Читать книгу Sallys Song - Frank Hoyer - Страница 15

Franzi

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Die Kantine stand sämtlichen Mitarbeitern der in dem Bürokomplex untergebrachten Firmen offen, wurde wegen der gesalzenen Preise aber überwiegend von Führungskräften besucht. David war anfangs wegen seiner legeren Kleidung aufgefallen, doch da er inzwischen jede Woche ein oder zweimal hier aß, starrte ihn zumindest niemand mehr unverhohlen an. Wie immer bestellte er das vegetarische Tagesmenü. Seine Wahl wurde allerdings nicht durch gesundheitliche oder weltanschauliche Aspekte bestimmt, sondern resultierte einzig aus der Beobachtung, dass Silya diese Form der Nahrungszusammenstellung zu bevorzugen schien. Und er wollte die Chance, von ihr mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen zu werden, keinesfalls durch ein blutiges Steak auf seinem Teller schmälern. Um die Selbstgeißelung nicht auf ein unerträgliches Maß zu steigern, nahm er zum Nachtisch eine Schokoladencreme sowie ein Stück Erdbeertorte mit Sahne.

Nach dem Essen trank er einen Kräutertee und blätterte in einer liegen gelassenen Zeitung, deren Sprache er nicht verstand. Während er wartete und eine weitere Tasse Tee trank, kam ihm zum ersten Mal ernsthaft in den Sinn, dass er seinen Job kündigen könnte, um Silya so einen möglichen Interessenskonflikt zu ersparen. Es war ihrer Karriere sicherlich nicht zuträglich, wenn sie eine Beziehung mit einem Telefonisten einging. Und es war auch nicht unbedingt ein erotisierender Gedanke, dass sie jeden Monat mehr Geld für Schuhe ausgab, als er mit seinen diversen Jobs überhaupt verdienen konnte. In ihren Augen musste er wie ein absoluter Verlierer aussehen. Und wenn er endlich das Studium beendete? Musiklehrer, na ja, das war weiterhin eine Vorstellung von alptraumhafter Qualität, aber allemal besser, als eine Zukunft ohne Silya in Erwägung zu ziehen. Vielleicht war er einfach an dem Punkt in seinem Leben angekommen, an dem er erwachsen werden musste.

Er bat den Kellner um einen Kugelschreiber und notierte ein paar Zahlen auf dem weißen Rand der Zeitung. Er besaß zwei Saxophone – ein neuwertiges Yamaha YTS 875 und eine siebzig Jahre alte Ladyface von Conn -, deren Verkauf ihm genug einbrächte, um mindestens vier Monate ohne den Job im Call Center über die Runden zu kommen. Für den Renault bekäme er bei eBay wahrscheinlich nur einen Euro, allerdings würde der Wegfall der laufenden Kosten sein Budget enorm entlasten, zumal er mit dem Studententicket viel billiger U-Bahn fahren konnte. Eine Handvoll der 2000 CDs, die er im Laufe der Jahre angesammelt hatte, würden einen respektablen Preis erzielen, aber den großen Rest würde er billig auf dem Flohmarkt verscherbeln müssen.

Offenbar hatte Silya heute nicht vor, in der Kantine zu essen. David wartete und hoffte bis zur letzen Minute, aber dann musste er los, um nicht schon wieder zu spät zu kommen. Im Aufzug schaute er in der verspiegelten Rückwand sein Gesicht an, zunächst ernsthaft, dann grinsend, und als er in der siebten Etage ausstieg, war der Entschluss gefasst. Um das Examen im nächsten halben Jahr über die Bühne zu kriegen, musste er mit zwei, drei Professoren sprechen, war aber zuversichtlich, dass sie seinem Vorhaben wohlwollend begegnen würden. Wahrscheinlich waren sie froh, ihn endlich loszuwerden. Wenn er all seine Sachen verkaufte, war diese Zeit auch ohne festes Einkommen zu überbrücken. Der Job bei Marco war zwar unregelmäßig, brachte aber gutes Geld, und außerdem konnte er im Notfall privaten Musikunterricht geben.

Im Call Center ging sein erster Blick zu dem Büro aus Glas. Silya telefonierte, die Tür war geschlossen, und wie immer, wenn sie sich stark zu konzentrieren schien, war auf ihrer Stirn ein kleines Fältchen zu sehen. Ihre Mimik war David inzwischen dermaßen vertraut, dass er meinte, ihr Gesicht aus dem Gedächtnis zeichnen zu können. Als er es später an seinem PC-Platz versuchte, kommentierte Franzi das Ergebnis mit der Behauptung, das Bild sei von einem Schimpansen gemalt worden.

»Nein, wirklich«, beharrte sie, »ich kann nicht erkennen, wer das sein soll. Vielleicht die Frau, die dem Schimpansen die Bananen bringt«

Ein eingehender Anruf hinderte David an einer Antwort. Der Werbespot für eine Illustrierte ließ sämtliche Agents nach ihren Headsets greifen. Kaum war ein Anruf erledigt, ging es sofort mit dem nächsten weiter, attacca subito, und David verkaufte innerhalb kürzester Zeit vier Abonnements. Er hielt entsprechend viele Finger hoch, als es plötzlich wieder ruhig wurde. Franzi reckte ihm triumphierend eine Faust entgegen, was bedeutete, dass sie fünf Verträge abgeschlossen hatte.

»Streber«, sagte David. Dann erzählte er von der vergangenen Nacht.

»So ein Aufwand für nix«, meinte Franzi kopfschüttelnd zwischen zwei Calls. »Warum hast du nicht einfach vor ihrer Tür gewartet? Warum gehst du nicht jetzt zu ihr ins Büro? Jetzt sofort!«

»Erstens weil ich Silya nicht zu Tode erschrecken wollte. Und zweitens weil ich eine Mordsangst habe.«

»Wovor?«

»Alle Illusionen zu verlieren. Außerdem ist ihr Büro nicht gerade ein privater Raum. Wenn ich da jetzt reingehe, schauen zwanzig Leute zu.«

»Und wenn schon. Sie wird dir nicht gleich um den Hals fallen.«

»Das weiß ich auch. Aber ich warte trotzdem lieber auf eine Gelegenheit heute Abend.«

»Da werden mehr als tausend Leute sein. Das ist dann natürlich sehr privat.«

Ein Werbespot für eine Autoversicherung unterbrach den Gedankenaustausch. Während David im 30-Sekunden-Takt Anfragen nach Informationsbroschüren abarbeitete, erwischte Franzi einen Kunden, der eine Beschwerde über die Abwicklung eines Versicherungsfalles vorbrachte. Sie erklärte dreimal seelenruhig, er müsse in diesem Fall die Reklamationsabteilung kontaktieren, aber weil er das partout nicht einsehen wollte, legte sie schließlich ziemlich entnervt den virtuellen Hörer auf.

»Weißt du, David«, sagte sie anschließend, »ich kann dein Geschwafel kaum mehr ernst nehmen. Du wirst ihr auch heute Abend nichts sagen.«

»Doch, sicher werde ich das.«

»Wenn du das wirklich wolltest, wärst du nicht vor ihrem Haus eingeschlafen. So etwas Blödes habe ich ja noch nie gehört.«

»Das war einfach Pech.«

»Warum sollte dann ausgerechnet heute Abend das Glück auf deiner Seite sein?« fragte Franzi provozierend. »Kommt Bob nicht auch?«

»Was soll das denn jetzt?«

»Die Frey ist doch genau sein Typ.«

»Blödsinn! Silya ist überhaupt nicht der Typ, auf den er abfährt.«

»Hundertprozentig ist sie das. Sie ist eine Frau ... und er ... Ach, egal.«

David wusste, was Franzi meinte. Bob war ziemlich wahllos, was Frauen betraf, solange sie kein Interesse an einer ernsthaften Beziehung hatten. Es gab nur wenige, die nicht auf seine charmante Art reinfielen. Auch Franzi war in ihn verliebt, aber klug genug, sich nicht auf ihn einzulassen. Wie David kannte sie Bob bereits seit einer halben Ewigkeit.

»Trotzdem ... Bob würde mir das niemals antun. Er weiß, wie wichtig mir die Sache mit Silya ist.«

Franzi verdrehte ihre Augen und streckte die Arme hilflos in die Luft. »Du kapierst es einfach nicht, David. Es ist nämlich völlig egal, ob Bob Interesse an ihr hat oder nicht. Glaubst du vielleicht, Rutter nimmt Rücksicht auf deine Illusionen und wartet ab, bis du in der Realität angekommen bist? Der hat den Champagner längst im Kühlschrank und die Kondome unterm Kopfkissen.«

David starrte sie an. »Gestern hast du gesagt, das sind nur Gerüchte.«

»Ach, David, mach die Augen auf. Hier gibt es hundert Typen wie dich, die die Frey mit ihren Blicken ausziehen.«

Der nächste Werbespot ersparte David eine Antwort. Im Grunde gab es dazu auch nicht mehr viel zu sagen. Er wusste ja, dass Franzi recht hatte.

Sallys Song

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