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12Fuchsjagd

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Der Fuchs schlich durchs Unterholz. Er hatte Witterung aufgenommen: Reh. Eigentlich keine Beute für ihn, zu groß und zu schnell. Doch das Kitz war verletzt, und ihn trieb der Hunger. Sein braungraues Fell verschmolz mit dem Herbstlaub, über das er sich lautlos fortbewegte. Manchmal harrte er sekundenlang regungslos, die Vorderpfote in der Luft, bevor er die Fährte wieder aufnahm. Er erreichte den Waldrand, wo sich eine Wildwiese vor ihm erstreckte. Auf der gegenüberliegenden Seite setzte sich der Wald fort. Die Spur führte geradeaus in die Wiese. Er senkte die Nase bis kurz über dem Boden und folgte ihr.

Gregor Hofstätter hatte es sich bequem gemacht. Er beobachtete die Wildwiese und den Waldrand gegenüber. Dort hatten Jäger einen zweiten Hochsitz hingestellt. Je nachdem, aus welcher Richtung der Wind kam, konnten sie den wählen, der vom Wind abgewandt lag, damit das Wild sie nicht witterte. Er schraubte den Deckel von der Thermoskanne und schenkte ein. Nur heißer Darjeeling vermochte ihm die Kälte des frühen Novembermorgens aus den Gliedern zu treiben. Er stellte die dampfende Tasse ab und spähte wieder durch den Feldstecher.

Am Waldrand erschien ein einzelnes Rehkitz. Ungewöhnlich um diese Jahreszeit. Es blickte um sich, nahm den Weg hinein in die Wiese. Etwas an der Art wie es lief, stimmte nicht, das Kitz schien zu humpeln.

Verletzte Tiere müssen geschossen werden. Er griff nach dem Jagdgewehr. Das Rehkitz kam direkt auf ihn zu, ein bewegliches Ziel zwar, aber dennoch leicht zu treffen. Als er es durch das Zielfernrohr ins Visier nehmen wollte, war es auf einmal verschwunden. Er sah auf, bemerkte, dass es einen Haken geschlagen hatte. Jetzt bewegte es sich parallel zum Waldrand weg von ihm. Trotz des Humpelns war es zu schnell für ihn, um es aus der Distanz tödlich zu treffen. Er lehnte das Gewehr gegen das Holzgeländer und wollte zur Tasse greifen, da nahm er erneut eine Bewegung wahr. An der gleichen Stelle, wo das Rehkitz aus dem Wald aufgetaucht war, erschien ein Fuchs. Er folgte der Fährte des verletzten Tieres. Nachdem auch der Verfolger zwischen das Gestrüpp geschlichen war, das ihn der Sicht entzog, wusste Hofstätter genau, wo der Jäger abdrehen würde. Natürlich wäre es sinnvoller, ihn nicht daran zu hindern, die Beute aufzuspüren. Doch der Fuchs weckte seinen Jagdinstinkt. Der Bestand an Füchsen hatte in den letzten Jahren drastisch zugenommen, einer weniger fiel nicht ins Gewicht.

Seit Stunden vor Sonnenaufgang harrte er nun auf dem Hochsitz an der Wildwiese aus. Als auf dem gegenüberliegenden Hochstand die Zielperson erschien, sah er durchs Zielfernrohr, dass er sich nicht geirrt hatte: Nummer zwei, der Anwalt! Er beobachtete ihn. Der Mann lehnte sich zurück, jetzt war sein Kopf nicht klar genug als Ziel zu erkennen.

Er schraubte den Schalldämpfer auf die Gewehrmündung, streckte sich auf dem Holzboden aus, steckte den Lauf durch die Öffnung in der Bretterwand.

Wartete.

Der Kopf der Zielperson erschien wieder, der Mann richtete sein Gewehr auf etwas in der Wiese.

Er fokussierte das Fadenkreuz auf den Kopf des Jägers.

Hofstätter beobachtete den Fuchs, der sich der Stelle näherte, wo das Rehkitz abgedreht war. Dort blieb er stehen, zögerte.

Hofstätters rechter Zeigefinger spannte den Abzug.

Zwei Schüsse fielen kurz nacheinander. Tödlich getroffen fiel der Fuchs um, zuckte kurz mit den Pfoten und lag still.

Die Wucht des zweiten Geschosses, das aus der entgegengesetzten Richtung kam, riss Hofstätter aus dem Stuhl. Sein Kopf schlug hart auf dem Boden auf. Der Notar spürte den Aufprall nicht mehr. Seine Augen starrten verwundert ins Leere. Aus einem Loch in der Mitte der Stirn floss ein Rinnsal Blut.

Während der Holzboden sich rot färbte, kletterte auf der gegenüberliegenden Waldseite ein Mann im dunkelgrünen Jogginganzug vom Hochsitz herunter.


Der Knall des Schusses gegenüber rüttelte etwas in seiner Erinnerung wach. Sein Gehirn spielte verrückt. Gedanken versuchten, ihn aus einer Art Tiefschlaf herauszuziehen. Eine fremde Stimme wollte ihn dorthin zurückdrängen.

Auf wen habe ich geschossen?

»Auf niemanden. Das sind Bilder aus deiner Vergangenheit.«

Die Stimme in seinem Kopf hinderte ihn daran, klar zu denken.

Er spähte über die Wildwiese zum Hochsitz auf der gegenüberliegenden Seite. Von hier aus konnte er nicht erkennen, ob sich darin jemand aufhielt.

Er hob den Schalldämpfer auf, den er bereits abgeschraubt hatte, steckte ihn mit dem Gewehr in den Koffer und kletterte die Leiter hinunter.

Lauf hin!

»Geh zurück zum Auto!«

Er zögerte, überquerte dann die Wiese, erreichte den Hochsitz. Am Fuß der Leiter sah er nach oben. Nichts regte sich dort. Etwas tropfte zwischen den Holzplanken herunter.

»Hau ab!«

Er legte den Koffer aufs Gras, kletterte die Leiter hinauf, hob den Kopf über die Ebene des Fußbodens. Zwei glasige Augen starrten ihn an. Der Tote lag in einem umgekippten Stuhl, den Kopf auf die Seite gerollt.

Er wich zurück, entsetzt.

»Du warst nie hier!«

Er stolperte die Leiter hinunter, hob den Koffer auf, rannte über die Wiese. Ein Rest Orientierungssinn führte ihn am Hochsitz vorbei bis an die Stelle, wo er das Fahrzeug geparkt hatte. Wie ferngesteuert fuhr er den Weg zurück aus dem Wald. Er bemerkte die Person nicht, die ihn hinter einem Gebüsch beobachtete.

Als er das Garagentor schloss, hatte sein Gehirn die Erinnerungen bereits ins Unterbewusstsein weggesperrt.

Der Plot

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