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4Der Richtige
ОглавлениеJe näher die Laufbänder sie zum Torhaus führten, umso ruhiger wurde es um sie herum. Ein lautstark telefonierender Japaner kam von hinten das Band herauf gelaufen und Max trat beiseite, um ihn vorbei zu lassen. Dabei bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung am Anfang des Laufbandes. Jemand huschte hinter ein paar stehende Personen. Im nächsten Augenblick stellte Modric ihm eine Frage und er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Verleger.
In der Torhauspassage öffnete Modric die Tür zu einem Treppenhaus. Sie fuhren mit der Rolltreppe ins Stockwerk darunter. Ein Hinweisschild mit der Aufschrift: ›Restaurant Fontana‹ zeigte auf eine Glastür.
Der Verleger öffnete die Tür. »Hier entlang.« Schwarze, im weißen Boden eingelassene Quadrate führten sie in die scheinbar endlose Tiefe des Flures hin zu einer leicht gerundeten Ausgabetheke, wo sie ihre Menüs wählten. Modric zahlte.
Mit den Tabletts in den Händen betraten sie einen mit Spiegelwänden versehenen Raum, der einem Lichthof glich. Tageslicht fiel auf die in einem Schachbrettmuster verlegten Marmorplatten, in denen sich das Chrom der Tische und Stühle spiegelte. Max kam es vor, als schwebte er im Zentrum eines von M. C. Escher gezeichneten, sich in allen Richtungen endlos fortsetzenden Universums.
Modric wählte den Tisch in der Mitte des Raumes neben dem Brunnen, aus dem Wasser in ein Marmorbecken plätscherte.
Sie setzten sich. Der Verleger machte keine Anstalten, ein Gespräch anzufangen und Max, der vor Neugier fast platzte, bemühte sich, seine Aufregung nicht zu zeigen.
Sie aßen schweigend. Erst nachdem sie die Teller weggeräumt und sich einen Cappuccino geholt hatten, ergriff Modric das Wort.
»Sie wundern sich also, wie ich auf Sie gekommen bin?«
»Wie ich bereits sagte, ich frage mich, was Sie von einem unbekannten Krimiautor wollen.«
»Unbekannt heißt nicht unbegabt, Herr Delius. Sie sind begabt. Ich habe mehrere ihrer Krimis gelesen. Was und vor allem wie Sie schreiben, gefällt mir. Sie beschreiben Mordanschläge so exakt, dass man als Leser das Gefühl bekommt, man verübe sie selbst. Das gelingt nur wenigen Autoren. Ja, ich bin überzeugt, dass Sie der Richtige sind.« Max stutzte. »Der Richtige für was?«
Modric trank einen Schluck. Behutsam, fast andächtig, stellte er die Tasse zurück auf den Tisch. Seine Augen fixierten Max.
»Dafür, einen Bestseller zu schreiben.«
Das magische Wort. Aus dem Mund eines Verlegers!
»Das verschlägt Ihnen die Sprache, was? Ja, Sie haben richtig gehört: Sie sollen einen Bestseller schreiben.«
Max merkte, dass Modric seine Reaktion sehr genau studierte. »Aber … mit allem Respekt … einen Bestseller … kann man nicht planen.«
»Lassen Sie das meine Sorge sein und konzentrieren Sie sich auf das Schreiben. Das Zeug dazu haben Sie. Einen Verleger ebenfalls. Alles, was Sie noch brauchen, ist ein guter Plot. Und den …«, Modric griff in die Aktentasche und schob Max einen dicken DIN-A4-Umschlag zu, »… den habe ich bereits für Sie erstellt. Damit Sie sofort mit dem Schreiben anfangen können. Bevor Sie fragen, weshalb ich das Manuskript nicht selbst verfasse: Erstens fehlt mir die Zeit, zweitens will ich nicht als Autor im eigenen Verlag erscheinen und drittens … können Sie das als Krimiautor wohl besser als ich.«
Max versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Einerseits widerstrebte es ihm, eine Geschichte zu schreiben, die er sich nicht selbst ausgedacht hatte. Anderseits bot sich hier die einmalige Chance, endlich ein gedrucktes Buch bei einem richtigen Verlag heraus zu bringen.
Er zögerte. »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich meine, auf der Grundlage eines fremden Plots zu schreiben. Ich …« Weiter kam er nicht.
»Schauen Sie, Herr Delius, es ist ganz einfach: Sie wollen endlich publiziert werden, ich gebe Ihnen die Gelegenheit dazu und mache Umsatz mit dem Buch. Das nennt man ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Oder, auf Neudeutsch: eine Win-Win-Situation. Außerdem ist es in der Branche durchaus üblich, dass ein Autor ein Manuskript nach einer Idee seines Verlags verfasst.«
Als Max immer noch zögerte, beugte sich Modric zu ihm. »Ich zahle Ihnen einen Vorschuss von fünfundzwanzigtausend Euro. Auf ein Honorar von zwanzig Prozent des Verkaufserlöses versteht sich.«
Er lehnte sich zurück.
Verblüfft ließ Max die Zahlen auf sich wirken:Fünfundzwanzigtausend Euro? Zwanzig Prozent Honorar?
Er merkte nicht, dass er die Worte flüsterte. Zwanzig Prozent waren weit mehr als sonst in der Branche üblich. War das ein Traum? Er blinzelte. Seine Mutter und später auch Jennifer hatten ihn immer als Träumer bezeichnet. Er ahnte, dass es eine Kehrseite der Medaille geben musste.
»Das scheint zu schön, um wahr zu sein. Wo liegt der Haken?«
»Es gibt keinen Haken, Herr Delius. Aber wenn Sie nicht wollen … Es gibt drei weitere Autoren in Lauerstellung, die sich um den Auftrag reißen werden.«
Auch wenn Modric bluffte, wusste Max, dass es für den Verleger eine Kleinigkeit war, Autoren zu finden, die dieses Angebot mit Freude akzeptieren würden. Unwillkürlich musste er an den Streit mit Jennifer denken. Sie hatte gedroht, ihn zu verlassen, wenn er nicht bald ordentlich Geld verdiente.
Er beschloss, sich erst einmal die Unterlagen schicken zu lassen. Das würde ihm einige Tage Bedenkzeit verschaffen. »Okay. Schicken Sie mir den Vertrag zu.«
Modric lächelte, griff in seine Aktentasche und legte einen zweiten Umschlag auf den Tisch.
»Den habe ich bereits vorbereitet, Herr Delius. Ich werde Ihnen daraus die wichtigsten Bedingungen nennen.«
Bevor Max etwas erwidern konnte, las Modric aus dem Dokument vor:
»Erstens: Sie halten sich genau an den Plot. Er darf unter keinen Umständen geändert werden. Zweitens: Sie schicken mir jedes fertige Kapitel per E-Mail zu. Wenn Sie innerhalb eines Tages nichts von mir hören, schreiben Sie weiter. Drittens: Sie verpflichten sich zu absolutem Stillschweigen über unsere Vereinbarung und den Plot. Viertens und am Allerwichtigsten: Das Manuskript muss bis zum fünften Dezember dieses Jahres fertig sein. Wegen der Bearbeitungszeit für die Publikation. Das Buch soll auf der Leipziger Buchmesse erscheinen, die im kommenden Frühjahr stattfindet. Wenn Sie zehn Seiten am Tag schreiben, kommen zwischen dreihundertfünfzig und vierhundert Seiten zusammen. Sie sind jung, Sie schaffen das.«
Beim nächsten Satz drang der scharfe Blick des Verlegers wie ein Dolch in Max ein.
»Verstoßen Sie gegen eine dieser Bedingungen, ist der Vertrag hinfällig und der Vorschuss ebenso. Wenn Sie so wollen, sind das die Haken, die Sie befürchtet haben. Die sind zu verkraften, meinen Sie nicht?«
Max schluckte. Vierhundert Seiten in knapp zwei Monaten! Anderseits: Womit sonst sollte er die Zeit herumkriegen? Und schnelles Geld war ihm sicher. Sein Ehrgeiz gewann die Oberhand über die Vorbehalte.
»Einverstanden. Ich mache es.«
Modric schob den zweiten Umschlag zu Max herüber und erhob sich. »Lesen Sie den Vertrag bitte in aller Ruhe durch. Dann unterschreiben Sie. Ich hole mir noch einen Kaffee. Wollen Sie auch einen?«
Max schüttelte den Kopf. Seine Tasse hatte er vor Aufregung erst zur Hälfte getrunken. Aufgewühlt wie schon lange nicht beugte er sich über den Vertrag.
Er zwang sich, das Schriftstück aufmerksam zu lesen. Bis auf die vier Bedingungen entsprach er den Anforderungen, die er aus dem Internet kannte. Was konnte schon schief gehen?
Er unterschrieb die beiden Ausfertigungen.
Modric kehrte zurück. Er nickte zufrieden, setzte die eigene Unterschrift darunter und steckte ein Exemplar in die Aktentasche. Aus dem Jackett fingerte er ein Kuvert, das er Max reichte.
»Hier sind zwölfeinhalbtausend Euro als Anzahlung auf den Vorschuss. Den Rest bekommen Sie nach Fertigstellung des Manuskripts. Nach der Publikation erhalten Sie natürlich das Honorar nach Abzug des Vorschusses. Wenn alles gut geht, sind Sie bald Millionär.»
Ohne hineinzuschauen, steckte Max das Kuvert in die Tasche.
Modric sah auf die Uhr, leerte seine Tasse und erhob sich als Zeichen, dass das Gespräch beendet war. Er reichte Max die Hand. »Auf gute Zusammenarbeit, Herr Delius. Ich freue mich darauf.«
Max sah in die grauen Augen des Verlegers, konnte in ihnen beim besten Willen kein Anzeichen von Freude erkennen. Er schaute seinem Auftraggeber hinterher, bis dieser um die Ecke verschwunden war. Dann lehnte er sich zurück. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass er soeben einen Vertrag für die Produktion eines Bestsellers unterschrieben hatte! Das musste er erst einmal sacken lassen. Er stand auf und holte sich einen frischen Cappuccino.
Zurück am Tisch öffnete er den dicken Umschlag, nahm den Stapel loser Blätter heraus und begann zu lesen.