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2. Bedenken gegen ein Erziehungsstrafrecht

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Problematisch ist an dieser Erziehungsorientierung seit jeher, dass sich kein eindeutiges und erst recht kein zeitüberdauerndes Erziehungskonzept entwickelt hat[53]. Die konträren Konzepte der „Erziehung statt Strafe“ und der „Erziehung durch Strafe“ machen dieses Problem ganz deutlich. Und epochale Veränderungen in den pädagogischen Grundlagen[54] wirken naheliegenderweise in das jeweils aktuelle jugendstrafrechtliche Erziehungsverständnis hinein. Darüber hinaus hat der kriminalpädagogische Behandlungsoptimismus in den letzten Jahrzehnten stark nachgelassen[55]. Ganz komplementär dazu ist – anders als noch zur Zeit der Jugendgerichtsbewegung – in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts der Gedanke der Non-Intervention in den Vordergrund getreten und hat sich auch in der Kriminalpolitik ausgewirkt. Neuerdings verspricht man sich von der Begegnung oder Konfrontation des Täters mit dem Opfer im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs besondere erzieherische Wirkungen, etwa in Folge einer Verdeutlichung der Verantwortung für das eigene Tun.

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Gegen den Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht hat man immer wieder vorgebracht, dass den jungen Tätern vielfach sogar größere strafrechtliche Belastungen zugemutet würden als den nach Allgemeinem Strafrecht Verurteilten. Das daran anknüpfende Postulat eines generellen Schlechterstellungsverbots besitzt freilich wenig Überzeugungskraft (vgl oben Rn 13). Gewichtig ist jedoch das Bedenken, dass von einem illusionären Erziehungsanspruch aus der Rechtsanwender dazu verführt sein mag, die unverzichtbaren strafrechtlichen Limitierungsdimensionen der Tatschuld bzw des Verhältnismäßigkeitsprinzips hintanzustellen[56]. Nicht zuletzt dem BGH ist dieser Kardinalfehler anfangs unterlaufen, als er im Jugendstrafrecht die Überschreitung der Strafrahmen des Allgemeinen Strafrechts zu Erziehungszwecken zuließ[57]. Zur angemessenen Einstufung solcher Fehlleistung ist freilich im Auge zu behalten, dass derartige Erziehungs-Exzesse nicht zuletzt Folge von unklaren und dann fehlinterpretierten Regelungen des JGG waren – man denke nur an die Erziehungsklausel im Rahmen der Strafzumessungsregelung des § 18 II JGG[58] – also durchaus vermeidbare Auswirkungen des Erziehungsprinzips darstellen. Auch wurde inzwischen eine ehemals verbreitete Fehlinterpretation von Daten zum Rückfall nach Jugendstrafrecht, wonach längere Jugendstrafe erzieherisch besonders wirksam sei, nachdrücklich korrigiert[59]. In der Folge hat sich das Schlechterbehandlungs-Problem bezüglich der Strafbemessung weitestgehend in dem Sinne geklärt, dass Erziehung im Strafrecht keinesfalls der Eingriffserweiterung gegenüber einem tatausgleichenden Strafrecht dienen darf und folglich die Strafrahmenobergrenzen des Allgemeinen Strafrechts nicht überschritten – eigentlich noch nicht einmal annähernd erreicht – werden dürfen (vgl Rn 443). Damit sind die einzigen wirklich ernsthaften Bedenken aus dem Feld des „Schlechterstellungsverbots“ entschärft.

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Weitere Schwachstellen eines erzieherisch verstandenen Jugendstrafrechts liegen im Effizienz-Defizit. Das Jugendstrafrecht führt zur Integration von erzieherischen Hilfsangeboten in ein strafrechtliches Verfahren und allein schon deshalb zu einer erheblich verringerten Wirkmöglichkeit pädagogischer Bemühungen. Neben der an sich schon erziehungsfeindlichen repressiven Einfärbung ist hier bedeutsam, dass die in der Täterbiographie nur punktuelle und daher erzieherisch marginale jugendstrafrechtliche Sanktion dem strafrechtlichen Zugriff kaum dauerhaft konstruktive Züge zu verleihen vermag; der unvermeidlich stigmatisierende Zugriff erscheint von daher vor allem als entwicklungsgefährdend. Belegt wird dies durch Befunde, denen zufolge die nach einer Tat nicht entdeckten jugendlichen Delinquenten häufiger ohne Rückfälle blieben als Täter, die strafrechtlich sanktioniert wurden[60]. Insgesamt stützt die pönologische Wirkungsforschung die erheblichen Zweifel an einem unter dem Strich positiven erzieherischen Ertrag des jugendstrafrechtlichen Zugriffs, wobei die Bilanz umso ernüchternder ausfällt, je repressiver der Sanktionscharakter ist[61].

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