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Der Schrank

Eine Frau stand einmal mitten im Wohnzimmer und schaute ihren Schrank an. Dieser Schrank war ein geerbtes Unding aus Kirschbaumholz, das fast die ganze Länge der Wand einnahm, an welcher er stand, und sogar noch ein bisschen in die Fensteröffnung der zweiten Wand hineinragte. Dies machte das ganze Zimmer etwas dunkler und erschwerte auch das allabendliche Schließen der Fensterläden, man musste sich ziemlich verrenken, um zum Ausklinkhaken des linken Fensterladens zu gelangen, ebenso, wenn man ihn am Morgen wieder einhängen wollte. Der Schrank reichte bis ganz knapp unter die Decke. Er war so groß, dass seinerzeit die Wohnung um den Schrank herum gesucht werden musste.

Nun stand die Frau vor diesem Schrank und überlegte sich, was sie eigentlich hatte tun wollen. Sie trug einen Stapel schwerer Barchentleintücher auf ihren Händen, und jetzt kam ihr wieder in den Sinn, dass sie diesen Leintüchern einen neuen Ort zugedacht hatte, nämlich das unterste Fach des Kirschbaumschrankes und nicht wie bisher das mittlere Fach des Schlafzimmerschrankes. Dieses Fach hatte sie schon lange nicht mehr geöffnet, sie wusste nicht genau, was eigentlich darin versorgt war, vielleicht der Fondue-Caquelon oder der Raclette-Ofen, Dinge jedenfalls, die sie seit Jahren nicht mehr gebraucht hatte.

Sie kauerte sich also nieder, öffnete, indem sie die rechte Hand mühsam unter den Barchentleintüchern hervorstreckte, das unterste Fach und schrie laut auf. Ein dunkler kleiner Schatten flitzte heraus, sie ließ die Leintücher sofort los, merkte, dass sie auf diesen Schatten fielen und stemmte beide Hände auf das Bündel, kniete auch darauf und drückte so lange mit ihrem ganzen Gewicht, bis sich unter den Leintüchern nichts mehr regte.

Dann hob sie das Bündel vorsichtig auf. Darunter lag eine zerquetschte Ratte. Leicht wimmernd holte die Frau einen Plastiksack und eine Zeitung, fasste die Ratte mit der Zeitung an und warf sie in den Plastiksack und schmiss dann alles in den Abfalleimer. Als sie aufatmend in die Stube zurückging, hörte sie im Schrankfach ein Rascheln und ein Piepsen. Erst nach einer Weile wagte sie hineinzublicken, und da sah sie in der Kartonschachtel mit dem Christbaumschmuck ein Nest mit einem halben Dutzend kleiner Ratten, die hilflos und verstört in der Schachtel herumkrabbelten.

Die Frau setzte sich auf die Barchentleintücher und schaute lange in den Schrank.

Dann ging sie in die Küche, füllte ein kleines Schälchen mit Milch und stellte es zu den jungen Ratten in die Schachtel mit dem Christbaumschmuck.

F.H.

Hin- und Hergeschichten

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