Читать книгу Der Marshal kommt: Goldene Western Sammelband 12 Romane - Frank Callahan - Страница 83
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ОглавлениеSteil und unüberwindlich ragen die Felsgiganten vor ihm in die Höhe. Das Heulen eines hungrigen Coyoten schlägt an seine Ohren. Vor sich sieht er den dunklen Schlund eines Canyons. Auf dem Boden kann er keine Spuren mehr finden. Er ist zu hart, um Hufeindrücke aufzunehmen. Aber dort in den Canyon muss Andy hinein geritten sein.
Roger reitet weiter. Der Hufschlag hallt von den glatten, grauen Felswänden wider. Er ist nicht weit gekommen, als ihn das Wiehern eines Pferdes zusammenzucken lässt.
Ein lästerlicher Fluch erschallt.
Roger ist mit einem Sprung auf dem Boden und drängt sein Pferd hinter eine Felsnase. Im gleichen Augenblick ist das Donnern eines Colts zu hören. Ein Flammenblitz zuckt durch den Canyon und das grollende Echo rast tausendfach zwischen den engen Felswänden hin und her. Das Sirren der Kugel geht darin unter.
Roger spürt den kalten Kolben des Revolvers in der Hand. Er sieht vor sich nichts als tiefe Dunkelheit. Doch er schießt. Er schießt auf die Stelle, von der der Flammenblitz auf ihn zusprang. Er denkt, dass dort vielleicht Andy liegt, der bemerkt, dass er verfolgt wird und der nun dort lauert, weil er etwas zu verbergen hat.
Seine Kugel scheint fehlgegangen zu sein, denn der Mann schießt wieder.
Roger klemmt die Zügelenden unter einen Stein, gleitet an dem Pferd vorbei und schiebt sich an der Felswand vorwärts. Noch einmal blüht eine Feuerblume wie buntes Leuchtfeuer auf, und wieder ist das Donnern des hin und her springenden Echos zu hören.
Roger schießt und lässt sich fallen. Es ist ihm, als würden seine Trommelfelle platzen. Er hört noch ein anderes Geräusch, aber er kann es nicht deuten, weil es zu schwach ist.
Endlich wird es still. Nur das schwache Stöhnen eines Mannes schlägt an Rogers Ohren. Er bleibt still liegen, weil er das für einen üblen Trick hält, der ihn aus der Deckung locken soll.
Minuten tropfen zäh dahin. Noch immer hält das Stöhnen an, und Roger fragt sich, ob ein Mann so anhaltend markieren kann.
Er hebt den Colt und schießt noch einmal in die gleiche Richtung. Er lässt die Waffe fallen und hält sich die Ohren zu.
Dabei blickt er nach vorn und wartet auf den zweiten Knall und das Irrlicht vor der Mündung. Aber es kommt nicht. Das Echo steigt nach oben und entflieht, weht über die Gipfel und Scharten davon. Und wieder ist das leise Wimmern zu hören. Es ist schwächer geworden, als läge ein Mann im Sterben.
Roger richtet sich vorsichtig auf. Er hat den Colt wieder in der Hand. An der Felswand tastet er sich weiter. Das Wimmern kommt ihm näher. Er versucht, die Dunkelheit mit seinen Blicken zu durchdringen, aber es gelingt ihm nicht.
Wieder ist er stehengeblieben. Das Stöhnen bricht ab. Ein Pferdehuf donnert gegen die Felswand. Ein leises Schnauben und dann wieder das Stöhnen eines Mannes.
Nein, das kann nicht markiert sein.
Roger geht weiter. Kann es Andy sein, der dort liegt und vielleicht sein Leben aushaucht, nur weil er seinen Bruder nicht hinter sich haben wollte? War es richtig, dass er geschossen hat?
Schweiß perlt auf seiner Stirn. Wie könnte er seinem Vater einen solchen Zwischenfall erklären. Er hat nicht zuerst geschossen, hat sich nur verteidigt.
Aber was wird das zählen. Berton Keefe wird sagen, dass sich jeder seiner Verfolger zu erwehren hat. Und sicher hatte Andy gar nicht bemerken können, wer es war, der ihn verfolgte.
Ein Stein liegt am Rande des Weges. Ein großer, abgewaschener Stein. Ein Stück dahinter scheint ein Pferd zu stehen, aber es ist immer noch nicht zu erkennen. Dafür sieht Roger jetzt deutlich ein paar große, mexikanische Radsporen, von denen ein schwaches Funkeln ausgeht.
Andy hat solche Sporen. Aber viele andere Reiter haben auch welche.
Roger lehnt an der Wand und schiebt den Colt ins Holster. Mit den Händen greift er gegen die kalten Steine. Er wagt es nicht, zu dem Stein hinüber zu gehen, obwohl er an keine Gefahr mehr glaubt. Der Mann dort hätte längst etwas unternommen, wenn er das noch könnte.
Seine Beine sind wie gelähmt. Was wird geschehen, wenn es Andy ist? Aber wer sollte es sonst noch sein? Die Spuren führten bis dicht an den Canyon heran. Andy kann keinen anderen Weg genommen haben. Er muss es sein!
Roger stemmt sich von der Felswand los, wischt den Schweiß von der Stirn und macht eine zögernde Bewegung.
Das Stöhnen bricht plötzlich ab.
Roger bleibt wieder stehen. Er lauscht, hört aber nichts mehr. Er weiß in dieser Minute, dass der Mann tot ist, oder zumindest bewusstlos.
Roger fühlt, dass seine Beine rückwärts wollen. Dabei denkt er daran, dass sich nichts ändert, wenn er bis morgen früh hier steht. Einmal wird er hinter den Stein blicken müssen.
Das Pferd schnaubt wieder.
Da geht Roger hinüber. Als er über den Stein blickt, sieht er neben einem durchlöcherten Hut, der auf dem Boden liegt, ein gedunsenes, stoppelbärtiges Gesicht. Er hat es niemals zuvor gesehen.
Roger atmet auf. Diese, ihm leer entgegenblickenden Augen gehören nicht Andy. Das ist ein Fremder. Ein Wegelagerer, der vielleicht auf Beute hoffte und den Tod fand.
Im gleichen Moment kommt ihm der Gedanke widersinnig vor.
Andy ist nur wenig vor ihm gewesen, und Andy muss in diesen Canyon geritten sein. Kann es sein, dass ein Wegelagerer einen Reiter vorbeilässt, um den zweiten anzufallen, von dem er gar nicht wissen konnte, dass er kommt?
Roger schüttelt in Gedanken den Kopf. Nein, das gibt es nicht.
Wie aber sonst ist Andy vorbeigekommen? Oder hat er diesen Weg doch nicht genommen?
Roger blickt immer noch auf den unbekannten Toten. Dieser Mann kann ihm nicht mehr sagen, ob er den ersten Reiter vorbeigelassen hat.
Roger schaut zu dem Pferd weiter, geht dann um den Stein herum und nähert sich dem Tier. Auf seiner Flanke sieht er ein fremdes, unbekanntes Brandzeichen. Der Mann scheint von irgendwo gekommen zu sein. Vielleicht brauchte er Geld. Roger scheut sich, in seinen Taschen nachzusehen. Aber warum ließ er den ersten Reiter vorbei?
Soll er ihn hier liegenlassen?
Das Heulen des hungrigen Coyoten schreckt ihn. Nein, er wird den Mann nicht so liegenlassen. Keiner kann so schlecht sein, dass er sich nicht ein Grab verdient hätte.
Roger zerrt den Mann ein Stück den Weg hinunter. Er sieht etwas aus dessen Tasche fallen, bückt sich darüber und erkennt einen Beutel. Er greift danach. Der Beutel ist schwer. Es klimpert darin leise. Roger öffnet die Schnur und greift hinein. Er greift in goldene Zwanzig-Dollar-Stücke, wie er weiß, noch ehe er sich das Geld angesehen hat.
Roger zählt es, lässt es zurückgleiten und knotet die Schnur zu.
„Einhundertsechzig Dollar“, murmelt er. „Viel Geld für einen Tramp.“
Zugleich ist ihm klar, das der Mann nicht hier auf Verdacht gewartet haben kann, ob jemand des Weges kommt. Es konnte sehr gut möglich sein, dass er wochenlang vergeblich darauf gewartet hätte. Dazu hat er zu viel Geld in der Tasche.
Roger schiebt den Mann gegen die Wand und bedeckt ihn mit Steinen. Dann holt er das Pferd, schiebt den Beutel in die Satteltasche und führt es zu seinem eigenen Tier hinunter.
Was soll er nun tun? Weiter den Canyon hinaufreiten und nach Andy suchen und vielleicht in eine zweite Falle stolpern. Er erschreckt über seine Gedanken. Wieso in eine zweite Falle? Auch wieder eine, an der Andy ungeschoren vorbeireiten konnte?
Als er auf seinem Pferd sitzt, weiß er, dass er jetzt nach Collins reiten wird. Es ist für ihn der einfachste Weg, wenn er Marshal Darcan Bescheid sagt. Der mag entscheiden, ob er sich den Toten ansehen will. Wahrscheinlich wird er das nicht machen, weil die Bürger der Stadt die Berge fürchten und nicht bereit sein werden, mit ihm zu reiten.
Roger reitet wieder zurück in die Ebene. Er führt das ledige Pferd hinter sich. Ob es nicht besser gewesen wäre, den Toten mitzunehmen?
Nein, er will nicht mit einem Mann hinter sich durch die Nacht reiten, den er selbst erschossen hat.
Und da fällt ihm ein, dass es das erste mal ist, dass er einen Mann tötete. Er hatte sich immer vorgestellt, dass es furchtbar sein würde, und er hatte gehofft, es niemals zu erleben.
Nun ist es doch geschehen, und er empfindet nichts dabei. Es war ein Lump. Einer der ihn töten wollte, aus welchem Grunde, spielte keine Rolle.