Читать книгу Das Spiel des Greifen - Frank Siller - Страница 12

Der Narr

Оглавление

Yunis hing in einer Ecke des Raucherhofs alleine herum, Sergio und Andi hatten Sport und waren am Sportplatz drüben in Fischbach. Er hielt sich an seiner Kippe fest und versuchte möglichst unauffällig an der Wand zu lehnen und dabei gleichzeitig cool auszusehen. Er daddelte am Handy herum, was ohne Datentarif und somit Internet, gar nicht mal so witzig war.

Er war gottfroh, dass seine Mutter gestern Abend schon, und auch heute Morgen immer noch, auf dem Sofa pennte. Wahrscheinlich hatte sie ein wenig zu tief in das Wein-Tetrapack geschaut. So entging er der lästigen Diskussion und hatte in der Früh seine Ruhe in der Küche. Einfach unbezahlbar. Der Kühlschrank wurde durch diese Tatsache trotzdem nicht voller, deshalb hatte er sich pragmatischerweise einfach ein paar trockene Toasts in die Tasche gesteckt und war bester Laune losgezogen. Das Veilchen tat kaum noch weh und strahlte schon nicht mehr in ganz so bunten Farben. Er hatte endlich Kontakt zu Eva und vielleicht konnte er sogar mit diesen Vereinsspinnern noch ein paar tausend Euro machen. Google hatte ihm verraten, dass sich Schadensersatzklagen mindestens in dieser Größenordnung abspielten. Heute konnte ihn nichts aufhalten. Trotzdem hatte Yunis sicherheitshalber eine andere Route zur Schule genommen, die den Basketballplatz großzügig umging. Man musste sein Glück ja nicht provozieren.

»Schaut euch das mal an, ich flipp aus, der Typ frisst trockenes Weißbrot.«

Die laute und obszöne Stimme gehörte zu Christian Bismarck. Seines Zeichens reicher Sohn, Schönling und im Nebenfach Schulschläger. Der Name ließ Großes vermuten, tatsächlich aber bestand keine nachweisbare Verwandtschaft zum berühmten Reichskanzler, auch wenn Christian Gegenteiliges behauptete. Er war ein Versager in der Schule wie er im Buche stand, aber sein Vater war mit einem kleinen Import-Export-Geschäft zu einigem Reichtum gekommen, weswegen Noten eigentlich gar keine Rolle spielten. Christians Lebensweg im Laden seines Vaters war schon vorgezeichnet. Yunis hasste ihn aus vollstem Herzen.

Für Christian war es gut, so hatte er genügend Zeit sich seinem liebsten Hobby zu widmen, was hauptsächlich darin bestand, Schwächere zu quälen und im Idealfall noch ihr Pausengeld an sich zu nehmen. Nicht, dass er es nötig hatte aber ein bisschen Kleingeld konnte man schließlich immer gebrauchen. Und dieser dürre Assi, der da allein in der Ecke stand, war ihm schon die ganze Zeit ein Dorn im Auge. Was wagte er es auch einfach so rumzustehen, mit seinem nervös umherhuschenden Blick und wie ein Wiesel an seinen Brotscheiben fressend, nur damit er Christian durch seinen jämmerlichen Anblick den Tag verhageln konnte.

»Tatsache Mann, Scheiße ist der arm.« Christian und zwei andere Jungs und ein Mädchen hatten sich um Yunis geschart, bevor er überhaupt wusste, was passiert war.

»Weißt du wie arm seine Mutter ist, Arian?«

»Ne, sag.«

»Die ist so arm, dass die Enten sie mit Weißbrot füttern.«

Die Gruppe brach in schallendes Gelächter aus. Yunis schoss die Röte ins Gesicht. Sein Hals wurde so trocken, dass ihm das Brot beinahe in der Kehle stecken blieb. Er musste husten.

Christian äffte ihn nach »hrrr hrrr. Ist das die Assi Sprache, oder was? Sprich - Deutsch - mit - uns.«

»Ey Christian, weißt du wie arm seine Mutter wirklich ist?«, presste der schlacksige Junge, den Christian Arian genannt hatte, während eines Lachanfalls hervor. »Die ist so arm, als sie vom letzten Abendmahl hörte, hatte sie Angst, sie hätte es verpasst.« Christian lachte so heftig, dass Yunis glaubte, der Junge würde jeden Moment platzen. Ihm schossen die Tränen übers pausbackige Gesicht und er musste sich an Erik festhalten. Yunis würde am liebsten im Boden versinken. Sich einfach auflösen und nie wieder erscheinen. Seine verdammte arme Mutter, das war alles ihre Schuld. Die alte Scham und Wut kochten wieder hoch. Er sagte nichts und biss nochmal von dem Brot ab.

»Der frisst das ja echt weiter. Schmeckt geil, oder was?« Christian schlug ihm die restliche Scheibe Toast aus der Hand.

»He Mann, lass die Scheiße«, begehrte Yunis mit einem krächzen im Hals auf.

»Sonst was?« Christian der gut einen halben Kopf größer als Yunis war und gut fünfzehn Kilo mehr auf die Waage brachte, schubste den kleineren Jungen gegen die Wand. Dieser schlug abwehrend nach Christians Arm.

»Ey, der schlägt voll um sich.« Arian und der dritte der Gruppe drängten auf Yunis ein.

»Ich wehr mich nur«, versuchte er noch irgendwie rational zu argumentieren.

»Du hast Christian zuerst geschlagen, ich hab’s gesehen.«

»Assi«, stimmte das Mädchen mit ein und spuckte auf Yunis T-Shirt.

»He, was soll das hier, lasst ihn in Ruhe.« Eva war wie aus dem Nichts auf dem Hof und neben ihm erschienen. Yunis stöhnte innerlich auf. Warum musste sie genau jetzt auftauchen, ausgerechnet in dieser erniedrigenden Situation? Er war verflucht, dessen war er sich sicher.

»Oh he, hallo Eva.« Christian strich sich die Haare aus dem schwitzenden Gesicht. »Alles klar bei dir?«

Sie ignorierte ihn.

»Was war das hier?«, richtete sie erneut die Frage an Yunis und funkelte böse in die Runde.

Christian sah Yunis drohend hinter Evas Rücken an. Er schluckte. »Nichts, nur unterhalten.«

»Aha, und was machst du eigentlich hier, Arian?«, sie sah den Jungen mit dem dunklen Teint und den langen schwarzen Haaren finster an. »Hängst du wieder mit diesem Gehirnamputierten hier rum?« Gemeint war offensichtlich vor allem Bismarck.

»Ähm nichts Eva, war alles nur Spaß.«

»Kommt, hauen wir ab.« Christian packte seinen Rucksack und zog von dannen. Die anderen folgten ihm, wobei Arian nochmal einen Blick über die Schulter warf. Nach ein paar Metern hörte Yunis sie nochmal leise »Abendmahl, ich dreh durch Arian, du bist ein Genie«, flüstern und die Röte kam in sein Gesicht zurück. Eva tat so, als hätte sie nichts gehört.

»Wirklich alles klar bei dir?«

»Ja wirklich, so ist das eben.«

»Nein, so ist das nicht eben. Das macht mich so wütend. Und kein Lehrer weit und breit.« Sie sah sich um, der Raucherhof hatte sich geleert. Es hatte wohl geklingelt, ohne dass Yunis es gehört hatte.

»Na ja, ich muss dann auch wieder rein.«

»Okay…«

Yunis nahm all seinen Mut zusammen, den er in dieser Situation, mit angeknackstem Selbstbewusstsein, aufbringen konnte.

»Machst du heut Abend schon was? Wir können ja wegen dem Cover nochmal sprechen und so.«

Eva zögerte.

»Ja, voll gute Idee, das müssen wir unbedingt machen, aber heute geht leider nicht, ich treffe mich schon mit Barbara wegen Klarinettenunterricht. Wir haben in zwei Wochen ein Konzert.«

»Ah ja, das ist so ein Instrument oder.«

»Ähm, ja genau ein Instrument, sowas wie ne Flöte. Aber wir können ja morgen mal schauen.«

»Cool, klingt gut.«

»Also bis denn.«

Und damit war sie verschwunden. Yes. Na ja, zwar nicht heute, aber immerhin morgen. Sein Gefühlsleben schwankte irgendwo zwischen bitterster Erniedrigung und Hochgefühl, so richtig schön bittersüß.

Das Spiel des Greifen

Подняться наверх