Читать книгу Das Spiel des Greifen - Frank Siller - Страница 8
Der schwarze Turm
ОглавлениеHermann Perek saß in seinem ausladenden Büro hinter dem massiven Eichen-Schreibtisch und betrachtete versonnen das Bild an der Wand gegenüber, das ihn selbst in jungen Jahren mit seinem Vater auf einem Boot zeigte. Der alte Herr war schon vor zehn Jahren an einem Schlaganfall gestorben. Er konnte sich noch erinnern als wäre es gestern gewesen, als das Bild aufgenommen wurde. Sein Vater hatte darauf bestanden, dass er seinem Vorbild folgend in den Yachtclub beitrat als er 15 wurde. Denn nur hier lernte man die richtigen Leute kennen. Golf spielte mittlerweile jeder Plebejer, wie er gerne den normalen Bürger zu nennen pflegte. Und von seinen verlausten Freunden konnte er da auch nicht behelligt werden. Damit meinte er seine Schulkameraden vom Gymnasium, die in die freie Gesellschaft der 60er Jahre hineinwuchsen. Laissez-faire und Hippies waren für seinen Vater Erfindungen von Stalin persönlich, um die westliche Welt ins Chaos zu stürzen. Nur Disziplin und nochmal Disziplin konnten aus einem dahintreibenden Jungen einen gefestigten Mann machen.
Als rebellischer Junge der 60er Jahre hatte sich Perek Junior fest vorgenommen nie so zu werden wie sein Vater und alles ganz anders zu machen. Er wollte nie eine Elite-Universität besuchen, politische Karriere machen, ein fettes Schwein werden oder seine Kinder oder seine Frau schlagen, wenn diese ihren eigenen Kopf entwickelten. Leider hatte sein jugendlicher Enthusiasmus der autoritären Hand seines Vaters nichts entgegenzusetzen. Die Hand, die ihren Willen auch gerne mit physischem Nachdruck durchsetzte. Er war schließlich auf die Uni gegangen und hatte Politik und nicht soziale Arbeit studiert, so wie es sein Vater wollte. Er wurde relativ erfolgreicher Lokalpolitiker und schließlich im Laufe der Jahre fett und träge. Der Stadtrat war der bisherige Höhepunkt seiner Karriere, wenn er es nicht schaffte, noch Oberbürgermeister einer Großstadt zu werden. Sein Vater, immerhin im Bayrischen Landtag, sah immer auf ihn herab. Auch wenn er mit den meisten seiner Vorsätze gescheitert war, das Bild war für ihn immer noch ein Mahnmal nicht noch weiter so zu werden. Seine Mutter hatte den Tyrannen erst kurz vor seinem Tod verlassen, sie hatte ihr ganzes Leben gebraucht den Absprung zu schaffen. Aber immerhin noch selbstbestimmt und nicht durch den einfachen Ausweg »Tod« abgenommen.
Nur eines, was er sich vorgenommen hatte, konnte er auch tatsächlich in die Tat umsetzen. Er hatte niemals Kinder in die Welt gesetzt und hatte auch nie geheiratet. Sein Lebenspartner war damit einverstanden und da seine Homosexualität auch öffentlich bekannt war, stellte niemand dieses »wilde« Zusammenleben in Frage. Das 21te Jahrhundert hatte auch einiges Gutes an sich. Sein Vater hatte nie davon erfahren, hatte sich auch nie wirklich für die Beziehungen seines Sohnes interessiert. Insgeheim hatte er wohl immer gewusst, dass sein einziger Sohn eine Schwuchtel war, hatte es aber nie wahrhaben wollen. Er starb einsam und von der Familie verlassen in seinem großen Haus am Erlanger Burgberg. In einer Villa weit zurückgesetzt im Wald, fernab von jeder menschlichen Seele. Perek wollte das Haus nie wieder betreten und es verkaufen, und trotzdem saß er jetzt da, im alten Arbeitszimmer seines Vaters und starrte das alte Bild an. Der Mensch konnte wohl nicht anders, als den ausgetretenen Pfaden zu folgen, selbst wenn er diese verabscheute.
Was hätte sein Vater wohl gesagt, wenn er sich mit 16 oder 17 geoutet hätte? Wahrscheinlich hätte er ihn zur Fremdenlegion geschickt, nachdem er versucht hätte, ihm die Homosexualität aus dem Leib zu prügeln. Ein bisschen Krieg formte seiner Meinung nach den Charakter.
Es klingelte unten an der Tür. Der Besuch war wohl schon da. Er sah auf die große Standuhr im Eck – etwas zu früh. Er hörte wie Klaus unten die Tür aufmachte und jemanden hereinbat. Perek ging seinem Freund, das klang so schön jugendlich, und seinem Gast entgegen.
»Guten Abend Herr Sarin, ich hoffe, Sie haben gut hergefunden. Ich weiß, es ist etwas schwierig.«
»Schicke Gegend, wirklich, muss ich neidlos zugeben. Politiker müsste man sein, richtig?«
Der hochgewachsene und breite Mann sah sich anerkennend im getäfelten Eingangsbereich der Villa um. »Danke, zugegebenermaßen ist das Haus geerbt.«
»Ach ja, das Erbe, einmal reich, immer reich.« Der große Mann lachte über seine eigene Erkenntnis. Das blaue Hemd spannte um den mächtigen Brustkorb. Klaus sah Perek mit hochgezogener Augenbraue an.
»Womit hat ihr Vater sein Geld verdient, wenn ich fragen darf, Herr Perek?« Dieser zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Er war Politiker.«
»Ha.« Herr Sarin klatschte in die Hände. »Hatte ich ja doch recht.«
»Das Vermögen kam aber zu einem großen Teil von meiner Mutter, sie hat eine Textilfabrik in Nürnberg geerbt.«
»Und da schließt sich der Kreis.« Herr Sarin kreiste mit dem Zeigefinger in der Luft, wie um seine Worte zu untermalen.
»Niemand kommt raus, niemand kommt rein.«
Klaus räusperte sich. »Möchtet ihr beiden etwas zu trinken haben, dann könnt ihr euch in Ruhe unterhalten.«
»Danke dir, kannst du mir einen Campari machen, das wäre sehr nett.«
»Ja, das nehme ich auch, danke sehr, sehr freundlich.«
»Ich bring es dann nach oben.«
Hauptsächlich war Klaus froh diesen groben Kerl loszuwerden, der offensichtlich ein Problem mit Hermanns und seinem Lebensstil hatte. Hermann hatte ihn vorgewarnt, dass der Besuch heute nicht so ganz den Kreisen entsprach, mit denen sie ansonsten verkehrten. Es war aber sehr wichtig. Klaus hatte keine Fragen gestellt. Vorerst nicht. Dafür hatte er diesen Herrn Sarin ganz einfach gegoogelt. Und was er dort gelesen hatte, gefiel ihm gar nicht. Ganz und gar nicht. Yasha Sarin war mutmaßlicher Anführer eines libanesischen Clans im Nürnberger Süden. Ihm wurden Verbindungen zu Prostitution und Waffenhandel nachgesagt. Aber nichts davon bewiesen, im Knast war er selbst jedenfalls noch nie. Über 100 Mitglieder der Familie lebten angeblich in der Südstadt und arbeiteten am Familiengeschäft mit. Hermann traf sich öfters mit – gelinde gesagt – zwielichtigen Mitgliedern der Nürnberger Gesellschaft, aber dieser Sarin toppte alles bisher Dagewesene. Mit einem unguten Gefühl ging er ins Wohnzimmer, um die Drinks zu holen, während die beiden oben im Arbeitszimmer verschwanden.
»Ich muss sagen, ich respektiere Ihre Lebensweise und Ihren Mut, Herr Perek.« Yasha ließ sich in den Stuhl vor dem Schreibtisch sinken und weitete, mit den Daumen im Hosenbund, seine zu enge, beige Stoffhose. Er trug offensichtlich nicht oft solche Klamotten. Mit dem Kopf deutete er in Richtung Tür und meinte wohl Klaus.
»Wissen Sie, da wo ich herkomme, wären Sie im Knast oder vielleicht sogar tot.« Perek nahm ihm gegenüber Platz. »Glauben Sie mir, Herr Sarin, da wo ich herkomme, wäre ich das auch gewesen.«
Yasha nickte und strich sich über den dichten, perfekt in Form geschnittenen, Bart.
Es klopfte kurz und Klaus kam mit den Getränken herein. »Danke dir.«
»Danke.« Yasha nahm seinen Drink entgegen und nickte Klaus zu.
»Dann lass ich euch mal alleine. Schon mal gute Nacht, Herr Sarin.«
»Das wünsche ich Ihnen auch. Danke sehr.«
Durch die Tür konnte Klaus noch die tiefe und laute Stimme von Sarin vernehmen. Eine Stimme, die es gewohnt war Befehle zu erteilen. Er hoffte nur, Hermann handelte sich keinen Ärger ein.
»Herr Perek«, kam Yasha zur Sache, »warum bin ich hier in Ihrem schönen Haus und trinke Ihren Campari? Ich dachte, wir hätten alles soweit geklärt und wären uns einig.«
»Und diese Annahme ist auch völlig korrekt.« Perek nahm den Kopf in den Nacken und kippte den halben Campari hinunter. Yasha starrte auf das gewaltige Doppelkinn, des gewaltigen Mannes. Wie konnte jemand so adrettes wie dieser Klaus nur auf den da stehen? Es musste die Macht sein, ja das war’s. Macht zog sie alle an, nicht nur Weiber und Schwuchteln, er selbst saß ja auch brav hier, wie ein Schoßhündchen, das man herumkommandieren konnte, adrett angezogen in seinem Kostümchen. Es war wie die Gravitation, groß zog klein unwiderstehlich an.
»Es hat sich kürzlich etwas ergeben, das, sagen wir, etwas Dynamik in die ganze Sache bringen könnte.« Sein Gast hatte die Hände gefaltet und hörte still zu.
»Mir wurden Bilder zugespielt. Kompromittierende Bilder von unserem Freund Johannes Greif. Er ist darauf mit Frauen abgebildet, die nicht ganz seiner Altersklasse entsprechen.«
»Ich denke, es handelt sich dabei nicht um eine Art Großmutter-Fetisch«, mutmaßte Yasha.
»Nein ganz im Gegenteil, um genau zu sein.«
»Verstehe.«
»Wie gesagt, dies hat keinerlei Einfluss auf unsere bisherigen Vereinbarungen, aber nehmen wir an, dieser Verdacht würde sich durch entsprechende Beweise erhärten, würde dies den Ausgang der Wahl ganz entscheidend beeinflussen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie zu meinen Gunsten ausgeht. Zudem würde der Gerechtigkeit genüge getan und ein gemeiner Kinderschänder hinter Gitter landen, wo er hingehört.«
»Das ist gut für Sie, herzlichen Glückwunsch.« Yasha prostete Perek über den Schreibtisch hinweg zu.
»Gut für uns«, korrigierte Perek.
»Ich verstehe sehr gut, was das für Sie bedeuten könnte, was ich allerdings noch nicht ganz verstehe, ist, was das alles mit mir zu tun hat.« Er schaute sich links und rechts um, als könne ihm jemand die Antwort liefern.
»Sehen Sie es mal so, je wahrscheinlicher es wird, dass Johannes Greif mit einem großen politischen Knall von der Bildfläche verschwindet, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass ich in die Position komme, etwas für Sie tun zu können.«
»Versuchen Sie hier nachzuverhandeln?« Yasha, war äußerlich ganz ruhig, er hatte gelernt, dass alleine seine physische Erscheinung oft schon reichte, um zu bekommen was er wollte. Allerdings hatte er es dafür selten mit Politikern zu tun, vielleicht musste man das Spiel hier anders spielen.
»Keineswegs, ich stehe zu meinem Wort. Aber ich hoffe es ist ersichtlich, dass ich als Bürgermeister ohne direkten Konkurrenten mehr tun kann als im Amt des Stadtrates.«
Yasha brummte zustimmend.
Er war es so gar nicht gewohnt, dass nicht nach seinen eigenen Regeln gespielt wurde. Zudem bekam er immer mehr den Eindruck, dass er nicht mal ein Spieler war, sondern eher der Ball, auf den alle eintraten. Ja nicht mal der Ball, niemand interessierte sich eigentlich für ihn. Er war die Eckfahne. Verdammt zum passiven Warten auf Befehle. Er schluckte den ekligen Campari und dachte an Sarah und Arian.
»Was genau haben Sie sich vorgestellt?«
»Nun, diese Bilder reichen eventuell nicht als Beweis. Wenn sich allerdings zusätzliche Indizien finden würden, ich weiß nicht, vielleicht so etwas wie Bilder auf einem Handy oder einer Festplatte, Foreneinträge, so etwas in der Art. Sie kennen sich mit so etwas sicher besser aus.«
»Was soll das bitte heißen?«
Perek stockte einen halben Moment. War das eine Schweißperle auf der breiten Stirn?
»Nichts, ich bitte um Verzeihung. Aber Sie haben verstanden, Herr Sarin? Wir müssen Greif vernichten.«
»Wo sind diese Bilder, die sie erwähnten, Herr Perek?«
»Wie bereits gesagt, ich habe Vorkehrungen getroffen. Die Bilder, die Originale, sind bei einer kleinen Detektei namens Locke & Costello. Zwei planlose Amateure, die Polizei spielen wollen. Die sollen nachforschen, ob es noch mehr Beweise gegen Greif gibt. Vielleicht finden sie ja etwas. Sollte dem so sein, werden die zur Polizei rennen und Anzeige gegen Greif erstatten.«
»Können die Probleme machen? Vielleicht etwas mehr nachforschen, als gut für sie ist?«
Yasha war ein Mann, der wusste, wie man Probleme endgültig loswerden konnte.
Perek wiegte den Kopf hin und her.
»Unwahrscheinlich, die haben Angst, dass sie ihre kleine Bude verlieren könnten. Costello ist arm wie eine Kirchenmaus. Mindestens die ist völlig abhängig von ihrem Geschäft. Die werden gar nichts tun.«
»Na schön. Aber eine Frage hätte ich dann doch noch, wenn Sie gestatten. Was haben Sie gegen diesen Greif?«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, Sie riskieren mit dieser Sache unsere gesamte Abmachung. Wenn das auffliegt, sind Sie erledigt und ich genauso. Und ich werde das komische Gefühl nicht los, dass es hier um etwas Persönliches geht und Sie unsere kleine Abmachung missbrauchen, um Greif eins auszuwischen. Ist es das wert?« Er war aufgestanden und stand bedrohlich über Perek.
»Ich kann Ihnen versichern, es geht ausschließlich um die Wahl.« Yasha sah ihn einen Moment prüfend von oben herab an. »Dann ist ja gut. Ich hoffe für Sie, dass das nicht nach hinten los geht. Gut, Herr Perek, ich habe genug von Ihrer Zeit beansprucht. Ich empfehle mich.«
»Es war mir wie immer eine Freude, Herr Sarin.«
Der große Mann verließ ohne Händeschütteln das Büro.
Nachdem Yasha gegangen war, ließ sich Perek schwer seufzend in seinen Sessel fallen, der gefährlich ächzend um Gnade winselte.
Er sah sich erneut das Bild von sich und seinem Vater an, das mahnend zurückblickte. Was wollte er eigentlich wirklich? Oder besser, wem wollte er etwas beweisen?
Tja, die alten Pfade.