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Palermo

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Bob war spät dran. Nach seinem Job in der Orthopädie hatte er nur kurz in der Ambulanz des Krankenhauses vorbeischauen wollen, um von einem Kollegen ein Fachbuch zu leihen, war dann aber mitten in einen Notfall mit vier Schwerverletzten geraten, bei dem jede hilfreiche Hand gebraucht wurde. Als er aus dem BMW stieg, bemerkte er kleine Blutspritzer auf seinen Schuhen. Er ging zum Kofferraum und tauschte das befleckte Paar gegen orangefarbene Sneakers aus.

Die von der Hitze des Tages flirrende Luft kühlte allmählich ab. Durch die geöffneten Fenster des Restaurants konnte Bob erkennen, dass alle Tische besetzt waren. David spielte einen italienischen Schlager, irgendwas aus einem Film mit Adriano Celentano, und er hatte dabei mindestens ebenso viel Spaß wie die rhythmisch klatschenden Gäste, die um das Klavier herumstanden. Bob ging hinein und wurde sofort von Marco mit einem begeisterten Redeschwall überschüttet. Der Wirt schlug Bob immer wieder anerkennend auf die Schulter, zog und schob ihn dabei zu einem Tisch, den er rasch abräumte. Wie aus dem Nichts zauberte er eine Flasche Wein herbei und erklärte den »Dottore« zu seinem Gast, dem er umgehend die Speisekarte vorlas. Widerspruch wäre als persönliche Beleidigung empfunden worden, also lehnte Bob sich entspannt zurück und trank erst mal ein Glas von dem roten Bardolino, das Marco ihm hinstellte. Interessiert betrachtete er ein blondes Mädchen, das am Klavier lehnte und ein kurzes, bunt bedrucktes Sommerkleid trug. Aber es waren nicht ihre Beine, die seine Aufmerksamkeit erregten, oder die Art, wie sie sinnlich die Hüften zum Takt der Musikwiegte, sondern ihre Augen, die unablässig auf den Pianisten gerichtet waren. Vielleicht schaffte sie es ja, den Freund zum Innehalten zu bewegen, zum Überdenken seiner Lage.

David spielte auf Zurufe aus dem Publikum Stücke von Zucchero, Paolo Conte, dann einige Lieder von Milva. Wie immer lehnte er es ab zu singen, was der Ausgelassenheit jedoch keinen Abbruch tat, da sich gleich ein dicker Tenor ans Klavier stellte und diesen Part übernahm. Stets gab es einen Epigonen Carusos, eine glühende Verehrerin der Callas, die man nicht lang bitten musste, oder eine Gruppe, die im weiteren Verlauf des Abends den Gefangenenchor aus Nabucco mimte. Das italienische Repertoire, das David in den letzten Jahren erarbeitet hatte, reichte bis zum nächsten Morgen, und Bob, der schon viele Nächte im »Palermo« verbracht hatte, genoss die Show und bestellte ein ausgezeichnetes Carpaccio mit Avocadovinaigrette, gegrillten Seeteufel, dazu einen fruchtigen Gavi aus dem Piemont. Beim Espresso, kurz nach Mitternacht, spielte David »Bella Ciao«, ein antifaschistisches Partisanenlied, mit dem die Stimmung ins Weinerliche kippte, nur um dann mit der anschließenden Tarantella einen Höhepunkt der Lebenslust zu erreichen. Bob wusste bereits beim ersten Akkord, was passieren würde, und als Giovanna, ebenso passionierte Köchin wie Tänzerin und zudem Marcos Ehefrau, aus der Küche kam, ihn mit leuchtenden Augen erkannte und von seinem Stuhl zog, da sträubte er sich nicht lang, sondern ging mit ihr in den Kreis, den die anderen Gäste inzwischen vor dem Klavier gebildet hatten. Maria umkreiste ihn mit den typischen Tanzschritten der Tarantella, die Bob an die Bewegungen eines an einer Schnurr hängenden Hampelmanns erinnerten. Die Flasche Wein, die er beim Essen getrunken hatte, machte es ihm leicht, sich auf den 6/8-Takt einzulassen und nun seinerseits Maria zu umkreisen. Es gab kein Bein mehr, das auf dem Boden blieb, keine noch so raue Kehle, die in Ermangelung eines Refrains nicht wenigstens irgendetwas gesungen, gegrölt oder gejauchzt, gegurrt oder gejohlt hätte.

Als David später von den Opernmelodien zu Ennio Morricones Klassikern der italienischen Filmmusik wechselte, schubste das blonde Mädchen ihn an, um dann neben ihm auf dem Klavierhocker Platz zu nehmen. Sie war kleiner als Silya, aber ansonsten ein ganz ähnlicher Typ, wenn man Davids enthusiastischen Beschreibungen glauben durfte. Ein bisschen erinnerte sie an die junge Grace Kelly, wie Bob fand.

Marco füllte Bobs Glas ein weiteres Mal mit Wein.

»Ah, sieh sie dir an«, sagte er mit vom Alkohol schwerer Zunge.

»La bionda?«

»Ja. Ist sie nicht schön?«

»Si, sehr schön. Molto bella.«

»Eben … Molto schön«, sagte Bob und schaute nachdenklich in sein Glas. »Wieso will er plötzlich Kinder? Kannste mir das mal verraten?«

Marco schaute überrascht. »Bambini mit la bionda? No, die beiden sich kennen erst seit heute Abend.«

Bob, der sichtlich Schwierigkeiten damit hatte seine Gedanken zu ordnen, trank sein Glas aus. »Ja«, sagte er. »Oder nein ... Molto schön ... Aber er will keine Kinder mit la bionda. Er will Kinder von seiner Chefin

»Si, ich weiß. Er viele lieben Silya bellissima.«

»Si, er viele lieben Silya bellissima«, imitierte Bob Marcos Akzent, was ihm mit jedem weiteren Glas leichter fiel. »Ich ihn auch viele lieben«, fügte er sentimental hinzu. »Und ich will nicht, dass sie ihm weh tut.«

Um drei Uhr morgens klappte David den Deckel über der Tastatur des Klaviers zu. Viele Gäste des Restaurants bedankten sich persönlich und steckten ihm dabei Geldscheine in die Hand. Als es etwas ruhiger wurde, flüsterte das blonde Mädchen ihm etwas ins Ohr, woraufhin er aber lediglich lächelnd den Kopf schüttelte.

»Hast du das mitgekriegt?« Bob schaute Marco fassungslos an. »Jetzt spinnt er komplett!« Aber er meinte im Grunde sich selbst, denn er, er hätte niemals die Kraft gehabt, diesem Engel zu wiederstehen.

Nachdem die letzten Gäste gegangen waren, klappte David den Klavierdeckel noch einmal auf und begann »Sallys Song« zu spielen. Bob begriff es nicht, konnte aber dennoch in Davids Augen lesen, dass der Freund kein Opfer gebracht hatte.

Sallys Song

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