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Kaya

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Trotz eines hässlichen Risses an der Unterseite des Gehäuses funktionierte der Laptop einwandfrei. Silya überspielte das Foto, das sie am Morgen mit dem Handy aufgenommen hatte, auf die Festplatte und installierte die Margeriten anschließend als Hintergrundbild.

Seufzend stand sie vom Küchentisch auf, um die Einkäufe auszupacken. Birdy lief ihr hinterher und schnupperte an den neuen Stilettos von Francesca Mambrini. Die cremefarbenen Riemchen der Schuhe passten genau zu dem Outfit, das sie am Abend tragen wollte. Lächelnd dachte sie daran, dass Patrick erst nach ungefähr tausend Küssen davon abzuhalten gewesen war, sie zum Shopping zu begleiten. Aber im gegenwärtigen Stadium ihrer Beziehung gab es einige Dinge, die sie lieber allein tun wollte, und der Einkauf in einem Laden für Dessous gehörte ganz entschieden dazu. Wenn sie Patrick in der Nacht eine Gelegenheit geben würde, ihr die Sachen vom Leib zu reißen, war das eine völlig andere Sache.

Jemand klopfte. Kaya, dachte Silya, denn aus irgendeinem ihr unbekannten Grund benutzte die Nachbarin aus der dreizehnten Etage niemals die Klingel. Rasch stellte sie den Milchkarton, den sie gerade in der Hand hielt, in den Kühlschrank und ging an die Wohnungstür, um zu öffnen.

Kaya hatte eine neue Frisur, in die pinke Strähnchen eingefärbt waren, was ganz gut zu ihrem rosa Rennanzug und den gleichfarbigen Laufschuhen passte. »Hey, Sweetie«, sagte sie überschwänglich. »Ich habe dein Auto unten gesehen und dachte, wir könnten den Lauf von heute Morgen nachholen.«

»Gute Idee. Ich muss nur vorher ein paar Sachen in den Kühlschrank räumen.«

Sie gingen in die Küche, wo Kaya zwischen Katzenfutter und Kaffee sofort die Papiertüte von Victoria’s Secret entdeckte. Ungeniert holte sie den neuen BH heraus und schwenkte ihn durch die Luft.

»Der wiegt ja kaum zehn Gramm«, meinte sie. »Ist das Weltraum-Lycra von der NASA, oder was? Und für wen ist der? Für diesen IT-Freak?«

»Nein, für mich. Ich glaube kaum, dass er Patrick passen würde.«

Kaya nahm den zum BH passenden Slip aus der Tüte. »Der flippt sicher aus, wenn er das zu sehen kriegt. Steht er auf rot?«

»Könnte sein.«

»Wie ist er denn so? Die IT-Typen, die ich kenne, sind alle irgendwie ... na ja, eben nicht mein Typ. Hast du ein Foto? Du hast mir übrigens gar nicht erzählt, dass du einen Bruder hast.«

»Wie kommst du darauf, ich hätte einen Bruder?«

»Nicht? Die Alte, die immer mit ihren Katzen spazieren geht, hat mich vorhin bei den Briefkästen vollgequatscht.«

»Frau Novak?«

»Keine Ahnung, wie die heißt. Aber egal. Auf jeden Fall hat sie ihn rein gelassen, weil er seinen Schlüssel vergessen hatte. Irgendwann letzte Nacht.«

»Ich habe keinen Bruder. Aber gut möglich, dass das Patrick war.«

»Wieso?«

»Weil er hier war, um das da für mich zu machen.« Silya deutete auf das Hintergrundbild des Laptops. »Wahrscheinlich musste er Frau Novak eine Geschichte erzählen, um ins Haus zu kommen.«

Kaya warf einen Blick auf das Hintergrundbild. Sie stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Dein Patrick ist definitiv keiner von den IT-Typen, die ich kenne.«

»Er ist nicht mein Patrick.«

»Nicht? Ich dachte.«

»Wir haben uns heute geküsst. Eigentlich geht mir das alles aber etwas zu schnell.«

»Er gräbt dich seit einem Monat an, wenn ich das richtig mitgekriegt habe. Klingt nicht unbedingt nach einem Quickie, wenn du mich fragst.«

Silya nahm eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank. »Möchtest du etwas trinken?«

»Nein, danke. Aber was möchtest du denn?«

Silya goss Wasser in ein Glas und schaute Kaya dabei fragend an.

»Ich meine, was du von einem Typen erwartest.«

»Die Blumen vor meiner Tür haben mich wirklich beeindruckt. Ich mag es, wenn ein Mann sich Mühe gibt. Aber... « Silya trank langsam ihr Glas aus, um so etwas Zeit zu gewinnen, über die Frage nachzudenken.

»Aber?« fragte Kaya.

»Wie trinke ich meinen Kaffee?«

»Mit viel Milch und zwei Stückchen Zucker.«

»Eben. Patrick hat mir heute einen Kaffee ohne alles gebracht.«

»Tatsächlich?« Kaya schaute Silya belustigt an. Offensichtlich hatte sie nicht die geringste Ahnung, worauf Silya hinauswollte.

»Wir trinken jeden Tag zusammen Kaffee ... Das klingt völlig bescheuert, ich weiß. Ist es wahrscheinlich auch.«

»Nein, das wollte ich damit nicht sagen, Sweetie. Wenn es sich für dich falsch anfühlt, dann ist es eben falsch.«

Silya räumte das leere Glas in die Spülmaschine. Wenn sie ehrlich war, wusste sie gar nicht, wie es sich anfühlte. Der Job beanspruchte sie so sehr, dass kaum Zeit blieb, um ihr Privatleben zu betrachten. Das war in den letzten Jahren immer so gewesen, eigentlich seit sie die Brücken hinter Marseille abgebrochen und das BWL-Studium begonnen hatte. In dieser Zeit hatte es einige Affären gegeben, belanglos, meist nur von kurzer Dauer, und sicher rührte daher ein Teil der Unsicherheit, die sie spürte, wenn es darum ging, ob sie sich ganz und gar auf Patrick einlassen wollte. Sie hatte diesen Teil des Lebens derart vernachlässigt, dass es ihr nun so vorkam, als gehöre er nicht in ihren Kompetenzbereich. Sie war vierundzwanzig Jahre alt und Leiterin einer operativen Einheit in einem aufstrebenden Unternehmen. In wenigen Tagen würde sie die BelCanTel Berlin leiten. Sie besaß die Diplome von zwei international renommierten Universitäten. Es lief alles bestens – wenn man mal davon absah, dass sie nicht sagen konnte, ob sie in Patrick verliebt war oder sich bloß wünschte, es zu sein. Er wusste jetzt, wie sie ihren Kaffee mochte, und es war absolut lächerlich, dass sie mentale Ressourcen verschwendete, indem sie weiter darüber nachdachte und ein Problem, das im Grunde keines war, riesengroß werden ließ. Warum ließ sie sich nicht einfach fallen und den Dingen ihren Lauf?

»Ich zieh mich schnell um«, sagte sie und schaltete die Spülmaschine an. Sie freute sich auf den Lauf durch den Grunewald. Um den Kopf frei zu bekommen, gab es nichts Besseres als zehn Kilometer in einem scharfen Tempo. »Auf dem Tisch im Wohnzimmer liegen ein paar Illustrierten«, sagte sie zu Kaya. »Da müsste auch eine Firmenbroschüre sein. Auf Seite drei ist ein Foto von Patrick.«

Kaum stand Silya halbnackt in ihrem Schlafzimmer, mit einem Bein in den Shorts, da hörte sie Kaya rufen. Sie hüpfte zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit. »Was?«

»PATRICK IST NICHT DER TYP, DER SICH FÜR DEINEN BRUDER AUSGEGEBEN HAT.«

»Wieso nicht?«

»WEIL ER BRAUNE AUGEN HAT.«

»Bernsteinfarben. Patrick Augen haben die Farbe von Bernstein.«

»JA, VON MIR AUS. EGAL. AUF JEDEN FALL SIND SIE NICHT HELLBLAU, SWEETIE, SO WIE DEINE.«

»Verstehe ich nicht. Wieso wie meine?«

»WEIL DIE NOVAK SAGT, DER TYP HATTE HELLBLAUE AUGEN. DESHALB HAT SIE IHM DOCH DIE STORY VON DEM BRUDER ABGENOMMEN. ER WAR DIR WOHL ÜBERHAUPT NICHT ÄHNLICH. AUSSER DEN AUGEN EBEN.«

Das Geschrei ging Silya auf die Nerven. Dann war das eben nicht Patrick gewesen, sondern irgendjemand sonst, der seinen Schlüssel vergessen hatte. Allerdings kannte Frau Novak sämtliche Bewohner des Hauses, wie Silya ziemlich sicher wusste. Manchmal besichtigten auch Touristen, Fans von Le Corbusier, das Haus. Es fanden sogar organisierte Führungen statt, doch natürlich nicht mitten in der Nacht. Und niemand hätte einen Grund gehabt, sich die merkwürdige Geschichte von dem Bruder auszudenken. Ein Einbrecher vielleicht?

Silya schnürte ihre Nikes zu und ging nach unten ins Wohnzimmer. Kaya saß auf einem Sofa aus Dessau, ein Original aus dem Jahr 1929, und sie blätterte die Firmenbroschüre durch.

»Der Typ muss dich auf jeden Fall kennen«, meinte sie nachdenklich. »Ich finde übrigens, dein Patrick sieht ganz gut aus. Diesen geschmacklosen Anzug trägt er sicher nur fürs Foto, oder?«

»Wieso muss er mich kennen? Jeder hätte meinen Namen an der Klingel lesen und diese idiotische Geschichte vom Bruder erzählen können.«

»Der Novak ist das mit der Augenfarbe gar nicht aufgefallen. Sie sagt, der Typ habe sie erst darauf aufmerksam gemacht. Er kennt dich also. Oder zumindest hat er dich schon mal gesehen.«

»Das ist tatsächlich merkwürdig«, meinte Silya nachdenklich. »Hat Frau Novak gesagt, wie er sonst ausgesehen hat?«

»Sie hätte mir eine Zeichnung gemacht, wenn ich sie darum gebeten hätte«, sagte Kaya, während sie wieder das Foto in der Firmenbroschüre anschaute. »Er braucht dringend einen neuen Haarschnitt. So wirkt er wie ein vierzehnjähriger Konfirmand.«

»Der Typ?«

»Nein, dein Patrick.«

Mit einem Seufzer fiel Silya neben Kaya auf das Sofa. »Patrick interessiert mich jetzt nicht. Ich will wissen, wie der andere aussieht.«

»Kleiner als du, aber zwanzig Kilo schwerer«, zählte Kaya an den Fingern einer Hand auf. »Randlose Brille, weißes T-Shirt und Jeans.«

Ein Ruck ging durch Silya. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Wieso schlich der Kerl heimlich in ihrem Haus herum?

»Du weißt, wer das ist?«

»Ja«, sagte Silya. Sie zählte nun ihrerseits an den Finger einer Hand auf: »Er heißt Blohm. Er ist einer von den Telefonisten in meiner Abteilung. Er ist ein Idiot.«

»Dann solltest du die Bullen verständigen, Sweetie. Zeig ihn wegen Hausfriedensbruch an.«

»Wahrscheinlich ist er etwas in mich verliebt.«

»Aha?«

»Er weiß, wie ich meinen Kaffee mag. Er beobachtet mich im Büro.«

»Aha?«

»Eigentlich macht er einen netten Eindruck. Aber im Kino sind das immer die gefährlichsten Spinner, oder?«

»Also mir würde es Angst machen, wenn ein Typ mir nachts hinterher spioniert.«

Silya nickte. Doch im Grunde genommen stimmte das nicht wirklich. So wie sie diesen Blohm einschätzte, war er einfach etwas schüchtern und wusste nicht so recht, wie er sie ansprechen sollte. Ganz bestimmt war das kein Fall für die Polizei. Und hatte sie nicht selbst schon mal im Dunklen vor einem fremden Haus gestanden, damals in Frankreich, als sie noch geglaubt hatte, in Yannick verliebt zu sein? Was sagte das über sie aus? War sie denn deshalb ein Mensch, vor dem man Angst haben musste? Nein, natürlich nicht. Allerdings hatte damals alles mit einem Desaster geendet.

»Komm, lass uns endlich loslaufen.« Sie nahm Kaya an der Hand und zog sie vom Sofa hoch. »Ich will jetzt nicht darüber nachdenken.«

Sie absolvierten die übliche Runde in dreiundvierzig Minuten, so schnell wie nie zuvor. Als sie zurück war, ließ Silya Wasser in die Badewanne laufen. Ihre Beinmuskulatur war völlig übersäuert, was einen üblen Muskelkater zur Folge haben würde, wenn sie nichts dagegen unternahm. Das heiße Wasser würde helfen, außerdem brauchte sie dringend Magnesium. Sie ging in die Küche, wo sie eine Banane aß und ein paar Tabletten mit einer halben Flasche Mineralwasser runterspülte. Auf dem Küchentisch lief der Laptop im Standby-Modus. Sie tippte auf das Touchpad und gab ihr Passwort ein. Nachdem Sie eine Verbindung zum Internet hergestellt hatte, startete sie die Bildersuche von Google und gab das Wort Koralle ein. Im Bruchteil einer Sekunde wurden mehr als eine halbe Million Funde angezeigt. Silya klickte die ersten zehn Seiten durch, fand aber nichts, was einer Federkoralle auch nur entfernt ähnlich gewesen wäre. Blohm hatte auf jeden Fall eine ganze Menge Mühe aufwenden müssen, um den genauen Namen zu recherchieren.

Sallys Song

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