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Die Hauptmängel des römischen Index

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Ähnlich positiv wie sein Urteil über den ersten Band fällt auch Haringers Votum über den zweiten, in zwei Abteilungen erschienenen Band des „Reusch“ aus, über den er aber wegen des gewaltigen Umfangs nur einen knappen Überblick vorlegen konnte. Reusch zeigt sich – wie der Redemptorist nicht ohne Überraschung feststellt – recht gut informiert über die Hintergründe und kurialen Interna des Rosminifalles.46 Und auch wenn er – nach Haringers Ansicht – etwas diffus über die Lehren Hermes’ und Günthers schreibt, so durchschaut Reusch doch die kirchenpolitische Gemengelage.47 Der Indexkonsultor lobt den wissenschaftlichen Wert der altkatholischen Studie über alle Maßen, wenn er formuliert: „die Arbeit ist hervorragend, der Fleiß und die Gelehrsamkeit bewundernswert und das Buch höchst nützlich. Es gibt kaum einen unter den indizierten Autoren, zu dem Reusch kein Urteil abgibt.“

Bevor er Reusch folgend die Hauptirrtümer, die trotz der grundlegenden Reform Benedikts XIV. Mitte des 18. Jahrhunderts im Index stehen geblieben sind, noch einmal auflistet, versucht Haringer den Sekretär der Indexkongregation durch eine Art historischer Captatio benevolentiae von der unbedingten Notwendigkeit einer fundamentalen Überarbeitung des Index librorum prohibitorum zu überzeugen, damit sich der Heilige Stuhl nicht länger wegen zahlreicher handwerklicher Schnitzer und inhaltlicher Irrtümer der Lächerlichkeit preisgeben müsse. Der Redemptorist macht als Initiator und Hauptakteur der Neugestaltung des Index unter dem Kanonistenpapst Benedikt XIV. den damaligen Sekretär der Indexkongregation Tommaso Agostino Ricchini aus, der diese Aufgabe mit Bravour und Energie gemeistert habe und als Anerkennung für seine Verdienste um die Indexreform vom Papst zum Magister Sacri Palatii erhoben worden sowie als Ordensgeneral vorgesehen gewesen sei.48 Eine ähnliche Rolle sollte nach Meinung Haringers auch der jetzige Indexsekretär Saccheri spielen, mit dem der Redemptorist bereits in der Kraus-Sache hervorragend und vertrauensvoll kooperiert hatte.

Gleichsam als Agenda für die kommende Indexreform stellt Haringer – stets in Anlehnung an den „Reusch“ – für Saccheri noch einmal die Hauptmängel des römischen Index zusammen:

1. Auf dem Index stehen viele Personen, die nichts geschrieben haben oder für deren Indizierung allein die Tatsache ausreichte, dass sie Protestanten waren beziehungsweise bei Cochläus oder Oecolampad genannt sind.

2. Manche (vorwiegend mittelalterliche) Autoren haben zwar ein Buch geschrieben, von dem aber heute kein Exemplar beziehungsweise keine Abschrift mehr existiert, weil alle verbrannt wurden.

3. Gegen die Beschlüsse des Konzils von Trient haben vierunddreißig Protestanten eine Klage unterschrieben.49 All diese Opponenten gerieten auf den Index, obwohl sie entweder nichts oder nichts Nennenswertes geschrieben hatten.

4. Gemäß einer Anordnung Pauls IV. wurden auch Buchhändler und Verleger auf den Index gesetzt, weil sie Bücher von Häretikern hergestellt und vertrieben hatten. Bis 1885 standen immer noch siebzehn Buchhändler und Verleger auf dem Index, obwohl sie nichts geschrieben hatten, außer allenfalls ein „praefatiunculum“, ein „Vorwörtchen“. Daher sind beispielsweise die in Basel erschienenen Ausgaben der Kirchenväter verboten, weil sie mit einem Vorwort des Erasmus von Rotterdam versehen sind.

5. Aufgrund derselben Weisung stehen Werke von Häretikern auf dem Index, auch wenn sie das Thema Religion überhaupt nicht berühren. Dazu gehören anatomische und medizinische Bücher genauso wie Klassikerausgaben von Caesar bis Tacitus sowie Grammatiken und Wörterbücher. Für diese Indizierungen gibt es sachlich keinen Grund, außer dass der Herausgeber nicht katholisch war.

6. Manche Bücher stehen nur deshalb auf dem Index, weil ihr Autor die wissenschaftliche Leistung eines Protestanten würdigt: „Allerdings wird diese Regel heutzutage nicht mehr allzu streng befolgt.“

7. Zahlreiche Bücher hervorragender Katholiken wie Geiler von Kaysersberg oder Johannes Host, Dominikaner und Inquisitor, stehen wie Häresiarchen mit dem Zusatz „prima classis“50 bis heute auf dem Index, „was Reusch als wahrhaften Skandal bezeichnet“ – wie Haringer übertreibend schreibt. Jener hatte eher nüchtern bilanziert, Host sei ein „eifriger Gegner der Reformation“ gewesen.51

8. Teilweise wurden private Andachtsbücher auch nur deshalb indiziert, weil sie nicht approbierte Litaneien enthalten.

9. Manchmal kann selbst der findige Reusch keinen anderen Grund für die Indizierung eines Buches nennen, als dass ein in Rom lebender Autor sein Werk ohne Imprimatur des Magister Sacri Palatii außerhalb der Heiligen Stadt hat drucken lassen.

10. Viele Kleinschriften, auch lediglich eine Seite umfassende Vorworte und fliegende Blätter, die auch in den größten Bibliotheken nicht mehr nachweisbar sind, gelangten auf den Index. Dazu Haringer: „Heutzutage ist nicht mehr die Rede von der Strafe der Exkommunikation wegen der Lektüre eines verbotenen Buches, sondern die Vernunft drängt uns, Schriften von geringerer Bedeutung nicht als Bücher zu bezeichnen, die zu den Bücherverboten zählen.“

Das Ergebnis des Gutachtens Haringers über Reuschs monumentale Indexstudie ist eindeutig. Für eine Indizierung des Werkes besteht kein Grund. Vielmehr sollte Reuschs Index zur Grundlage einer umfassenden Indexreform werden: „Aus allen angeführten Mängeln schließe ich, dass eine neue Ausgabe des Index durchgreifend verbessert werden muss.“

Haringer versucht zudem, sein Votum durch eine andere Rezension von Reuschs Werk zu stützen, und greift dabei auf eine Besprechung des 1. Bandes aus der Feder von Josef Schmid in der „Literarischen Rundschau“ vom 15. April 1884 zurück.52 Schmid hatte mit Reusch – den er ausführlich zitiert – die zahlreichen Rätsel, Curiosa und Probleme des Index herausgestellt und diese auf die bei der Erstellung der Indices angewandten „unkritischen Verfahren“ zurückgeführt: „Die Räthsel und Curiosa entstanden dadurch, dass in Folge von Missverständnissen, Schreib- und Druckfehlern manche Namen und Titel bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind. Da später dann die richtigen Namen beigefügt wurden, stehen manche Autoren zwei- und dreimal im Index.“53 Nachdem Schmid den bleibenden Wert des „Reusch“ unter anderem als Bibliographie der Reformationsgeschichte gelobt hatte, an dem niemand vorbeigehen könne, kam er zu dem Schluss, den Haringer (wenngleich nicht ganz exakt) zitiert, weil ihm dieser besonders wichtig war: „Bei einer etwaigen Revision des Index selbst dürften schon auf Grund der hier gewonnenen Resultate einige hundert Namen aus demselben verschwinden.“54

Saccheri war nach der Lektüre des Votums des Redemptoristen offenbar von der Notwendigkeit einer durchgreifenden Überarbeitung des Index überzeugt. Die von Reusch minutiös erhobenen und von Haringer analysierten Mängel des römischen Index waren zu offensichtlich; das ohnehin angeschlagene Ansehen der römischen Zensur würde noch stärker in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn hier nicht gründlich Abhilfe geschaffen und die Irrtümer radikal ausgemerzt würden. Der Indexsekretär schlug Haringer vor, die Ergebnisse seiner Reusch-Lektüre dem Heiligen Vater vorzutragen; und dieser beauftragte ihn, weiter an der Sache zu arbeiten.55

Im Sommer 1886 kam Haringer in einem Schreiben an Saccheri auf die anstehende Indexreform zurück. Diesmal suchte er das besondere Interesse des Indexsekretärs und Dominikaners dadurch zu gewinnen, dass er aufzeigte, wie viele Ordensangehörige, namentlich Dominikaner und Jesuiten, zu Unrecht auf dem Index stünden. Er kam auf 24 Mitglieder des Predigerordens und auf rund hundert Patres der Gesellschaft Jesu.56 Ferner versicherte er sich der Unterstützung der Hierarchie: Kardinal Tommaso Maria Zigliara, der die römischen Redemptoristen am Fest des heiligen Alfons, am 2. August, besucht hatte, äußerte – wie Haringer Saccheri mitteilte – die Überzeugung, nach der Arbeit von Reusch werde man wie zu Zeiten Benedikts XIV. nicht um eine radikale Indexreform herumkommen. In diesem Sinne wolle er sich auch mit ihm – Saccheri – als Sekretär und Kardinal Tommaso Martinelli als Präfekt der Indexkongregation ins Benehmen setzen.57

Der Index der verbotenen Bücher. Bd.1

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