Читать книгу Sallys Song - Frank Hoyer - Страница 16
Kündigung
ОглавлениеNachdem sie in der vergangenen Woche über siebzig Stunden gearbeitet hatte und auch am Sonntag im Büro gewesen war, konnte Silya nun mit einem guten Gewissen den Nachmittag frei nehmen. Sie hatte die lockere Verabredung zum Lunch mit Patrick abgesagt, stattdessen einen Müsliriegel geknabbert und die Akten für Mark Fenninger, den zweiten designierten Geschäftsführer neben ihr, auf den aktuellen Stand gebracht. Nachdem sie ihm einige Dokumente gefaxt hatte, lag nichts mehr auf ihrem Schreibtisch, was nicht bis zum nächsten Tag warten konnte. Bevor sie den PC abschaltete, schaute sie schnell in ihrem E-Mail-Programm nach neuen Nachrichten. In der letzten Stunde hatte Patrick wieder drei Mails gesendet, die Silya hastig las, dann aber genauso unbeantwortet löschte wie die zehn Mails davor. Ihr Arbeitspensum ließ die ständigen Ablenkungen durch seine amüsanten Albernheiten einfach nicht zu. Sie war gespannt, ob ihm weiter die Zeit dafür bliebe, wenn er gleich am ersten Tag nach der Firmenübernahme zu einem Briefing nach Toronto reisen musste. Die entsprechende Arbeitsanweisung war bereits formuliert, das Flugticket geordert, und sie wäre dann sein Boss, nur Kim selbst zur Rechenschaft verpflichtet.
Sie sah dem gemeinsamen Abend mit Patrick gespannt entgegen und hoffte sehr, dass er seinen Humor behielte, wenn sie ihn fragen würde, wie gut sein Englisch sei und ob er koreanisches Essen mochte.
Das Programm zeigte eine neue E-Mail im Posteingang an. Silya wollte endlich los, um ihre Einkäufe zu erledigen, und am liebsten hätte sie die Nachricht ignoriert. Aber nach kurzem Zögern gab sie ihrer professionellen Neugier nach und warf einen Blick auf den Absender. Dass David Blohm ihr schrieb, war ungewöhnlich, da die für das operative Geschäft zuständigen Teamassistenten im Normalfall die richtigen Ansprechpartner waren, wenn die Agents Fragen oder Probleme hatten. Das Wort »Kündigung« in der Betreffzeile deutete zudem auf eine Zuständigkeit der Personalabteilung hin. Seufzend klickte Silya die E-Mail an.
Er teilte ihr mit förmlichen Worten mit, er werde demnächst sein Studium beenden und wünsche einen vorzeitigen Auflösungsvertrag. Können sie haben, Herr Blohm, dachte sie und wollte die Nachricht gleich an die Personalabteilung weiterleiten. Dann überflog sie den kurzen Text aber doch bis zum Ende. Er schlug tatsächlich vor, die Einzelheiten bei einem Glas Wein während des Sommerfestes zu besprechen. Wozu ich absolut keine Lust habe, Herr Blohm, dachte sie und schrieb eine Antwort, in der sie ihn in ihr ins Büro bat. Sie wollte diese Angelegenheit lieber sofort erledigen. Prompt kam eine Mail zurück.
- Sie meinen jetzt?
Silya schaute über den Rand ihres Monitors in das Großraumbüro, wo Blohm am selben Platz saß wie am Tag zuvor. Er und diese Juristin, mit der man ihn immer zusammen sah, drehten beide die Köpfe in ihre Richtung.
- Ja, bitte.
Sie sah, wie Blohm das Headset weglegte. Eigentlich sollten die Einzelheiten, die er angesprochen hatte, in drei Minuten zu klären sein. Wenn das mit den Einkäufen nicht zu lange dauerte, wollte sie den ausgefallen Trainingslauf nachholen und anschließend eine halbe Stunde auf ihrem Balkon relaxen. Damit Blohm gar nicht erst auf den Gedanken kam, sie hätte Zeit für eine gemütliche Plauderei, rollte sie den Bürostuhl zurück, um ihn im Stehen zu begrüßen.
Der Agent und Patrick wären fast vor ihrer Tür zusammen gestoßen, als sie aus verschiedenen Richtungen aufeinander zugingen. Patrick trug zwei Kaffeebecher, die überschwappten, als er Blohm im letzten Moment auswich.
»Herrgott!«, blaffte er ihn an. »Sie schon wieder! Können Sie nicht aufpassen?«
»Sorry, ich hab Sie nicht gesehen.«
»Bin ich aus Luft, oder was?«
»Zum Glück tragen Sie ja heute einen dunklen Anzug. Da sieht man die Flecken nicht so.«
Silya wich einen Schritt zurück, als Patrick die tropfenden Becher auf ihrem Schreibtisch abstellte.
»Ich weiß wirklich nicht, ob der Typ frech ist oder einfach nur dumm«, murmelte er leise.
»Der Typ hat das gehört«, sagte Blohm. »Der Typ stellt sich außerdem gerade die Frage, ob er die Aussage der Führungskraft als Beleidigung verstehen soll und dieses Gespräch in Anwesenheit seines Gewerkschaftsvertreters fortführen möchte.«
Innerlich aufstöhnend sah Silya ihren freien Nachmittag dahinschwinden. Der erste Eindruck, den sie von Blohm am Tag zuvor erhalten hatte, war wie weggewischt. Er konnte tatsächlich Sätze mit mehr als drei Wörtern fehlerfrei sprechen.
»Jetzt beruhigen wir uns mal alle wieder!« sagte sie energisch. »Ich bin schon so gut wie auf dem Weg nach Hause und werde wegen dieser Lappalie keine Minute länger bleiben. Wir sind hier schließlich nicht im Kindergarten. Nicht wahr, Herr Rutter?«
Patrick murmelte zähneknirschend etwas, das mit viel guten Willen als Entschuldigung für seine unbedachte Äußerung verstanden werden konnte. Lächelnd holte Silya aus der Schublade des Schreibtisches eine Schachtel Papiertücher, die sie ihm reichte.
»Und Herr Blohm?« schaute sie den Agenten aufmuntern an.
»Ja, ich auch.« Auf seinem Gesicht breitete sich ein jungenhaftes Grinsen aus. »Ich meine, ich entschuldige mich auch. Ich hätte besser aufpassen sollen. Und ich bin gar kein Mitglied in der Gewerkschaft.«
»Na, dann ist damit ja alles geklärt«, sagte Silya erleichtert. Schwierigkeiten mit der Gewerkschaft waren das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, und Kim reagierte mit roten Flecken im Gesicht, wenn man dieses Wort nur aussprach. »Sie wollen die Firma also verlassen, Herr Blohm?«
»Ja, ich will endlich mein Studium beenden. Es wird Zeit.«
Allerdings, dachte Silya. »Das ist eine ziemlich kurzfristige Entscheidung. In Ihrer Mail schreiben Sie, dass Sie den Arbeitsvertrag vorzeitig und so schnell wie möglich auflösen möchten.«
»Das hat eher ...nun, eher private Gründe«, sagte Blohm stockend, wobei er Silyas Blick auswich und zu Patrick sah, der inzwischen auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch saß und an seinem Kaffee nippte.
»«Möchtest du Kaffee, Silya? Schwarz, ohne Zucker. Ich hoffe, du magst ihn so.«
»Danke«, sagte sie, ließ den Becher aber stehen. Eigentlich hatten sie beide abgesprochen, einander im Beisein Dritter nicht mit dem Vornamen anzusprechen, zumindest für eine Weile. Und wie sie ihren Kaffee trank, sollte Patrick inzwischen eigentlich wissen.
»Wenn Sie möchten, hole ich Ihnen schnell Milch und Zucker aus der Küche. Zwei Stückchen, richtig?«
Silya sah Blohm überrascht an. Aber sie wollte jetzt überhaupt keinen Kaffee trinken. »Nein, danke.«
»Oder lieber einen Pfefferminztee?«
Zu dieser Stunde am frühen Nachmittag trank sie tatsächlich gerne eine Tasse Pfefferminztee. Aber wieso wusste Blohm das?
»Dauert nur eine Minute«, sagte er, als Silya zögerte.
Naja, das Büro hatte schließlich eine Wand aus Glas. Wahrscheinlich kannten die meisten Agenten die eine oder andere ihrer Gewohnheiten.
»Was ist das eigentlich für ein komisches Ding, Silya?«
Patrick hielt ihr den Würfel aus Acryl entgegen, den sie als Briefbeschwerer nutzte. Blohms Anwesenheit dermaßen demonstrativ zu ignorieren war einfach kindisch, wie sie fand.
»Ich möchte keinen Tee. Vielen Dank, Herr Blohm.«
Er nickte. Und er lächelte sie unentwegt an, ohne dass sie dafür einen Grund erkennen konnte. Vielleicht, dachte sie, ist er einfach nur froh, diesem stumpfsinnigen Job endlich zu entkommen. Sie selbst würde es als Agent bestimmt keine drei Tage aushalten.
»Ist das eine versteinerte Pflanze oder so was?«
»Nein, eine Koralle«, sagte Silya knapp, ohne Patrick dabei anzusehen. Verdammt, sie wollte keinen Kaffee trinken. Sie wollte auch keinen Pfefferminztee. Und ganz bestimmt hatte sie keine Lust auf eine gemütliche Plauderei in ihrem Büro. Sie wollte einfach diese Angelegenheit mit Blohm abwickeln und dann so schnell wie möglich verschwinden, bevor der Nachmittag ganz vorbei war. Die Sonne würde nicht ewig auf ihren Balkon scheinen, so ein Mist, und außerdem war sie hungrig.
»Das ist eine Pennatularia«, sagte Blohm »Eine Federkoralle.«
Obwohl der Agent in Rutters Richtung sprach, hatte Silya den Eindruck, dass die Erläuterung ihr selbst galt. Fragend sah sie ihn an. Eine Pennatularia war nicht so leicht zu identifizieren wie ein Blauwal oder ein Goldfisch, und dass Blohm das konnte, war fast schon ein bisschen verrückt, zumindest aber gänzlich unerwartet.
»Die Bildersuche bei Google«, erklärte er. »Ich komme sooft an Ihrem Büro vorbei, drei- oder viermal jeden Tag, da war ich einfach neugierig. Ich finde sie sehr schön. Sehr interessant.«
»Sie sind ein Mann mit sehr vielen Interessen, was?«
Blohm ging nicht auf die mit einem sarkastischen Unterton vorgetragene Bemerkung von Patrick ein. Er schaute sie einfach nur an, was irritierend war, da seine Augen die exakt gleiche Farbe hatten wie ihre eigenen. Als blickte sie in einen Spiegel, so kam es ihr vor, und das war sicher auch der Grund, warum er ihr in diesem Moment so merkwürdig vertraut erschien. Doch das war ein genauso dummes Gefühl wie das, welches Blohm offensichtlich für sie hegte. Die Pennatularia war sicher interessant, wie der Agent gesagt hatte, aber sie war definitiv nicht schön. Natürlich meinte er Silya, das war ihr nun klar, genauso wie Patrick, der es ja bereits am Tag zuvor geahnt hatte. Dennoch war dies eine lächerliche Situation. Natürlich, sie wusste selbst, dass sie eine umwerfend schöne Frau war, aber sie würde niemals begreifen, warum das für Männer wie diesen Blohm so wichtig war. Und etwas anderes konnte sein Interesse kaum geweckt haben. Er wusste doch rein gar nichts von ihr.
»Wir wollten kurz über Ihre Kündigung sprechen, Herr Blohm«, erinnerte sie ihn. Um diesen verwirrenden Augenkontakt zu unterbrechen, bog sie ihren Rücken durch, so wie sie es bereits als Vierjährige im Ballettunterricht gelernt hatte. Sie war einige Zentimeter größer als er und schaute nun auf ihn herab. »Grundsätzlich sieht Ihr Vertrag eine Frist von drei Monaten vor. Es ist jedoch Politik des Hauses, niemanden zu halten, der eine Veränderung anstrebt. Haben Sie noch Resturlaub zu beanspruchen?«
»Nein.«
»Gut. Wir können einen Auflösungsvertrag zum Monatsende vereinbaren, wenn Sie möchten.«
»Ja.«
»Ich werde die Personalabteilung darüber in Kenntnis setzen. Man wird in den nächsten Tagen auf Sie zukommen.«
»Okay.«
Ein Geräusch hinter ihrem Rücken ließ sie nervös zusammenfahren. Ärgerlich sah sie Patrick an, dem der Briefbeschwerer aus der Hand gefallen war.
»Ist sonst noch was?« wandte sie sich wieder Blohm zu.
»Nein.« Er machte einen Schritt rückwärts. »Wenn ich weitere Fragen habe, können wir ja später darüber sprechen. Sie kommen doch zur Sommerfeier?«
»Selbstverständlich.« Silya verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber ehrlich gesagt, ich habe wenig Lust, ausgerechnet heute Abend weiter über dieses Thema zu sprechen. Es dürfte alles hinreichend geklärt sein, denke ich.«
Blohm verließ das Büro. Silya schloss die Tür hinter ihm. Als sie Patrick ansah, grinste der sie unverschämt an.
»Ich habe dir ...«
»Schon gut«, unterbrach sie ihn. »Du hast mir das bereits gestern gesagt. Ja, ich erinnere mich. Willst du dich jetzt wirklich über Herrn Blohm unterhalten?«
»Nein. Er ist unwichtig. Oder?«
»Zu unwichtig, um auch nur ein einziges Wort mehr über ihn zu verlieren.«
Patrick deutete auf den Briefbeschwerer, den er vom Boden aufgehoben und zurück auf seinen Platz gestellt hatte. »Was ist das?«
»Hast du doch gehört. Eine Federkoralle.«
»Aber warum steht das Ding hier? Ist Tauchen ein Hobby von dir? Und du hast die Koralle selbst vom Grund irgendeines Meeres gefischt, umzingelt von zwanzig menschenfressenden Haien?«
»Ja, genau. Und in deiner Fantasie hatte ich dabei überhaupt nichts an.«
Patrick lachte. »Das mit dem Kaffee tut mir leid«, sagte er dann mit zerknirschter Miene ziemlich unvermittelt. »Du magst ihn lieber mit Milch und Zucker, was?«
»Wie in allen Kaffeepausen, die wir zusammen verbracht haben.«
Patrick reagierte mit erhobenen Händen auf ihren gereizten Tonfall.
Silya holte ihre Jacke und die Tasche mit dem Laptop aus dem Einbauschrank, der die hintere Wand des Büros einnahm. »Das mit den Blumen war total süß von dir«, sagte sie und klimperte mit dem Türschlüssel.
»Ich war sowieso in der Gegend und dachte, ich schau mal kurz vorbei.«
»Haha«, sagte Silya trocken, die ihm kein Wort glaubte. »Ich wette, du hast da schon eine ganze Woche drüber nachgedacht. Aber meine Adresse, woher wusstest du die?«
»Für jeden durchschnittlich begabten Psychopathen ist so was kein Problem.«
Sie verließen das Büro – Silya ignorierte Blohms Blicke – und gingen zu den Aufzügen. Auf dem Weg dorthin schlug Patrick einen gemeinsamen Nachmittag vor.
»Nein, ich habe wirklich keine Zeit, Patrick. Ich muss tausend Dinge besorgen.«
»Ich helfe dir, die Tüten zu tragen.«
»Katzenfutter, Milch und Frühstücksflocken, Toilettenpapier, Waschpulver«, zählte Silya auf. »Klingt das nach dem Nachmittag, den du verbringen möchtest?«
»Ich bin Experte für Toilettenpapier und Waschpulver. Ich könnte dich beraten.«
»Und eine halbe Stunde vor der Kasse im Supermarkt stehen?«
»Liebend gern«, sagte er und berührte die in das Mauerwerk eingelassene Sensorfläche, um den Aufzug zu rufen.
Silya fand die Vorstellung, wie seine Hände ihre Haut berühren würden, durchaus reizvoll. Vielleicht war das gar keine schlechte Idee, den Nachmittag mit ihm zu verbringen.
Patrick schaute sich um. Als er sicher war, dass sie allein waren, legte er einen Arm um ihre Taille. »Du könntest mir bei einem Martini erzählen, wie das genau war, als du diese Koralle aus dem Meer geholt hast. Warst du da wirklich ganz nackt?«
Lachend schüttelte Silya den Kopf. »Die Koralle ist ein Abschiedsgeschenk von einer Freundin in Marseille.«
»Abschied wovon?«
»Wir haben zusammen Meeresbiologie studiert.« Als die Tür des Aufzugs lautlos aufglitt, ging Silya zuerst hinein. »Ich hab’s nach einem Semester aufgegeben.«
»Das ist ... überraschend.«
Silya hielt Patricks Hand fest, gerade als er das Touchscreen antippte, und sie stellte sich dabei auf die Zehenspitzen. »Danke für die Blumen«, flüsterte sie auf seinen Lippen. »Das war wirklich unglaublich süß.«
Die Tür ging hinter ihnen zu. Sie ließ ihre Tasche fallen, ohne an den Laptop zu denken, und das Geräusch von splitterndem Plastik war ihr völlig egal, als sie beide Hände um Patricks Nacken legte und ihren Körper an seinen presste.