Читать книгу Das Spiel des Greifen - Frank Siller - Страница 9
Der weiße Spieler
ОглавлениеBeim Anruf auf Andis Handy waren die drei Freunde in eine Schockstarre gefallen. Gebannt hatten sie auf das leuchtende Display gestarrt, während das Telefon rhythmisch vor sich hin summte. Eine gefühlte Ewigkeit lang, dann endlich hatte Georgie aufgegeben. Er hatte auch nicht noch einmal angerufen. Vielleicht wollte er ja tatsächlich nur was mit Andi unternehmen. Die drei hatten sich wieder beruhigt und waren noch eine Weile im Park rumgehangen. Zwischendurch hatten Sie sich – unter Protest von Sergio – einen Döner von der »Cantine« geholt. Der war eh besser und keiner hatte Lust bis zur alten Kaserne zu latschen. Zwei gegen einen. Danach hatten sie sich allmählich auf den Weg gemacht. Andi und Sergio wollten noch ins Fitti unten bei Yunis ums Eck. Yunis schlug die entgegengesetzte Richtung ein, er musste drei Blocks nach Norden der Pillenreutherstraße folgen und am Maffeiplatz scharf nach links abbiegen. Dann eigentlich nur noch geradeaus, bis im Osten die rote Ziegelmauer mit dem Stacheldraht obenauf und den großen Industriehallen direkt dahinter auftauchte. Fast ein Katzensprung. Er war etwas nervös, so recht wusste er noch gar nicht, was er dort erzählen sollte oder was dort überhaupt von ihm erwartet wurde. Oder wie viele Leute da überhaupt waren. Eigentlich wusste er gar nichts.
Er passierte den Maffeiplatz, im Endeffekt nur eine große, laute Kreuzung, mit dem kleinen Annapark dahinter. Der Park war bekannt dafür, dass hier ein Großteil des Drogenhandels der Südstadt abgewickelt wurde. Zumindest für den Endverbraucher. Wenn man was brauchte, kam man hierher. Die Dealer warteten dort auf Kundschaft wie die Gemüsehändler auf dem Marktplatz. Yunis lief ein Schauer über den Rücken, er und die Anderen kamen nur her, wenn es sonst gerade wirklich nichts aufzutreiben gab und es wirklich dringend war. Auf den Bänken hingen die Heroin- und Meth-Leichen mit zerstochenen Armen herum. Ihre Augen, mehr tot als lebendig folgten den Kids auf ihrem Weg durch die dunklen Windungen des Parks. Dazwischen standen die Dealer, meist Schränke von Männern. Meistens mit Messer am Gürtel, oft mit Pistole unter dem Mantel. Immer gefährlich. Das Schlimmste waren die Nutten, männliche und weibliche und alles dazwischen. Von jungen Dingern, die, wer weiß wie jung sie wirklich waren, bis hin zu den zahnlosen Alten. Für fünf Euro oder ein bisschen Stoff machten die alles. Wirklich alles. Yunis wurde noch nie so oft angeboten, einen Menschen zu würgen, während er sich an ihm verging. Er bekam eine Gänsehaut und beschleunigte seine Schritte die Straße entlang, um den Park so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Das Industriegelände kam schon in Sicht. »Manila« war der Name eines arabischen Restaurants, das er noch nie besucht hatte. Er hatte allgemein schon lange kein Restaurant mehr besucht, nicht, seit sein Vater gestorben war. Das Manila lag auf seiner Straßenseite, das heißt das Vereinshaus musste direkt an der Ziegelmauer stehen. Eine Adresse wäre schon irgendwie hilfreich gewesen. Oder eine Handynummer. Verdammt, ihm fiel erst jetzt ein, dass es die perfekte und zudem auch völlig unverfängliche Gelegenheit gewesen wäre nach Evas Nummer zu fragen. Idiot. Die letzten Schritte bis zur Kreuzung am Manila ging er nochmal seine rudimentäre Geschichte durch. Wird schon reichen, wenn nicht, musste er eben improvisieren. Andi und Sergio hatten ihm geraten unbedingt zu betonen, wie sehr er sich als Opfer der öffentlichen Verwaltung und der verantwortlichen Institutionen fühlt und wie machtlos er sich dabei vorkam. Das würde safe in Evas Höschen führen. Öffentliche Verwaltung und verantwortliche Institutionen, öffentliche Verwaltung und verantwortliche Institutionen, alles klar. Gegenüber dem Manila war direkt im rechtwinkligen Eck der Mauer ein grau-brauner flacher Bau eingelassen, der vermutlich früher sowas wie eine Lagerhalle war. An der Tür hing ein Schild, »Veranstaltungsräume zu vermieten. 0911-1112993.« Darunter waren mit einem Tacker die aktuellen Veranstaltungen angehängt worden. Scheiße, welcher Tag war denn heute? Ein Blick aufs Handy verriet Yunis, dass schon der 20. Juli war, nicht mehr lang bis zu den Ferien. Bei genauem Hinschauen merkte er, dass er das aktuelle Datum gar nicht gebraucht hätte. Der Aufräumen e.V. hatte das Gebäude wohl exklusiv gemietet, zumindest stand er die nächsten Monate als Einziger in der Liste. Yunis betrat mit klopfendem Herzen und grummelndem Bauch das Gebäude.
Er hatte kaum einen flüchtigen Blick in Raum 112, ein großes, umfunktioniertes Klassenzimmer mit klassischer Kreidetafel und Schulbänken geworfen, da hatte er sofort gewusst, wer von den Anwesenden dieser Johannes Greif war. Es befanden sich vielleicht sechzig Leute in dem rechteckigen Zimmer, die meisten davon innerhalb eines Halbkreises, den die Bänke um die Mitte des Raumes herum bildeten. Eine unübersichtliche, graue Masse aus Gesichtern und Körpern. Jung und Alt, männlich und weiblich, laute Stimmen und sachte Bewegungen, alles ging in einem Meer aus Fremdem konturlos unter. Nur zwei Lichtquellen erstrahlten aus der Düsternis hervor und spendeten um sich herum die Wärme und Helligkeit, an der sich der Rest labte und hinzudrängen versuchte. Die eine konnte nur Yunis sehen: Eva. Die roten Haare leuchteten aus der dunklen Masse aus schwarz, braun und blond wie ein Leuchtfeuer der Sehnsucht hervor. Ihre Augen strahlten den Mann neben ihr an, so wie die Augen aller anderen Umstehenden auch. Das Mädchen hing gebannt an seinen Lippen.
Johannes Greif war die zweite, die echte Lichtquelle, auf die sich alles und jeder im Raum auszurichten schien. Er stand in der Mitte, umringt von seinen Jüngern und sprach zu ihnen mit freundlichem und offenem Gesichtsausdruck. Er war groß, größer als alle anderen was durch seine weiße Mähne, die zugleich wild und gleichzeitig gepflegt wirkte, noch verstärkt wurde. Das Gesicht war glattrasiert, um die Mundwinkel spielten leichte Fältchen, die vom vielen Lachen und verschmitztem Grinsen kamen. Die stahlblauen Augen darüber fixierten hellwach und interessiert die umstehenden Zuhörer, während er redete.
Yunis war sprachlos und verwirrt und er wusste nicht so recht was er empfinden sollte. Gott, dieser Mann war schön, vielleicht der schönste Mann, den er je gesehen hatte. Hatte er überhaupt schon mal einen Mann als schön, im Sinne von attraktiv, empfunden?
Johannes Greif hatte aufgehört zu reden, die Augen waren beim Wandern hängen geblieben. Auf Yunis. Auf ihm. Eva, wie auch alle anderen neben ihm, folgten seinem Blick.
»Hey, ja cool, dass du gekommen bist.« Ihr feuerroter Schopf löste sich aus der Menge und kam auf ihn zu. »Sorry, wir haben uns heute schon früher getroffen, ich hatte leider deine Nummer nicht, darum konnte ich nicht schreiben.« Ihre Wangen leuchteten rot auf.
»Äh, kein Problem.«
Greif war ebenfalls herübergekommen und ließ einen grauen Schleier hinter sich zurück. Yunis stand jetzt plötzlich im Licht.
»Du musst der junge Mann sein, von dem Eva uns heute in der Sitzung erzählt hat.« Seine Stimme war tief und einfühlsam und spendete Yunis sofort so etwas wie Trost. Er betrachtete Yunis intensiv und neugierig und vielleicht auch mit einer Spur von so etwas wie Mitleid.
»Der offizielle Teil ist heute schon vorbei, ich hab‘ erzählt, dass du dich um die Karikaturen für die Zeitung kümmern kannst. Das können wir dann später im Detail nochmal besprechen, wenn du magst.«
Yunis nickte nur, er wusste nicht, ob er sich auf Eva oder Johannes Greif konzentrieren sollte, beide Präsenzen, so dicht bei ihm, überwältigten ihn.
»Dein Auge hat ja wirklich was abbekommen, ich hoffe es tut nicht allzu sehr weh«, sagte Greif, mit einem entwaffnenden Lächeln.
Kopfschütteln. »Nein, es geht schon.«
»Ich bin Johannes Greif, danke, dass du dir die Zeit genommen hast, um vorbeizukommen, das ist nicht selbstverständlich.« Er streckte ihm die, für einen Mann seiner Größe, erstaunlich filigrane Hand entgegen. Yunis ergriff sie sachte, um sie ja nicht zu beschädigen. Das war aber unnötig, merkte er sofort, Greif hatte einen Händedruck, fest wie eine Stahlpresse.
»Ich bin Yunis Essa.«
»Es freut mich außerordentlich, dich kennenzulernen, Yunis.« Greif strahlte ihm entgegen. »Herzlich willkommen hier in unserer kleinen Runde zur Rettung der Welt.« Einige der anderen, die zu der kleinen Gruppe getreten und gierig dem Licht gefolgt waren, stimmten lachend mit ein. »Na ja, ganz so weit ist es noch nicht, wir begnügen uns erstmal mit unserer Südstadt. Hat dir Eva erzählt, was wir hier genau tun?«
»Äh ja, so ungefähr.« Er blickte panisch zu Boden.
»Schon gut.« Greif lachte freundlich. »Wir, das ist der gemeinnützige Verein Aufräumen und natürlich seine Mitglieder, die du hier siehst. Zumindest diejenigen, die nicht sofort gegangen sind als das Bufett alle war.« Er zeigte in die Runde. »Ich selbst bin Gründer und amtierender Präsident. Das hier«, er legte eine Hand auf die Schulter des Mannes neben ihm, »ist Dietmar, unser Vize und ältestes Mitglied neben mir und meiner Frau.« Der Mann, der etwa im selben Alter war wie Greif, nickte Yunis kurz angebunden zu. Er war ein Schrank von einem Mann, mit Armen wie Baumstämme, über die sich dicke Adern zogen. Yunis konnte ums Verrecken nicht das Alter von alten Leuten einschätzen. Die beiden mochten irgendwas zwischen 50 und 70 sein, alt eben.
»Eva kennst du ja schon und den Rest wirst du bestimmt noch kennenlernen, falls du Lust dazu hast.«
»Hallo«, sagte Yunis etwas verunsichert in die Runde.
»Yunis, wir wollen gar nicht so viel von deiner Zeit stehl…«
»Mensch Johannes, jetzt biete dem Jungen doch erstmal was zu trinken an, bevor du ihn direkt belagerst.« Eine Frau, vielleicht Ende vierzig – oder Ende fünfzig? – war neben Johannes getreten und berührte ihn sanft am Arm. Die grauen Haare, die hier und da noch erahnen ließen wie sonnengelb sie einst strahlten, waren zu einem lockeren Zopf zusammengebunden. Sie zwinkerte Yunis zu. Eva sah mit unlesbarer Miene auf die Hand, die dort auf dem Jackett über Johannes Oberarm ruhte.
»Eva, sei doch so gut und hol Yunis eine Cola.« Eva schreckte wie aus einem bösen Traum auf und sah die Frau an.
»Das wäre wirklich lieb, Eva,« fügte Johannes hinzu. Die junge Frau errötete. »Na klar, Johannes.« Sie begab sich in Richtung Buffet, das an der Wand gegenüber der Tafel aufgebaut war.
Johannes gab der Frau neben sich einen Kuss auf die Stirn. »Das hier ist Maria, meine Frau und gleichzeitig Schatzmeisterin von Aufräumen. Frei und geheim gewählt. Ich schwöre hier gibt es keine Vetternwirtschaft wie im Nürnberger Stadtrat.« Die Umstehenden lachten. »Dein Wort in Gottes Ohr«, warf Dietmar ein.
Yunis kapierte den Witz nicht. Wer war sein Vetter? Er verzog den Mund trotzdem zu einem, wie er hoffte, wissenden Grinsen. Eva war inzwischen mit einem Pappbecher voll prickelnder Cola zurückgekehrt. »Hier, bitte schön.«
»Zwar keine Coca-Cola, aber dafür das beste Ersatzprodukt, das der lokale Discounter zu bieten hat. Kostet nur ein Drittel des Originals und acht von zehn Kindern erkennen keinen Unterschied«, zitierte Maria einen fiktiven Testbericht.
»Darum ist Maria auch die Schatzmeisterin.« Johannes führte Yunis zu einer kleinen Sitzgruppe. An der Wand dahinter hingen einige Plakate, die offensichtlich Bilder von vergangenen Veranstaltungen zeigten. »Das war an unserer Klausurtagung letztes Jahr.« Johannes zeigte auf ein großes Gruppenbild. »Da sind wir alle Mann, über 100 Leute, nach Garmisch übers Wochenende gefahren. Das war ein Riesenspaß.«
»Wofür sind die Listen?«, fragte Yunis, dem zwischen Fotos und Plakaten auch einige Namenslisten aufgefallen waren. »Das sind die Mitgliederlisten unserer Arbeitsgruppen. Wir haben ganz viele verschiedene AGs für alles Mögliche, wie Mitglieder-Akquise, Internetauftritt, Sportveranstaltungen und so weiter. Sogar eine AG für Designs und Gestaltungen, die AG Medien haben wir. Da kann sich jeder eintragen, der Lust hat«, sagte Greif mit einem Seitenblick auf Yunis. Der nahm diese Information kommentarlos hin. Sie setzten sich in die Ecke, auch im Sitzen überragte Greif Yunis noch um knapp einen Kopf.
»Yunis weißt du, Unfälle wie deiner müssen nicht passieren.« Er wurde auf einmal ganz ernst, die Lachfältchen verschwanden und wichen einer tiefen Furche auf der vorher glatten Stirn. Er legte die Hände zusammen, wie zum Gebet.
»Um genau zu sein, handelt es sich dabei nicht mal um einen Unfall. Man nennt so etwas fahrlässige Körperverletzung.« Das kannte Yunis, Sergios älterer Bruder war zu einem Jahr auf Bewährung verknackt worden, weil er einem Kunden in der Werkstatt, der nicht zahlen wollte, auf’s Maul gehauen hat. Yunis selbst hatte mal vor zwei Jahren die Anzeige bekommen, als er und Andi einem Jungen aus der Unterstufe seinen Geldbeutel abnehmen wollten. Irgendwie hatte der Kleinere dabei eine blutige Lippe und vielleicht eine Gehirnerschütterung oder sowas bekommen. Andi und Yunis waren damals aber noch keine vierzehn. Darum war eigentlich gar nichts passiert, außer dass so eine dicke Kuh vom Jugendamt bei ihm Zuhause aufgetaucht war und ihn und seine Mutter mit irgendwelchem Müll zugeschwallt hatte. An die Prügel danach konnte er sich noch lebhaft erinnern. Oder war das doch gefährliche Körperverletzung gewesen?
»Aber ich bin doch runtergefallen.«
»Das ist richtig, Yunis.« Greif sprach langsam, damit der Junge mitkam, aber nicht so langsam, dass er sich wie ein Idiot vorkam.
»Es ist die Pflicht und die Verantwortung der Südstadtverwaltung für die Betriebssicherheit aller sportlichen und öffentlichen Einrichtungen zu sorgen. Dazu gehören Spielplätze, Parks oder eben auch diese Sportanlage. Kommt die Verwaltung dieser Pflicht wissentlich nicht nach – und Wissen hatten sie davon, da ich einerseits das Thema im Stadtrat, beim Vorsitzenden der Südstadtverwaltung adressiert habe und wir vom Verein aus bereits zwei öffentliche Brandbriefe...«
»Drei schon.«
»Danke Eva. Schon drei Brandbriefe an ihn verschickt haben. Kommt die Verwaltung dieser Pflicht, wie gesagt, nicht nach und schließt die Einrichtungen entsprechend nicht, handelt sie mindestens grob fahrlässig. Meiner Ansicht nach nimmt sie hier mutwillig und bewusst Verletzte in Kauf. Das hätte wirklich böse enden können, du hättest ein Auge verlieren können ist dir das klar?«
»Ja, es tat richtig weh«, stimmte Yunis zu.
»Und genau darum sind wir hier, Yunis. Damit so etwas nicht mehr passiert. Wir bauen auf, wo wir können, und wir klagen an, wenn es sein muss. Für eine schönere Südstadt. Ich meine, bei den verrotteten Parks fängt es an, bei den Banden und der Kriminalität hört es auf. Die Stadt tut nichts oder noch schlimmer, will nichts tun, sieht einfach nur weg.« Es war still geworden im Raum, alle hörten zu.
»Wir können dir helfen, Yunis. Wir können dich bei der Schmerzensgeldklage und der Anzeige bei der Polizei juristisch unterstützen. Dir den Rücken decken. Daniel dort drüben zum Beispiel, ist Zivilrechtsexperte, mit der Spezialisierung auf Schadensersatzklagen gegen öffentliche Einrichtungen. Erinnerst du dich an den Fall Zissler gegen die Stadt Nürnberg? Als eine Überschwemmung des Pegnitztals das Haus vom alten Zissler weggespült hat, konnte Daniel einen ordentlichen Schadensersatz rausholen, da die Stadt es verpasst hatte die Hochwasseranlagen zu warten. Der gute Mann wäre sonst komplett leer ausgegangen und vor den Trümmern seiner Existenz gestanden. So werden heute Kämpfe ausgefochten, mit Anwälten und Sachverständigen. Man darf sich nichts gefallen lassen, Yunis, egal wie mächtig der Gegner auch zu sein scheint.«
Yunis hatte nur Polizei, Gangs und Anwälte verstanden und seine Alarmglocken schrillten auf. Mit den Bullen wollte er nichts zu tun haben. Ganz allgemein lief das hier alles doch anders ab, als er sich das vorgestellt hatte. Verdammt, er wollte doch nur Eva beeindrucken.
»Mach dir keinen Stress«, sagte Maria, ohne eine Antwort abzuwarten. »Denk drüber nach, wir können hier wirklich was bewegen. Mit einer Klage kann die Stadt gar nicht mehr anders, als die Anlagen zu sanieren und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.«
Das Ganze hatte doch bestimmt einen Haken, wo war er hier bloß reingeraten. Shit. Als hätte Greif seine Gedanken gelesen, was wegen des durchdringenden Blicks, mit dem er ihn bedachte, gar nicht so unwahrscheinlich war, übernahm er den Ball von seiner Frau.
»Das Ganze ist für dich natürlich komplett umsonst. Aber du tust uns und damit auch deinem Viertel einen unbezahlbaren Dienst. Du hilfst die Südstadt ein kleines bisschen mehr lebenswert zu machen. Und dafür können wir dir gar nicht genug danken.« Yunis wusste gar nicht, was er sagen sollte, er fühlte sich etwas in die Ecke gedrängt, wie eine Katze von der man eigentlich gar nichts Böses wollte, die trotzdem verunsichert war. Mit dem Unterschied, dass er keine scharfen Klauen hatte, um sich zu wehren.
»Wie gesagt, denk darüber nach, du bist jederzeit hier willkommen. Ich habe auch gehört, dass du schon involviert bist, da du ja das nächste Cover der Schülerzeitung designst, wo wir uns als Verein vorstellen.« Er zwinkerte Eva zu. Ihr Gesicht hatte die gleiche Farbe wie ihr Haar angenommen.
»Und falls du Lust hast, wir machen auch tolle Aktionen, wo jeder aktiv was tun kann.« Yunis lächelte höflich, noch mehr Arbeit klang wirklich super.
»Zum Beispiel planen wir für nächste Woche ein kleines Straßenfest am Aufseßplatz. Eva und Max hier«, Johannes zeige auf einen Jungen den Yunis bis jetzt gar nicht wahrgenommen hatte, der jetzt aber recht dicht – zu dicht für Yunis Geschmack – an Eva stand, »leiten die AG. Es gibt Musik, es wird gegrillt und mit etwas Glück nehmen wir sogar ein paar Spenden ein und gewinnen ein paar Mitglieder. Wenn du magst, komm doch vorbei.«
»Wir haben schon 10.000 Euro für das Fest gesammelt, es wird riesig«, warf Maria als stolze Schatzmeisterin ein.
»Ja, klar Mann, klingt super.«
Johannes machte eine Pause.
»Kann ich dich was fragen Yunis, es ist ok, wenn du es nicht sagen willst, oder es vielleicht sogar nicht weißt. Warum bist du hergekommen? Ich meine, was hat dich im Innersten angetrieben?«
Na, ich will Eva klarmachen. Ihr Typen seid mir scheißegal. Das wäre die ehrliche Antwort gewesen. Yunis spürte, dass er hier die einmalige Chance hatte sein Ziel zu erreichen oder ihm zumindest näher zu kommen. Vielleicht waren es die ermutigenden Blicke von Johannes und Maria Greif, vielleicht war es nur sein Penis, der ihn die Situation erkennen ließ. Das war die Chance aller Chancen und alles was er tun musste, war eine richtige Antwort in seinem Kopf entstehen zu lassen und diese anschließend überzeugend zu artikulieren, alles eingebettet in die Lüge um seinen Unfall. Er war verloren. Johannes wartete geduldig.
Yunis spürte die Aura, die dieser Mann verströmte. Wie ein unsichtbares Kraftfeld, das ihn umgab und Yunis Haut kribbeln ließ. Wie einer Erleuchtung folgend musste er plötzlich an seine Mutter denken. Und an die Schlägerei heute Morgen. Wut und Scham kochten so schnell in ihm hoch, dass sie ihn zu übermannen drohten. Er holte tief Luft.
»Ich bin wütend. Wütend und traurig. Wissen Sie, ich werde schon mein ganzes Leben lang gemobbt. Jeden Tag. In der Schule, in der Bahn oder auf der Straße, wenn ich einfach nur wo hinlaufe. Mit Blicken oder mit Worten und manchmal auch mit Taten. Kanacke oder Assi, sind noch das Netteste was ich zu hören kriege. Jeden einzelnen Tag. Meine Mutter kriegt keinen Job, wir haben kein Geld, und ich werde vermutlich auch keinen kriegen. So ist das hier.« Er blinzelte eine kleine Träne weg, für die er sich nicht mal allzu sehr anstrengen musste.
Yunis freestylte komplett. Aber peripher nahm er das verständnisvolle Nicken und die teils bestürzten Blicke wahr. Er hatte genau den richtigen Nerv getroffen. Ihm fiel jetzt erst aktiv auf, dass das hier wohl der Verein der weißesten Weißbrote von ganz Deutschland sein musste. Er spürte, dass er fast gewonnen hatte.
»Das Einzige, wobei ich mich immer zuhause fühle, ist beim Sport. Da darf jeder mitmachen und jeder ist willkommen. Und dann, dann passiert sowas.« Er stockte theatralisch. »Nicht mal dort kann man sich sicher fühlen und einfach mal seine Sorgen vergessen. Sie wollen wissen, warum ich hier bin?« Er versuchte Greifs Blick standzuhalten, was gar nicht so einfach war. »Ich möchte einfach nur Gerechtigkeit. Und Teilhabe. Und Eva meinte, dafür bin ich hier goldrichtig.«
Stopp jetzt, nicht übertreiben. Er schluckte schwer und versuchte die unangenehmen Gedanken an seine Mutter wieder ganz tief unten wegzusperren.
Johannes legte ihm seine Hand auf die Schulter und drückte zärtlich zu. »Ich danke dir Yunis, für deine Offenheit.«
»Das ist alles so unfair.« Eva hatte sich die Brille abgenommen und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Jackpot!
Max sah ihn ausdruckslos an.
»Das ist es, Eva. Und ich verspreche, so wahr ich hier stehe, wir werden das gemeinsam ändern. Yunis, wie gesagt wir stehen hier alle hinter dir. Komm vorbei, wann immer du willst. Eva gib ihm doch deine Nummer, damit er einen Kontakt hier hat.« Yunis grinste innerlich.
»Klar.«
Er sah in die schweigende Runde um sich herum.
»Ich würde sagen mit diesen Worten beenden wir die Sitzung für heute. Ich denke wir haben heute alle noch was gelernt. Vor allem, dass wir noch um einiges mehr an Problemen angehen müssen als nur marode Klettergerüste.« Er lachte trocken auf. »Nicht dass uns noch langweilig wird.« Keinem war nach Lachen zumute.
»War echt mutig von dir heute vorbeizukommen. Sorry, dass Greif und die anderen dich so belagert haben. Dachte echt auch nicht, dass sie dich gleich so einspannen.« Eva, Max und Yunis standen an der Kreuzung vor dem Vereinsheim an der Fußgängerampel und warteten auf grün. Der Feierabendverkehr hatte sich allmählich beruhigt und Nürnberg kam langsam zur Ruhe. Nur noch wenige Autos passierten die dreispurige Straße. Mit dem Verkehr war auch die Hitze gegangen und ein angenehm kühler Wind strich durch die niedrigen Häuserblocks. Die Nacht senkte sich über die Stadt herab.
»Kein Problem, habe ich gerne gemacht. Freut mich, wenn ich helfen kann. Ist ja schon ein krasser Typ, dieser Greif.«
»Krass trifft es«, bestätigte Eva. »Er hat so eine Art an sich, er weiß einfach immer genau, was zu tun ist und weiß auch wie er die Leute dazu kriegt, dass alle mitmachen. Ja er ist, weiß auch nicht … einfach einmalig.«
»Wie ist das eigentlich passiert mit deinem Auge, das hast du jetzt gar nicht erzählt.« Max lehnte an einem Laternenmast neben der Straße. Er war das optische Gegenstück zu Yunis, blond, beinahe schon alabasterweiße Haut und Sommersprossen. Nur von der Figur her waren beide recht drahtig.
»Na ja Mann, wie gesagt, da ist so ne Sprosse abgebrochen und ich bin runtergefallen.«
»Aufs Auge?«
»Ja Mann, sag ich doch.«
»Aha. Das hätte ich ja gerne gesehen, muss spektakulär gewesen sein.«
»Max, lass ihn doch in Ruhe, du hast doch gehört, wie es ihm gerade geht mit allem.« Eva stieß ihm unsanft gegen die Schulter.
»Ich mach nur Konversation.«
Die Tür zum Vereinsheim schwang auf und Dietmar, gefolgt von einer muskulösen jungen Frau, trat auf die Straße. Er hob lässig die gewaltige Hand zum Gruß.
»Macht’s gut ihr drei.«
Eva, Yunis und Max winkten zurück. Das ungleiche Duo ging in die entgegengesetzte Richtung davon. »Der Typ ist ja breit«, sprach Yunis seinen Gedanken aus.
Max lachte. »Ja, ich glaube, Dietmar ist der stärkste Mensch der Welt. Ich glaube Greif und er kennen sich schon Ewigkeiten.«
»Die neben ihm war Eileen, die ist auch bei den Kampfsportlern und gibt da Judo oder sowas in der Art.«
»Kampfsport?«, fragte Yunis sichtlich interessiert.
»Hey, bevor du zu denen rennst, müssen wir noch die Designs machen. Bis dahin gehört du mir.« Sie formte eine Hand zu einer Pistole und zielte direkt auf Yunis.
»Okay, okay, ich ergebe mich.« Yunis steckte entwaffnend die Hände empor.
»Cool, ja ich meld mich bei dir, dann können wir uns zusammensetzen. Und bevor ich’s vergesse, hier ist noch einer der Flyer vom Straßenfest. Ist noch nicht fertig vom Layout und so, da ist Andi ja noch dran, aber Datum und Ort stimmen. Kannst ja mal gucken.«
»Ja gerne.«
Die Ampel sprang auf Grün.
»Und kannst dich ja melden, wenn du Lust hast auf Clubtreffen und mal reinschauen, hast ja meine Nummer jetzt.«
»Mach ich.«
Eva und Max gingen über die Straße, Richtung Norden. Eva winkte nochmal zum Abschied. Max drehte sich nicht mehr um. Yunis musste genau entgegengesetzt nach Süden der Gugelstraße folgen. An deren Ende würde er auf die gute alte T-Kreuzung zur Frankenstraße treffen. Sein kleines Zuhause.
»Ich weiß ja nicht, aber irgendwas ist komisch an dem. Aufs Auge gefallen, … komm schon.« Eva und Max waren einen Block weiter auf Höhe der S-Bahn-Station stehen geblieben. Max wohnte weit im Norden am Marienberg, seine Eltern hatten die Flucht ergriffen, sobald sie es sich leisten konnten, aber Max hatte darauf bestanden weiter auf die Schule in der Südstadt zu gehen und hier den Abschluss fertigzumachen. Immerhin lebten hier alle seine Freunde und er kannte sich aus. Dafür nahm er auch die lange S-Bahn-Fahrt in Kauf. Die drei Euro waren unverschämt für eine einfache Bahnfahrt, aber für Max war es wie ein Ticket in eine andere Welt. Marienberg bedeutete Villen, Pools in den Gärten, saubere Straße und freundliche Leute. Am Anfang war er sich immer vorgekommen, wie ein Tourist, der die Favelas in Rio besuchte, um danach schnell wieder in seiner fünf Sterne Hotelanlage zu verschwinden.
»Ja, er ist schon irgendwie ein komischer Kauz, sagt irgendwie nicht viel und auch so unzusammenhängende Sachen. Und schaut immer auf den Boden…«
»Und Mann ey, immer dieses Alter oder Mann in jedem Satz hast du vergessen, Mann Alter ey.«
Eva lachte laut los. »Er kommt halt aus diesem Milieu … Mann«, fügte sie hinzu und musste sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel wegwischen. Sie versuchte wieder ernst zu werden. »Diskriminierung und Rassismus sind kein Witz für ihn und seine Mutter. Das verstehen wir gar nicht.«
»Ja, ich hab’s gehört, sehr dramatisch.«
»Was? Ich fand’s schockierend. So wie ihm geht es vielen hier in der Stadt.«
»Alles schön und gut, irgendwas stimmt trotzdem nicht. Er hängt doch auch immer mit dieser Kiffer-Clique rum.«
»Da schließt sich nur der Kreis aus Drogen und Abstieg. Vielleicht können wir ihm ja wirklich helfen. Dafür machen wir das doch alles, oder?«
Die rote S-Bahn fuhr am Gleis ein. »Na gut Eva, halt die Ohren steif.« Sie umarmten sich. »Bis denn.«
Max sprintete über die Straße in die S-Bahn und fuhr davon in seine bessere Welt.
Eva blieb alleine zurück und machte sich daran die letzten paar hundert Meter zu ihrer Wohnung zurückzulegen. Ihr Kopf war voller To-Dos und Themen, die sie auf dem Weg sortierte. Die Flyer musste sie unbedingt noch fertig machen, damit die morgen in den Druck konnten. Hoffentlich hatte Andi die Texte überarbeitet, sonst musste sie ihm nochmal schreiben. Wenn man nicht immer alles selbst machte. Dann musste sie mit Yunis morgen unbedingt über die Entwürfe sprechen, hoffentlich schaffte er es bis zum Ende der Woche … und hoffentlich hatte er wirklich Talent, wie Andi behauptete. Aber Andi war eigentlich sehr zuverlässig, auch wenn er ebenfalls zu dieser Kiffer-Clique gehörte. Er war wirklich ganz anders. Außerdem hatte ihr Yunis heute zu denken gegeben. Sie hatten das Thema Rassismus in ihrem Programm bisher viel zu sehr ignoriert. Es war so offensichtlich und allgegenwärtig, aber in ihrer Bubble war es nur eine Randerscheinung unter all den anderen drängenden Problemen. Das musste sie unbedingt noch Greif schreiben, sie fing schon mal an auf ihrem Handy die Nachricht zu tippen, um sie dann zu Hause im WLAN direkt abschicken zu können. Vielleicht konnte man da sogar eine eigene AG gründen. Greif. Das perfekte lächelnde Gesicht mit den weißen Haaren tauchte vor ihrem geistigen Auge auf und durchdrang sie mit seinem wissenden Blick. Sie bekam eine Gänsehaut.
»Kannst du mal Cola holen«, äffte sie in Gedanken Maria nach. »Hol sie doch selbst.« Das mit der Rassismus-AG war eine gute Idee, vielleicht würde Greif sie dann etwas ernster nehmen. Integrations-AG war vielleicht doch ein besserer Name, oder die Wir-AG. Für das Miteinander anstatt Nebeneinander. Ja, das war gut. Sie sah schon die Plakate vor sich.
Eva bekam wieder eine Gänsehaut. Diesmal war es aber nicht der Gedanke an Johannes Greif. Sie hatte, in ihren Gedanken verloren, gar nicht bemerkt, dass ein zweites Paar Schritte auf dem Asphalt widerhallte und ihre eigenen begleitete. Sie war nicht mehr allein. Jemand ging hinter ihr. Dicht. Ihr Herz fing an schneller zu pumpen, der Verstand war voll im Hier und jetzt und lauschte den Schritten. Schwere Stiefel auf Beton, keine Absätze, ein Mann.
Das ist nur ein ganz normaler Passant, so wie ich auch. Aber warum läuft er dann so dicht hinter mir? Warum überholt er nicht?
Soll ich mich umdrehen? Nein, das zeigt nur Angst. Soll ich stehen bleiben? Gott, nein.
Nur noch über den Parkplatz des Industriegeländes, dann wäre sie zu Hause. Sie konnte schon ihr Haus sehen. Der Parkplatz lag dunkel und mit nur einigen verstreuten Autos vor ihr. Sie beschleunige ihren Schritt ein wenig. Der hinter ihr hielt mit. Nein. Die Panik kroch aus ihrer Brust empor und schnürte ihr die Kehle zu. Gleich geschafft. Gleich geschafft. Die Dunkelheit des Parkplatzes hatte sie beinahe verschlungen. Nur die Grillen zirpten und die Stiefel tönten in ihren Ohren.
»Hey Süße, warte doch mal.« Die tiefe Stimme war dichter als sie dachte. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Sie meinte eine Hand streifte sie an der Jacke. Eva rannte los. Er rannte mit. Noch ein paar Meter.
»Warte, hab‘ ich gesagt. Ich hab‘ hier was Schönes für dich.«
Sie erreichte die Tür. Keine Zeit, der Schlüssel. Wo war er? Sie hämmerte auf die Klingel ihrer Eltern. Schwerer Atem ging hinter ihr. Sie drehte sich herum, mit dem Rücken zur rettenden Türe. Eine dunkle Gestalt stand dort, wo das Licht der Laterne sie nicht erreichen konnte. Groß, massig und schwer atmend.
»Na, wie wär’s Kleine?« Sie hörte einen Reißverschluss aufgehen. Er kam näher, seinen Penis in der Hand. Evas Denken setzte aus. Sie lehnte wie versteinert an der Tür.
»Ja?«, kam nach einer gefühlten Ewigkeit die vertraute Stimme ihrer Mutter aus der Gegensprechanlage. Der andere blieb stehen.
»Ich bin’s, hab‘ kein Schlüssel.« Ihre Stimme überschlug sich. Es summte und die Tür gab nach. Eva stürzte hinein und schlug die Tür zum Hausflur zu. Sie lehnte sich bebend dagegen. Oh Gott, oh Gott. Der Atem ging kurz und ruckartig. Ja, es musste sich hier was ändern.
Yunis kam kurz nach Eva zu Hause an. Sein Herz klopfte ebenfalls heftig, genau wie das von Eva, auch wenn er das nicht wusste. Und aus einem anderen Grund. Bitte lass die Alte schon schlafen. Auf Diskussionen und Streit hatte er heute wirklich keinen Bock mehr, dafür war dieser Tag einfach zu lang. Oben angekommen, öffnete er vorsichtig die Tür, Fernsehlärm und Qualmgeruch kamen ihm entgegen. So weit, so vertraut. Die Küche war dunkel, ein gutes Zeichen. Vorsichtig spähte er ins Wohnzimmer, seine Mutter lag auf der Couch und war schnarchend vor dem Fernseher eingeschlafen. Gott sei Dank. Die Kippe im Aschenbecher glimmte noch vor sich hin. Warum hatte sie den Stummel nicht einfach beim Einschlafen auf dem Sofa verloren? Das Leben war eben ungerecht.
Er ging weiter in sein Zimmer, zog sich das T-Shirt aus, das noch schlimmer stank als heute Morgen und knallte sich ins Bett. Er hatte Nachrichten von Andi und Sergio. Beide lauteten ungefähr gleich.
»Und Mann, wie war’s?« plus das Faust-Emoji – Andi.
»Und Alter was ging?« Die Aubergine und das Wasserspritzer-Emoji – Sergio. Er musste im fahlen Schein seines Handydisplays breit grinsen und antwortete auf beide gleich.
»Ja geil Mann, denk da geht was. Morgen treffen im Park?«
»Logo« – Andi
»Oder am Luitpoldhain. Da ist auch mega chillig.« – Sergio
»Ne Mann, das ist ja am Arsch. Bis morgen im Park, 10:00.«
Die Preisfrage war, was machte er jetzt mit Evas Nummer. Die hing an seinen Lippen, das hatte er gesehen. Und es hatte ja sogar gestimmt, man nannte ihn wirklich die ganze Zeit Kanacke und Assi. Und seine Mutter hatte auch keinen Job, hauptsächlich, weil sie eine versoffene Versagerin war, aber das musste ja keiner wissen. War dieser Max eigentlich ihr Stecher? Sollte er ihr schreiben? Sowas wie »Hey, war cool heut, was machst grad so?« Neee, lieber nicht. Georgie würde sagen, die Alte an der Angel lassen und bloß nicht zu schnell einholen. Na gut. Er dachte an Eva, ihre perfekten Brüste und was sie mit ihm alles machen könnte und holte sich einen runter. Danach schlief er selig ein.
Maria und Johannes spazierten Hand in Hand durch die nächtliche Stadt nach Hause. Sie hatten noch aufgeräumt und waren nochmal schnell mit dem Rest des Vorstandes die Finanzen durchgegangen. Das Straßenfest würde ein ganz schönes Loch in das dünne Polster des Vereins reißen. Aber ohne Publicity auch keine Öffentlichkeitsarbeit.
»Du schaust so nachdenklich, ist alles in Ordnung?«
»Ja, alles in Ordnung, ich musste nur nochmal über die Sitzung nachdenken.«
»Ich fand sie sehr gut heute, über die Hälfte der Mitglieder hat sich für die Hilfe am Fest eingetragen. Dann noch ein paar gute Ideen zu Projekten und zur Mitglieder-Akquise. Die Idee von Eva mit dem Image-Film fand ich genial, das könnte uns richtig pushen. Also gutes Commitment insgesamt.«
»Ja, das stimmt.«
»Du denkst an diesen Yunis, oder?«
»Erwischt.« Greif lächelte seine Frau an.
»Was ist es? Die Lüge über das Klettergerüst?« Greif war überrascht, er musste auflachen.
»Du hast es auch gemerkt?«
Maria stimmte mit ein.
»Man konnte ja fast das Logo des Basketballs auf der Haut sehen.«
Zusammen lachten sie und gingen Arm in Arm weiter.
»Ja, das war schon fast zu offensichtlich, zum Glück hat keiner was gemerkt, das wäre peinlich für den armen Kerl geworden. Aber das ist es gar nicht. Es geht um das, was er gesagt hat. Zwar auch etwas aufgesetzt muss ich sagen, aber im Kern stimmt es schon.«
»Die Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund hier bei uns?«
»Ja und dass sie selbst bei uns im Verein so wenig Beachtung gefunden haben. Wir, die uns eine Verbesserung der Lage in der Südstadt auf die Fahne geschrieben haben. Bei mir selbst, der für das Amt des Bürgermeisters kandidiert und im Stadtrat sitzt. Ich habe diese Gruppe fast komplett ignoriert und einfach in einen Topf mit allen geworfen. Ein schwerer Fehler.«
»Ist das nicht Integration? Keine Sonderbehandlung?«
»Nur wenn die Integration schon stattgefunden hat, bis dahin ist es das Übergehen der Bedürfnisse einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Und leider auch der Ursprung vieler der Probleme die wir hier haben. Denk an die Clankriminalität, herangewachsen in einer kompletten Parallelwelt. Und sieh dir an, wie unsere Themen bei den Menschen ankommen. Wie viele Thomasse, Sabines und Stefans haben wir im Verein und wie viele Yunise oder Erkans?«
»Um fair zu sein, muss man sagen, dass wir eher viele Leons, Finns und Amelias haben.«
Greif musste lachen.
»Ja, die Zeiten ändern sich. Aber du weißt, was ich meine.«
»Ja, ich weiß. Wir vertreten die Interessen derer, von denen wir gar nicht wissen, was ihre Interessen sind. Wir nehmen es nur an und setzen es aus unserer schönen weißen Blase heraus um. Was hast du vor?«
»Ich denke, wir sollten versuchen unseren Fokus etwas anzupassen auf lange Sicht, das könnte uns den Zuspruch einer riesigen Gruppe bringen, mit der wir wirklich etwas ändern könnten.«
»Ambitioniert, denkst du, das hat bisher niemand versucht?«
»Man muss klein anfangen. Und der Anfang sind ein paar neue Mitglieder in unserem neuen Verein. Um genau zu sein erstmal ein neues Mitglied.«
Maria seufzte.
»Denkst du Yunis ist da der Richtige? Er wirkt nicht gerade besonders politisch interessiert oder besonders … ähm sagen wir aufgeweckt. Ich weiß, das ist gemein, aber ich glaube auch nicht, dass er sich besonders gut vor einer Kamera macht. Sind wir ehrlich, er ist ein 15-Jähriger, den nur Sachen interessieren, die 15-Jährige eben so interessieren. Allem voran Mädchen. Es gibt nur wenige Gretas auf der Welt, die sowas ziehen können, falls dir das vorschwebt.«
»Ich weiß schon, das soll er ja auch gar nicht. Wie du schon sagtest, er ist ein Jugendlicher und scheint noch nicht wirklich eine gefestigte Meinung und Persönlichkeit zu haben. Ich denke, er wird vielleicht eben einfach so mitmachen, wenn man ihn fragt. Und solange Eva dabei ist, wird er sicher zu allem ja und Amen sagen. Und auf diesem Weg können wir ihn vielleicht ein bisschen formen, so wie wir uns das vorstellen.«
»Du willst ihn wie ein Tier durch die Manege ziehen?«
»Wenn du es so sagst, klingt es so schlimm. Ich möchte einfach zeigen, dass wir auch Menschen wie ihn begeistern können und uns alle gemeinsam engagieren. Denk dran, wir müssen unser Ziel im Auge behalten.«
»Das habe ich nicht vergessen mein lieber Greif. Was machst du, wenn er tatsächlich klagen will, das könnte peinlich werden für uns.« Sie betonte das letzte Wort.
»Ich glaube nicht, dass er das tun wird. Sollte er das doch wollen, werden ich ihn nochmal persönlich ins Gebet nehmen.«
Sie erreichten den Melanchthonplatz, einen kleinen Park ganz im Norden der Südstadt. Ihr fünfstöckiger Altbau befand sich direkt daneben, mit einem guten Ausblick über den gesamten Süden, bis runter zum Hafen. Direkt hinter dem Haus lagen die Gleise und dahinter die funkelnde Weststadt. Obwohl die beiden es sich längst leisten konnten wegzuziehen, blieben sie im Süden leben, in ihrer Heimat. Hier hatten sie sich kennenglernt und ihr gemeinsames Leben bisher verbracht. Darum wollten und konnten sie den Sprung über die Gleise nicht tun. Für Greif ging es auch um Glaubwürdigkeit und Überzeugung. Wie sähe es aus, wenn er, der Kämpfer der Südstadt, einfach wegzöge und aus der Ferne regierte. Dekadent wie die Römischen Kaiser oder der König von Thailand. Das hier war ihre Heimat und würde es, zumindest vorerst, auch bleiben.
»Versprich mir nur, dass du ihn am Anfang nicht zu sehr ausnutzt.«
»Versprochen.«