und Ausdrucksformen des nationalsozialistischen Unrechtsstaats. In Berichten der Strafrechtskommission stellten sie »das kommende deutsche Strafrecht« vor.109 In einem als »Gemeinschaftsarbeit« titulierten Sammelband wurde das Amt des Volksrichters als Ausdruck der »unmittelbaren germanischen Demokratie«, als »Beteiligung des Volkes selbst an seiner Rechtspflege«, definiert.110 In einem Zeitschriftenartikel führte Gleispach das Delikt des »Rasseverrats« in die Strafjustiz ein,111 den »inneren Abfall von der deutschen Volksgemeinschaft« erklärte er zum Verbrechen112 und mit seinem dreibändigen Kommentar zum Kriegsstrafrecht (1940/41) lieferte er der deutschen Kriegführung – rechtzeitig zum Krieg im Osten – ein juristisches Fundament.

Am fünften Jahrestag der »nationalen Erhebung«, also zu ganz besonderem Anlass, führte Gleispach feierlich aus, was er unter »nationalsozialistischem Recht« verstand: Es sei »die vom Führer erschaute Ordnung, in der das deutsche Volk glücklich lebt, seit der Führer es erweckt und geeint hat«.113 Mit seiner Eloge auf Adolf Hitler stand der Festredner unter den juristischen Professoren nicht allein. Andere beteiligten sich auf ähnliche Weise. »Unter dem Beistand einer beflissenen Jurisprudenz«114 wurde Recht in Unrecht verkehrt. Carl Schmitt war wohl der gescheiteste von allen, Graf Gleispach vielleicht der aktivste. Gustav Radbruch dagegen wurde schon im Mai 1933 als einer der ersten deutschen Professoren aus politischen Gründen seines Amtes enthoben und durfte erst 1945 an die Universität zurückkehren.

Wie Hitler kehrte auch Gleispach triumphal nach Österreich zurück. 1941 wurde er – zusammen mit fünf weiteren »Märtyrern« – für sein »mannhaftes Einstehen für die nationalsozialistische Idee« von der Wiener Universität mit der Würde eines Ehrensenators ausgezeichnet.115 Seine Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften war ohnehin nie erloschen. Als das Leben in Berlin durch die Luftangriffe der Alliierten immer unangenehmer wurde, zog er nach Wien um. Wenige Tage bevor auch dort die ersten Bomben fielen, verstarb der Graf von Gleispach, laut Todesanzeige »vom fanatischen Glauben an seinen Führer erfüllt«.116

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