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2. Kurz vor dem Ziel
ОглавлениеDas Blaulicht konnte er um diese Zeit bereits von weitem sehen. Abbiegen geht nicht mehr. Scheiße! Nicht, dass ihm um die Papiere bange ist. Ausweise, Fahrzeugschein, Auto, auch Pass und Visum des Mädchens sind einwandfrei. Originale, da kommt kein Zweifel auf. Doch wenn das jetzt länger dauern sollte?
Kurz vor der Kontrollstelle ist klar: Es wird. Dutzende Autos stehen vor ihm in der Schlange. Er muss Paul benachrichtigen, zückt sein Krypto-Handy und gibt den Code ein. „Alles super, Chef! Sind pünktlich aus Wietzenbruch rausgekommen. Dort alles okay, alle Werte prächtig, die Scans müsste ihr Professor längst haben. Werden uns aber ein bisschen verspäten, bin in eine Kontrolle geraten ... Kurz vor Soltau.”
Paul schnauft, dann blafft er seinen Fahrer an: „Sorg dafür, dass Du die Zeit wieder reinholst! Wir können hier nicht ewig auf euch warten! Die Junkfrau erträgt die Angst nicht mehr!”
Als Frank Müller – so steht´s in seinem Personalausweis – endlich an der Reihe ist, liegt er gut fünfundzwanzig Minuten hinter dem vereinbarten Zeitplan. Genervt fährt er die Seitenscheibe runter. „Verkehrskontrolle! Sie waren ein bisschen schnell! Haben Sie den Streckenradar nicht bemerkt?” Streckenradar? Dieses neue Verfahren gegen Raser, das nicht den Moment, sondern die Zeit misst, die man für die letzten Kilometer brauchte? Stehen deshalb etwa auch all die anderen Fahrzeuge hier? Hat´s die auch erwischt? Nie zuvor ist Müller bei einem Transport in eine derart dämliche Kontrolle geraten!
„Ihre Papiere bitte!” Der Polizist – Typ gemütlicher Verkehrsbulle – beugt sich ein wenig herunter, um in den Wagen zu schauen. „Oh, holla. Ein Gast. Darf man fragen, wer das hübsche dunkle Fräulein in ihrem flotten Wagen ist?”
Die misstrauische Miene des Bullen lässt Müller kalt. „Oh, Rahel hier? Ist unsere Patentochter ... Haben sie zu uns eingeladen, damit sie mal was sieht von der Welt ...” Aus der Brusttasche seines Sakkos zieht Müller Führerschein, Perso, Kfz-Schein und reicht die Dokumente gelangweilt dem wartenden Polizisten. Der jedoch interessiert sich mehr für das Mädchen in Müllers Auto.
„Aus Afrika? Warum ist denn ihre ,Patentochter´ so weggetreten? ... Hallo? He! Können Sie mir mal ihren Namen sagen?”
Müller stupst das Mädchen nicht gerade sanft von der Seite an. Sein barscher Ton verrät den Frust über die zunehmende Dauer der Kontrolle: „Hey, the officer wants your name! Tell him!” Das Mädchen, das offenbar weggedöst war, antwortet auf seltsam französische Art: „Mon nom? Oliver ...” Bevor sie weitersprechen kann, schneidet Müller ihr das Wort ab. „Ja, mein Schatz? – Sie träumt noch, nennt mich nach ihrem Vater! Heißt Rahel Cherio Malekela*, unsere Tochter hier, in voller Länge. Sind erst Anfang der Woche eingereist ...”
„Zeigen Sie mir einfach mal Rahels Ausweis!”, verlangt der Polizist. Müller zieht auch diesen lässig aus dem Sakko und präsentiert einen schwarzen Reisepass. Der Beamte schlägt ihn auf, wendet sich ab und hält ihn seiner Kollegin hin, die zwei Meter entfernt aufmerksam Wache hält. „Malawi! Keine sechzehn Jahre alt! Hey, Siggi, stell dir das mal vor! Wen wir hier heute alles kennenlernen! ,Patentöchter´ aus dem tiefsten Schwarzafrika! Darf man das heute überhaupt noch so sagen?”
„Charly, halt die Luft an”, bremst ihn Siggi gerade noch rechtzeitig. „Malawi? Da sind die besonders scharf, was die Identität von Kindern angeht. Weißte doch. Denk an Madonna! Ist das Visum in Ordnung?”
„Scheint so, Schengen, abgestempelt in Li-long-we oder so.”
„Dann lass’ gut sein. Sonst heißt’s nachher wieder, wir betrieben ,Racial Profiling’! Kümmer Dich lieber um die Verwarnung! Wir machen hier schließlich Öffentlichkeitsarbeit fürs Streckenradar, sonst nichts!”
Nachdem Müller sich seine kostenpflichtige Verwarnung abgeholt und das Überweisungsformular eingesteckt hat, darf er endlich weiterfahren. Mit 45-minütiger Verspätung erreicht er die Autobahn nach Hamburg.