Читать книгу Der Plot - Frank Eldering - Страница 19
11Tödliche Zeilen
ОглавлениеDas Klingeln riss Max aus seinen Gedanken. Er strich über das Display.
»Bist du zu Hause?«
Chiara! Mit ihrem Anruf hatte er am allerwenigsten gerechnet. Was wollte sie von ihm?
»Warum willst du das wissen?«
»Das sage ich dir, wenn ich da bin. Gib mir bitte deine Adresse.«
Er gab sie ihr und das Gespräch wurde beendet. Die Stille klang auf einmal bedrohlich.
Eine knappe halbe Stunde später stand sie vor der Tür.
Sie trug eine Wolljacke über einer blauen Bluse und schwarze Jeans. Kein Make-up. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass etwas Schlimmes passiert war.
»Lange nicht gesehen«, versuchte er zu scherzen, »komm rein. Magst du einen Kaffee?« Er trat zur Seite.
Sie nickte bloß und lief an ihm vorbei.
Während er ihr eine Tasse einschenkte, musterte Chiara das Wohnzimmer.
»Schöne Wohnung. Die hattest du damals noch nicht.«
Ihr Blick fiel auf den Laptop und die Papiere auf dem Tisch.
»Deine neue Geschichte? Für den Modric Verlag?«
Max hob die Brauen. »Wie kommst du denn darauf?«
»Unser Gespräch auf der Buchmesse, schon vergessen?«
Themenwechsel! Er versuchte es mit einem Handschlenker in den Raum. »Sorry für die Unordnung.«
»Seit wann ist deine Frau unordentlich?«
Er wendete den Blick von ihr ab. »Sie ist vorübergehend ausgezogen.«
»Aha.«
Sah er da ein Augenzwinkern?
»Freut dich das etwa?«
»Bilde dir bloß nichts ein. Was hast du angestellt?«
Sie hob den Zettel auf, der auf dem Tisch lag. »Aha, Jennifer hat eine neue Liebe?«
»Das geht dich nichts an. Und die Antwort ist nein, tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.«
Als sie nicht reagierte, zuckte er die Schultern. »Jennifer war vom Anfang an dagegen, dass ich nach der Erbschaft eine Auszeit nahm, um zu schreiben. Meine Tätigkeit als Schriftsteller bringt ihr zu wenig ein. Sie will, dass ich in meinen alten Job zurückkehre. Ihr Verdienst reicht ihr nicht, um ihren Lebensstil aufrecht zu halten. Damit meine ich: immer neue Klamotten.«
Chiara beschloss, ein wenig zu plaudern, bevor sie das eigentliche Thema anschnitt.
»Hat sie einen neuen Freund?«
Er nickte. »Jemand von der Arbeit. Das machte es ihr natürlich leichter, auszuziehen.« Er schwieg eine Weile. «Aber du bist nicht hier, um über Jennifer zu reden, oder?«
»Nein.« Ihr Blick trübte sich. »Es geht um …«, sie zeigte auf die Papiere. »Woran schreibst du gerade? An deinem neuen Krimi für den Modric-Verlag?«
»Ja.«
»Wovon handelt er?«
»Das hast du mich bereits im Fontana gefragt. Ich kann dazu nichts sagen.«
»Kannst du nicht oder willst du nicht?«
Er drehte den Kopf weg.
»Moment mal … du darfst nicht, habe ich recht?«
Er seufzte. »Steht so im Vertrag. Ich darf mit niemandem darüber reden. Zufrieden? Wieso fragst du?«
»Als ich auf der Buchmesse zu dir kam, flogen ein paar Blätter auf den Boden, die ich für dich aufhob. Auf einem war die Rede vom Schlosspark Biebrich. Und vom Erschießen. Kannst du mir etwas darüber sagen?«
Max sah keinen Grund, ihr darauf nicht zu antworten. »Ich habe gemäß Plot einen Mord im Schlosspark beschrieben.«
Totenstille. Chiaras Augen weiteten sich. »Einen Mord im Schlosspark Biebrich?« Ihr Blick suchte das Zimmer ab. »Hast du die Zeitung von heute schon gelesen?«
»Die liegt noch im Briefkasten. Ich habe die halbe Nacht gearbeitet und noch keine Zeit gehabt, sie zu holen.«
»Dann tue es bitte. Jetzt!«
Kein Zweifel, Chiara war besorgt. So ernst hatte er sie noch nie erlebt. Und so niedergeschlagen.
»Okay. Bin gleich zurück.«
Der überfüllte Briefkasten bezeugte, dass er in letzter Zeit allzu sehr beschäftigt gewesen war. Er nahm die Post heraus, warf einen Blick auf die Zeitung. Die Schlagzeile auf der Titelseite war nicht zu übersehen: ›Heimtückischer Mord am Chefredakteur der Wiesbadener Nachrichten‹. Er überflog den Bericht, während er die Treppe hochstieg.
Das kann nicht wahr sein!
Zurück in der Wohnung sah er, dass Chiara vor dem Laptop saß.
Verflucht! Sie liest die Szene im Schlosspark!
Er klappte den Bildschirm zu. »Was soll das?«
Mit eisigem Blick nahm sie seine Hand weg und öffnete den Rechner wieder.
»Hast du das geschrieben?«
»Ja … Das muss ein Zufall sein«, flüsterte er.
Keine Antwort. Stattdessen Tränen. Solange er sie kannte, hatte er sie noch nie weinen sehen. Nicht Chiara, die hart gesottene Journalistin.
Er beugte sich zu ihr. »Was ist los?«
Sie zeigte auf das Bild in der Zeitung. »Peter Reimann war mein Chef.« »Das tut mir leid, ehrlich, aber … was hat das mit meinem Manuskript zu tun?«
»Ich weiß es nicht, Max. Ist doch ein seltsamer Zufall, findest du nicht? Vielleicht hat der Mörder es gekannt?«
Schnappt sie jetzt über?
»Das ist unmöglich! Wie kann jemand mein Manuskript kennen?«
»Ich weiß es doch nicht. Möglicherweise hat er sich in deinen Rechner gehackt.«
»Unmöglich! Und es ergibt überhaupt keinen Sinn! Außerdem: Ich habe die Mordszene erst Freitagabend an den Verlag geschickt. Der Mord geschah Sonntagmorgen früh. Viel zu schnell für einen Nachahmungstäter.«
Sie schwieg lange.
»Es war Zufall, Chiara, reiner Zufall. Etwas anderes zu denken, ist absurd.«
Kopfschüttelnd stand sie auf. »Hoffentlich hast du recht. Ich bin im Moment etwas durch den Wind.«
Sie öffnete die Tür und trat in den Flur. »Danke für den Kaffee.« Ohne sich umzudrehen, stieg sie die Treppe hinunter.
Er sah ihr nach, bis sie aus seinem Gesichtsfeld verschwunden war. Erst nachdem unten die Eingangstür zugeschlagen war, schloss er die Tür. Er schenkte sich einen zweiten Kaffee ein und öffnete die Terrassentür. Atmete mit tiefen Zügen die frische Luft ein.
Unten auf der Wiese war sein Nachbar dabei, seinen jungen Labrador zu trainieren. Der Hund rannte immer wieder von ihm weg und sollte sich auf ein Signal mit der Hundepfeife hinsetzen. Wenn er nicht sofort gehorchte, hantierte sein Nachbar mit einem Gerät, worauf das Tier kurz zuckte und dem Pfeifbefehl folgte.
Max betrachtete das Treiben eine Weile und ging zurück ins Wohnzimmer. Er las nochmals den Zeitungsbericht. War es wirklich Zufall? Die Erschießung des Opfers hatte sich genauso abgespielt, wie von ihm beschrieben. Könnte es vielleicht doch sein, dass …?
Nein, unmöglich!
Seine Gedanken schweiften zu Chiara. Ihr Erscheinen hatte etwas in ihm aufgewühlt. Fünf Jahre waren seit ihrer Affäre vergangen. Fünf Jahre, in denen sie nicht miteinander gesprochen hatten. Jetzt die zufällige Begegnung auf der Buchmesse.
Ihr Chef war ermordet worden. Wie ihre Tränen zeigten, vermutlich auch ihr Liebhaber.
Arme Chiara.