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13Verdacht
ОглавлениеDie Todesnachricht beherrschte am nächsten Montagmorgen die Schlagzeilen. Sobald die Polizei herausfand, dass der Notar mit der gleichen Waffe erschossen worden war wie der Redakteur eine Woche vorher, verhängte sie eine Nachrichtensperre.
Chiara hörte die Nachricht am Montagmorgen im Autoradio auf dem Weg in die Redaktion. Sie stellte den Mini am Straßenrand ab. Zwei Morde in zwei Wochen. Sie kannte den Notar. Auch Peter hatte ihn gekannt, sehr gut sogar.
Und es gab noch einen gemeinsamen Bekannten. Sie nahm ihr Handy aus der Tasche, wählte die Nummer der Kanzlei. Es dauerte lange, bis jemand aufnahm.
»Dorn, Kanzlei Hofstätter und Dorn.«
»Markus? Ich bin es, Chiara. Hast du es schon gehört?«
»Ja, gestern Abend, die Polizei war bei Emma, sie hat mich sofort angerufen.«
»Die Arme, wie geht es ihr?«
»Wie soll es ihr schon gehen? Beschissen!«
»Hat die Polizei etwas darüber gesagt, wer dahinter stecken könnte?« »Nein, dazu ist es wohl noch zu früh.«
»Peter und Gregor kannten sich. Für mich ist klar, dass auch der Mörder beide gekannt hat und einen Grund hatte, sie umzubringen. Auch du kanntest Peter und stehst vielleicht ebenfalls auf der Abschussliste. An deiner Stelle würde ich Polizeischutz beantragen.«
»Schon passiert. Ich habe nicht drum gebeten.«
»Trotzdem, es beruhigt mich. Ein bisschen.«
»Lieb von dir, Chiara, aber ich glaube, deine Angst ist überflüssig. Es gibt keine Mandanten, die einen Groll gegen die Kanzlei hegen.«
»Ich dachte eher an ehemalige Gegner. Du bist Strafverteidiger, es könnte ja sein, dass einer, den du mal in den Knast geschickt hast, jetzt raus ist und Rache nimmt.«
»Das erklärt aber nicht Peters Tod.«
»Da hast du auch wieder recht. War nur so ein Gedanke. Hältst du mich auf dem Laufenden?«
»Ja, aber nur unter der Voraussetzung, dass ich das, was ich dir sage, nicht am nächsten Morgen in der Zeitung lese. Einverstanden?« Chiara schwieg kurz.
»Klar, Markus. Kein Wort. Tschüss.« Sie beendete das Gespräch.
Erst Peter, eine Woche später Gregor. Zwei, die sich kannten und die sie selbst kannte. Anscheinend gab es da noch jemand. Jemand, der Menschen erschoss.
Willkürlich?
Ihr Instinkt als Journalistin sagte ihr, dass die Morde so kurz hintereinander kein Zufall waren. Es musste einen Zusammenhang geben. Da fiel ihr das Gespräch mit Max ein, das sie vor genau einer Woche geführt hatte. Sie wählte seine Nummer.
Eine schläfrige Stimme meldete sich.
»Wassis?«
»Was hast du zuletzt geschrieben?«
»Mensch Chiara, so früh am Morgen. Warum willst du das wissen?«
»Sag es mir einfach.«
»Eine Mordszene. Ein Anwalt wird auf der Jagd erschossen.«
Ein Stromstoß durchfuhr ihren Körper.
»Bist du noch da?«
»Ja, Max. Es ist wieder passiert.«
»Was ist wieder passiert? Ich verstehe nicht.«
»Ein Notar wurde Sonntagmorgen auf der Jagd erschossen.«
Totenstille.
»Ein Notar?«
»Gregor Hofstätter. Ein enger Freund von Peter Reimann.«
Erneutes Schweigen.
»Scheiße. Wo bist du?«
»Auf dem Weg zu dir.«
Max wirbelten die Gedanken im Kopf herum. Er wollte nicht glauben, was Chiara ihm soeben erzählt hatte. Ein Notar war auf der Jagd ermordet worden? Er holte die Zeitung, las den Bericht.
Verdammt! Da trieb jemand ein teuflisches Spiel mit ihm! Dabei hatte er vorsichtshalber den Rechner auf Viren und einen Hackerangriff prüfen lassen. Mit negativem Ergebnis!
Er stieg unter die Dusche. Als er gerade dabei war, sich abzutrocknen, klingelte es an der Tür. Er ging hin, um den Türöffner zu drücken. Als er Chiaras Schritte auf der Treppe hörte, ließ er die Tür einen Spalt breit offen und verschwand wieder im Bad.
Die Wohnungstür knallte zu.
»Max?«
Er steckte den Kopf aus der Badezimmertür. »Im Bad. Bin gleich da. Setz bitte Kaffee auf.«
Minuten später saßen sie am Tisch, tranken Kaffee. Chiara hatte den Fernseher eingeschaltet, in den Nachrichten des Hessischen Rundfunks lief eine Reportage über das Attentat. Der Notar war am frühen Sonntagmorgen auf einem Hochsitz erschossen worden. Der Schuss wurde von einem gegenüberliegenden Hochstand aus abgefeuert. Kein Jagdunfall, hieß es. Hofstätter war Opfer eines gezielten Attentats geworden. Wie eine Woche zuvor der Chefredakteur der Wiesbadener Nachrichten. Die Polizei hatte die Wiese abgesperrt und nach Spuren durchkämmt. Sie hatte einen toten Fuchs gefunden, vermutlich von Hofstätter erlegt, kurz bevor es ihn selbst erwischt hatte.
Max starrte auf den Fernsehschirm. Wieder hatte alles sich genauso abgespielt, wie von ihm beschrieben. Bis auf den Fuchs. Benützte jemand seinen Text als Anleitung zum Töten? Und wieder fielen ihm Modrics Worte ein, die er auf der Buchmesse gesprochen hatte: »Sie beschreiben Mordanschläge so präzise, dass man als Leser das Gefühl bekommt, man verübe sie selbst. Das gelingt nur wenigen Autoren.«
»Das kommt dir bekannt vor, habe ich recht?«, riss ihn Ciaras Stimme aus den Gedanken. Sie starrte in die Tasse, als versuche sie, die Wahrheit aus dem Kaffeesatz zu lesen.
Er zeigte ihr, was er geschrieben hatte. »Du könntest recht haben, dass mein Manuskript für jemand eine Anleitung zum Töten ist.«
»Dann ist es Zeit, deinen Verleger anzurufen.«
»Modric-Verlag. Was kann ich für Sie tun?«
»Hier spricht Max Delius. Bitte verbinden Sie mich mit Herrn Modric.«
»Herr Modric ist nicht da. Wie war noch mal Ihr Name?«
»Delius, Max Delius. Ich bin Schriftsteller und verfasse ein Manuskript für Ihren Verlag. Ich muss schnellstens Herrn Modric sprechen, es ist wichtig.«
»Ich versuche, ob ich ihn auf seinem Handy erreichen kann, haben Sie bitte einen Moment Geduld.«
Eine Bach-Kantate erklang. Nach knapp einer Minute meldete sich die Sekretärin wieder.
»Tut mir leid, auf seinem Handy kann ich ihn auch nicht erreichen. Soll ich Herrn Modric etwas ausrichten?«
Max überlegte, ob er ihr seine Vermutung offenbaren sollte, entschied sich aber dagegen. Es gab keinen Grund, Nichtbeteiligte aufzuschrecken. Das schaffte nur Unruhe.
»Sagen Sie ihm bitte, dass er mich zurückrufen soll. Nochmals, es ist sehr dringend. Es hat mit meinem Manuskript zu tun.«
»Ich werde es Herrn Modric ausrichten.«
Er wollte auflegen, als ihm noch etwas einfiel.
»Noch eine Frage: Wissen Sie zufällig, welcher Lektor mein Manuskript bearbeitet?«
»Wie lautet der Titel?«
»Mörder aus Versehen. Er müsste in der neuen Belletristiksparte aufgeführt sein.«
Klicken einer Tastatur.
»Tut mir leid, ich habe diesen Titel nicht im Verzeichnis.«
Einen Moment war er sprachlos.
»Sind Sie sicher? Ich habe Herrn Modric bereits mehrere Kapitel geschickt.«
»Dann bearbeitet er das vermutlich selbst oder hat es an einen auswärtigen Lektor gegeben. Wir waren bisher ein wissenschaftlicher Verlag und haben noch keine Lektoren für Belletristik.«
An einen externen Lektor hatte er nicht gedacht. Möglich, dass dort etwas falsch gelaufen war.
»Eine letzte Frage: Gab es bei Ihnen in letzter Zeit Hackerangriffe oder eingeschleuste Trojaner?«
»Nicht dass ich wüsste. Wie kommen Sie darauf?«
»Darüber wollte ich mit Herrn Modric sprechen. Es könnte sein, dass einer Ihrer Rechner gehackt wurde. Zumindest vermute ich, dass Teile meines Manuskripts an eine dritte Person gelangt sind …«
»Ausgeschlossen! Sie müssen sich irren, so etwas hat es bei uns noch nie gegeben. Wir haben strenge Sicherheitsvorkehrungen, wegen der wissenschaftlichen Veröffentlichungen, verstehen Sie?«
»Ich versuche es.«
Damit beendete er das Gespräch.
Er sah zu Chiara hinüber.
»Was machen wir jetzt?«
»Darf ich mal an deinen Rechner?«
»Bitte.« Er machte ihr Platz. »Was hast du vor?«
»Dein Manuskript googeln, vielleicht finden wir etwas darüber, das uns auf die Sprünge hilft.«
Chiara öffnete den Internetbrowser und gab bei Google ›Mörder aus Versehen‹ ein.
»Volltreffer! Max, schau her!«
Max stockte der Atem. Tatsächlich! Sein Manuskript stand im Internet. Unter dem Pseudonym Janusch Donker. Von diesem hatte er noch nie gehört. Die Anfangsseiten waren für jedermann zugänglich. Den Rest zu lesen, erforderte eine Registrierung.
Chiara gab ihren Namen ein und scrollte das bisher Geschriebene durch, bis zu dem Mord am Notar.
Max war entsetzt. »Ist das erlaubt? Kann ich dagegen vorgehen?«
»Nein, dein Verlag hat das Recht dazu.«
»Es gibt keinen Hinweis auf den Verlag.«
»Hm, verständlich, solange man nicht weiß, wie gut die Story bewertet wird. Deshalb benützt Modric ein Pseudonym.«
Sie sah vom Bildschirm auf.
»Als ich vor ein paar Tagen bei dir war, sagtest du, dass du dem Plot gemäß einen Mord beschrieben hast. Dem Plot gemäß! Ist dieser Plot eigentlich deine Idee?«
Das »Ja« lag Max auf den Lippen, doch er bekam Zweifel, ob er ihr nicht besser die Wahrheit sagen sollte.
»Der Plot stammt von Modric. Er gab ihn mir auf der Messe.«
»Aha. Zeig mir diesen Plot.«
Max gab ihn ihr.
Nachdem sie fertig gelesen hatte, sah Sie zu ihm auf. Die Kälte war in ihre Augen zurückgekehrt.
»Die beiden Tatorte sind darin genau beschrieben. Es sieht also danach aus, dass der Täter den Plot kannte. Er brauchte nur auf das Erscheinen des entsprechenden Textes im Internet zu warten, um sie auszuführen.«
»Ja, aber warum sollte er das tun? Wozu braucht er mein Manuskript?«
»Hat man dir nicht gesagt, dass es ein Bestseller werden soll?«
»Ja und?«
»Was wäre, wenn Täter und Verleger sich abgesprochen haben? Ein Mord, zeitnah an dem im Netz erschienenen Text, das könnte die Aufmerksamkeit für das Manuskript steigern, oder?«