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1. Phänomenologie der Jugendkriminalität

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Die Kriminalitätsbelastung der Jugendlichen und Heranwachsenden beträgt – in Relativzahlen gerechnet – etwa das Dreifache der Belastung der Erwachsenen. Gemäß Polizeilicher Kriminalstatistik der Bundesrepublik 2018 (PKS 2018) lässt sich anhand der der Polizei bekannt gewordenen Straftaten für die Jugendlichen (14- bis unter 18-Jährige) eine Tatverdächtigenbelastungszahl (TVBZ) von 4765 errechnen, für die Heranwachsenden (18- bis unter 21-Jährige) eine TVBZ von 5312 und für die Erwachsenen ab 21 Jahren eine TVBZ von 1771[1]. Ausländer sind aus diesen Berechnungen anhand der PKS primär deshalb ausgeschlossen, weil man die Taten der nicht zur inländischen Wohnbevölkerung zählenden Ausländer nicht einfach den hier wohnenden Ausländern auflasten darf und weil die – ua angesichts Aufenthaltsgesetz und Asylgesetz – mit der Ausländersituation verbundene spezifische Delinquenzgefährdung faire Vergleiche der Nationalitäten- und Altersgruppen erschwert[2]. – Die anhand der PKS dargestellte altersspezifisch ungleiche Verteilung der Kriminalität reproduziert sich immerhin tendenziell auch in Dunkelfeldstudien anhand Täterbefragungen[3].

Angesichts der Überrepräsentierung der jungen Generation stellten im Jahr 2018 die Jugendlichen 8,6 % und die Heranwachsenden 9,0 % aller Tatverdächtigen (100 % = 2 051 266); bezogen speziell auf die strafmündigen Tatverdächtigen beträgt der Anteil der Jugendlichen und Heranwachsenden insgesamt 18,3 %[4]. In die Zuständigkeit der Jugendstaatsanwälte fällt also gut ein Sechstel des Arbeitsanfalls der Staatsanwaltschaften. Abgeurteilt wurden im Jahr 2017 von den Jugendgerichten 122 997 Jugendliche und Heranwachsende bei insgesamt 875 194 Aburteilungen, verurteilt wurden 78 913 Jugendliche und Heranwachsende[5] bei insgesamt 716 044 Verurteilten. Durch Jugendgerichte erfolgte also ein Siebtel aller Aburteilungen (14,1 %) und knapp ein Neuntel aller Verurteilungen (11 %)[6]. – Diese Zahlen umfassen alle Nationalitätengruppen.

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Bezüglich der Entwicklung der registrierten Kriminalitätsbelastung der Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden lässt sich ab 1984 eine erhebliche Zunahme konstatieren, wie Schaubild 1 belegt. Der zeitliche Startpunkt der hier nachgewiesenen Entwicklung – nämlich 1984 – ist allerdings insoweit zufällig, als er durch eine damals eingeführte Veränderung der statistischen Aufbereitung der Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik bedingt ist. Die neuere Situation ist seit 1998 durch eine Stagnation und inzwischen sogar durch eine Abschwächung der registrierten Kriminalität der jüngeren Bevölkerungsgruppen geprägt; die Belastungszahlen[7] für die Jugendlichen sind seit 2002 im Sinken begriffen, die der Heranwachsenden seit 2005[8].

Schaubild 1:

Kriminalitätsbelastung und Alter – ab 1994 nur Deutsche


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Diese Daten dürfen aber nicht einfach als Abbild der Wirklichkeit interpretiert werden. Denn die polizeilich registrierte Kriminalität ist ganz wesentlich durch die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung geprägt[9]. Auch insoweit können sich in den letzten Jahrzehnten Veränderungen ergeben haben, durch welche das statistisch erfasste Delikts-Hellfeld schon ganz unabhängig von Veränderungen der Kriminalitätslage beeinflusst wird[10]. Tatsächlich haben neuere Dunkelfelduntersuchungen gezeigt, dass etwa die Gewaltkriminalität junger Menschen nicht so stark gestiegen ist, wie in der Polizeilichen Kriminalstatistik für 1990 bis 2008[11] ausgewiesen; der Anstieg im Hellfeld stellt offenbar – zumindest auch – die Folge einer hinsichtlich Gewaltkriminalität gestiegenen Anzeigebereitschaft dar[12]. Als wesentlicher Unterschied zur registrierten Kriminalität hat sich in Dunkelfeldstudien zudem ergeben, dass in den Täterbefragungen die höchste Deliktsbelastung bereits um das 14. - 15. Lebensjahr erreicht war[13]; dies spricht dafür, dass sehr junge Täter oft nicht angezeigt werden.

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Für den Vergleich der Kriminalitätsbelastung der jüngeren und der älteren Bundesbürger ist im Übrigen zu beachten, dass die Kriminalität der Erwachsenen und die der jüngeren Altersgruppen sich qualitativ nicht unerheblich unterscheiden, insofern Erwachsenenkriminalität im Schnitt schwerer als Jugendkriminalität ist[14]. Die Einstufung der Delinquenz junger Menschen als durchschnittlich leichter als diejenige der älteren Täter schlägt sich auch darin nieder, dass in Relation zum drastischen Anstieg der Tatverdächtigenrate die Verurteiltenziffer (Verurteilte pro 100 000 der deutschen Wohnbevölkerung) speziell bei den Jugendlichen zwischen 1984 und 2000 deutlich schwächer angestiegen ist[15].

Die Behauptung einer durchschnittlich eher leichten Jugendkriminalität gilt, obwohl bei dieser auch Gewaltkriminalität in Form von Körperverletzung und Raub im Vordergrund steht. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik sind männliche Jugendliche und Heranwachsende erheblich überrepräsentiert bei der Begehung von Raubdelikten, Körperverletzungen, schwerem Diebstahl, Sachbeschädigungen, Waffendelikten und Betäubungsmitteldelikten. Bei den weiblichen Jungtätern steht hingegen ganz der einfache Diebstahl im Vordergrund; es beträgt die Kriminalitätsbelastung der Mädchen nur ca. ein Drittel ihrer männlichen Altersgenossen[16]. Insgesamt weist die Kriminalitätsbelastung der jüngeren Altersgruppen eine Struktur auf, in der geradlinige, wenig vorgeplante, impulsive Tatbegehungen dominieren: das Wegnehmen, das Überwältigen, das Zuschlagen. Die Bedeutung von Körperverletzungstaten und von Waffenvergehen verweist auf verbreitete Selbstwertprobleme bzw auf die Relevanz von Statusgewinn-Strategien. Angesichts der jugendtypischen Bedeutung von peer groups, Freundesgruppen und Cliquen[17] ist auch der hohe Anteil an gemeinsamer Tatbegehung in Gruppen oder Banden wenig überraschend[18].

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