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9. Ambi mit dem Hut

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Der Vormittag war zum Vergessen. Leonardo hatte Hannes noch einmal kostenlos mit in die Stadt genommen. Seither fährt der Detektiv erfolglos von einer Redaktion zu nächsten. Zuerst war er bei der Daily News im Stadtzentrum aufgeschlagen, der englischsprachigen Staatszeitung seit anno dazumal. Wenn es irgendwelche national bedeutsamen Meldungen über die Mla­kizi Foundation gegeben haben sollte, dann würden sie die Re­gie­rungsblätter kaum ignoriert haben.

Dort hatte man ihn tatsächlich ins „Archiv” gelassen, das aus tausenden staubigen Haufen ungeordneter Papierstapel des ko­lo­nialen Standards, der heutigen Daily und Sunday News und ihres Ki­swa­hili-Schwesterblatts Habari Leo bestand. Ohne ir­gend­einen An­halts­punkt, wann oder mit welchem Thema Mla­kizi jemals er­wähnt worden sein könnte, war er hier verloren und schnell wieder verschwunden. Eine freundliche Archivarin war bereit gewesen, einmal in den Computer zu schauen und „Mla­kizi” durch die Suchmaske der beiden wichtigsten Zeitun­gen des Lan­des zu jagen. Ohne Treffer. Allerdings wurden die, wie sie ihm be­dau­ernd mitteilte, nur lückenhaft, auch erst seit ein paar Jahren elektronisch archiviert. Und lasen sich stinklangweilig, wie Hannes wusste.

Er fragte noch nach einem Redakteur „für Familienthemen”, beschleu­nigte damit jedoch nur seinen freundlichen Rauswurf. „In die Redak­tion kann ich Sie leider nicht lassen, da wird ja an den Themen von morgen gearbeitet, da darf nie­mand kiebit­zen ...” Wahr­schein­lich war Hannes einfach zu früh aufgetaucht und von den Schreiberlingen befand sich noch niemand im Haus.

Nächste Station war die IPP Media Group in Mikocheni, die den weniger regierungshörigen Guardian und dessen Kiwahili-Schwester Nipashe verlegt. Der Bajaj-Fahrer, der in der Innen­stadt eigent­lich nichts zu su­chen hatte und gar kei­ne Fahrgäste aufnehmen durfte, hatte für die Fahrt quer durch die Stadt 12.000 Shilling verlangt, eine Unver­schämt­heit! Als wäre Han­nes ein Mzungu oder wenigstens Tou­rist! Aus Wut hatte der De­tektiv sich wie gestern zur nächst­besten Station des Schnell­bussystems durch­gefragt und von dessen End­sta­tion Morocco aus ein Daladala genommen. Und damit fast 11.000 Shilling ge­spart. Doch auch bei der IPP Group war Han­nes keinen Schritt weiter gekom­men.

Als letztes nimmt er sich die Nation Media Group weit drau­ßen in Tabata an der Nelson Mandela Road vor. Diesmal lassen sich 15.000 Shilling fürs Bajaj nicht vermeiden. Im „Haus des Bürgers”, wie das Medienunternehmen sein Verlags­ge­bäu­de nennt, er­schei­nen an sieben Tagen die Woche die unab­hän­gi­gen Ta­ges­zei­tungen The Citizen und Mwananchi. Gleichzeitig beher­bergt es auch die tansanische Außen­stelle des East African, der Wochenzeitung, für die Ambi arbei­tet. Ihr internationales Re­nom­mee und der Erscheinungsort Nai­robi im Nachbarland Kenia gewährt der Redaktion zuwei­len eine Freiheit, die für tan­sa­nische Verhältnisse unge­hörig anmutet.

Von der Nation Group aus will Hannes später direkt zum Flughafen fahren, um den Abendflug zurück nach Moshi zu er­reichen. Um halb vier hat er sich hier mit Ambi verabredet. In den Stunden davor wird er zwar überall zuvor­kom­mend be­han­delt – „Ein Detektiv aus Moshi? Das ist ja mal was! Hatten wir hier noch nie! Wusste gar nicht, dass es diesen Beruf in Tansania gibt! Haben wir das denn nötig? Klären Sie etwa Morde auf?” –, erhält aller­dings weder von Archivaren noch von irgendeinem der mittler­weile eingetroffenen Journalisten auch nur den kleinsten Hin­weis. Nie­mand weit und breit, der je etwas von Mlakizi gehört hat.

Hinter dem weitläufigen Hof des Nation-Geländes liegt eines dieser gewöhnlich ausgetrockneten Flussläufe, die Dar es Sa­laam durchziehen. In der Regenzeit ertränken deren verdreckte Wassermassen regelmäßig arme Leute, die sich in ihrer Not aus­ge­rech­net hier niedergelassen haben. Nach stun­denlangen Wolkenbrüchen ist dann die halbe Stadt über­schwemmt, un­zäh­lige Wege, Häuser und Läden blockiert. Ohne diese Flu­ten al­ler­dings würden die Flussbetten zu gigantischen Müll­hal­den, die nie ge­leert werden. Jeder Guss schwemmt den Müll früher oder spä­ter ins Meer. Heute ist es zum Glück trocken.

Am nördlichen Rand des Tals schlängelt sich eine he­r­un­­ter­gekommene Vorortbahn durchs Gelände, die hier die viel befahrene, vierspurige Nelson Mandela Road quert. Das blo­ckiert dann morgens und abends jeweils für eine Viertelstunde den ge­sam­ten Verkehr. Direkt davor steht jeden Tag von neuem ein fah­render Mandazi-Händler, bei dem sich Ambi mit Hannes verab­redet hat. „Lieber nicht drinnen oder auf dem Nation-Gelän­de, da hören mir zu viele mit!”, hatte sie gesagt, ohne dass sich Han­nes erschlossen hätte, was daran denn schädlich wäre. Eben erst war er doch noch oben bei den Redakteuren der Mwananchi gewe­sen und hätte am liebsten mitten auf die morgige Titel­seite die Schlag­zeile „Wer weiß was über Mlakizi?” drucken las­sen. So frus­triert war er nach den fast zwei Tagen, in denen er ergeb­nis­los von einem Termin zum nächsten gepest war.

Als die hoch gewachsene Ambi um die Ecke schreitet, wie immer mit dem Hut zuerst, treten alle Männer in der kleinen Schlange, die sich vor dem Händler mit seinen süßen Teigbäll­chen gebildet hat, instinktiv ein Stück zur Seite. Auch Hannes, der seit einer Viertelstunde auf sie wartet. „Ladys First!”, mur­melt ein älterer Herr hinter ihm, bei dem sich Ambi mit einem Nicken bedankt, „Asante sana, mzee!” Die sportliche Frau mit dem gebie­terischen Auftreten scheint es gewohnt zu sein, be­vor­zugt bedient zu wer­den. „Chai, Sukari mara tatu na Mandazi mbili, tafathani!” Dreifach gesüßter Milchtee mit zwei fetten Do­nuts! Dann erst sieht sie sich um und erkennt Hannes unter den anderen.

Karibu, Hannes Wabaye! Der Detektiv, der mich und mei­nen Gerd in Mwanza vor den Bosheiten eines Makaïdis rettete! Wie schön, dass wir uns einmal wiedersehen! Jambo, habari!

Sijambo, Missis Maregesi, Ambi, wie ich Sie nennen darf, oder? Sehr erfreut. Schön, dass Honni auf die Idee gekommen ist ...”

„Wenn das man kein kein Zeichen ist, ausgerechnet heute, am Freitag, dem dreizehnten! Aber es gibt ja solche und sol­che ...”, fügt die reizende Journalistin augenzwinkernd hinzu. „Honni hat mir letzte Woche schon was von dieser ominösen Anfrage aus Deutschland er­zählt, die Sie, äh, du bekommen hast. Deshalb treffen wir uns doch, oder? Bist du denn da vor­angekom­men?”

Fasziniert von Ambis direkter Art und der blendend schönen Frau neben sich unter ihrem farbenprächtigen Hut, kriegt Hannes den Mund nicht auf. Sie dürfte die unge­fähr sein Alter haben. Nach drei langen Schrecksekunden erinnert er sich seines Frusts, blickt zu ihr auf und antwortet. „Nein, vorne und hinten nicht. Klassischer Pechtag. Werde meinen Auftraggeber Jens hundert­prozentig enttäuschen.”

„Hey, Mister Wabaye, nun schmeiß mal nicht so schnell die Machete ins Feld. Neben dir steht Ambi Maragesi, die bisher grundsätzlich alles aufgedeckt hat, was es aufzudecken gab.” Der süße kleine Mchagga mit dem tiefschwarzen, noch nirgends angegrauten Wuschelhaar, der da vor ihr steht, könnte ihr ge­fal­len. Nicht aus Mitleid. Etwas zu kurz ge­raten vielleicht, da­für schlank und rank mit markantem, glatt rasiertem Kinn, das hat sie früher schon einmal sehr ge­mocht. Für seine drei-, viel­leicht fünfundvierzig, wie Honni sagte, offensichtlich gut in Schuss. Abgesehen von zwei Denker­falten auf der hohen Stirn und den Lachfältchen in den Augenwinkeln: ein ziemlich run­zel­freies, har­monisch rundgesich­tiges Exemplar von Mann. Und diese blitz­sauberen, unver­brauch­ten Hände! Der muss zu leben wissen! Hatte er nicht schon zweimal groß abgesahnt, als Chefermittler dieses Peter­manns? Damals in Mwanza jedenfalls hat er hin­ter den Kulis­sen ganz schön rumgewirbelt.

„Schön und gut, Missis Ambi, aber du hast ja gar keinen Auftrag. Der jetzt beendet sein dürfte.” Endlich hat auch Han­nes seine frisch gebackenen Mehlbällchen in der Hand, einge­wickelt in frisch bedrucktes, ungelesenes Zeitungspapier. In kaum drei Stunden geht sein Rückflug nach Moshi. Zu Essen be­kommt er erst spät in der Nacht wieder was. Ihn zieht es gleich­zeitig hin und weg. Ob er nicht lieber Abstand von diesem fas­zinierenden Vamp halten sollte?

Die beiden haben sich inzwischen auf der Böschung nieder­gelassen, einige Meter entfernt vom Mandazi-Stand. Ambi schlürft genüßlich an ihrem extra süßenTee. „Ich hab’ mir mal ange­sehen, wo dieses Mlakizi liegt. Gar nicht so weit von Njo­mbe, wo ich sowieso hinwill. Ich schreib über die Kin­der­mor­de, weißt du.”

„Eh, bäh. Du arbeitest als Journalistin? Wusste ich nicht genau.” Was nicht stimmte, natürlich hatte Hannes schon da­mals am Vic­toria­see mitbekommen, was Ambi trieb. Doch so klingt es vielleicht interessanter. Niemand mag Alleswisser. „Scheiß Thema. Tut rich­tig weh, wenn man davon hört. Gibt´s aber übrigens nicht nur da unten!”

Wewe ni Mjuaji! Das weiß ich auch. Aber diese Geschichte in Njo­mbe hat weltweit Schlagzeilen gemacht, da haben die sich so­gar bei den Vereinten Nationen drüber auf­geregt. Tansania steht im Scheinwerferlicht! Und die Regie­rung hält sich total bedeckt, tut wenig, um dieses schreckliche Verbrechen trans­parent aufzu­klären. Welche Strukturen ste­cken dahinter, wenn ein Dutzend Kinder einfach verschwin­den? Wenn kaum je­mand nach ihnen sucht? Kinder, die schließ­lich als zerstückelte Leichen in irgend­einem Wald wie­der auftau­chen! Zählt Kin­derleben etwa nichts? Nimmt die Po­li­zei Ver­misstenmeldungen bei uns überhaupt ernst? Gab es vielleicht gar kei­ne?” Ambi steckt hör­bar bereits länger im Thema. „Kennt sich denn nie­mand in den Dörfern da unten aus, wo Frauen nur des­halb rei­hen­weise als Hexen ver­brannt werden, weil sie rot geränderte Augen haben? Genau das Gleiche passiert auf meiner Heimat­insel Ukerewe! Weit weg, aber immer noch Tansania!”

Ambi hat sich derart in Rage geredet, dass die umstehenden Männer still geworden sind und ihr gebannt zuhören. „Jeder hat schon mal Rinderdung ins Feuer geschmissen, oder? Und? Wie schauen deine Augen danach aus, wenn du damit gekocht hast? Oh, sorry, du kochst ja nicht, bist ja ein Mann! Knallrot, Mann!” Die Journalistin hat bemerkt, dass sie ein kleines Audi­torium be­spielt, unter das sich auch ein paar Kolleginnen ge­mischt ha­ben. Da gehören Spitzen gegen die Herren der Welt unbedingt mit dazu.

Wichtiger aber scheint ihr der unausrottbare Aber­glaube: „Wie blöd muss man eigentlich sein, um daran zu glau­ben, dass hinter allem, was einem nicht passt, Hexerei steht? Dass Glück käuflich sei? Durch den Erwerb kindlicher Körperteile!” Nicht wenige Zuhörer wenden sich nun ab – hat sie sie er­reicht? Oder ertappt? „Ganz so, als hätten hundert Jahre Schule und Gottes­dienste schlichtweg nichts, aber auch gar nichts gebracht!”

„Na ja, Aberglauben kennen doch auch die Pfaffen”, wagt Hannes einzuwenden, der sofort unter Beschuss von verblie­be­nen Zuhörern gerät.

„Pass auf was du sagst!”, zischt ihm ein muskelbepackter junger Mann im ärmellosen T-Shirt so laut zu, dass jeder es hören kann.

„Wir glauben an Gott, den Vater, den All­mäch­tigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde”, dekla­miert ein wei­terer im schwarzen Business-Anzug und sofort fallen Umste­hende laut in das Bekenntnis ein: „Und an Jesus Christus, sei­nen ein­ge­borenen Sohn, unseren Herrn, em­pfan­gen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria ...” Als daraufhin von weiter hinten auch noch „Es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist sein Prophet!” schallt, packt Ambi Hannes an der Hand und nimmt mit ihm Reißaus.

„Feierabend!” Ambi hat Hannes Hand noch nicht wieder los­ge­lassen. Zügigen Schrittes entfernen sich die beiden stadt­einwärts. Am Relini Bus Stop steuert Han­nes auf die Bajajs zu, die dort auf Kunden warten. „Ambi, war nett dich wiederzu­treffen, aber mein Flieger ...”

„Geht doch erst um zwanzig vor zwei!”

„19.40 h, so steht´s auf dem Ticket, da hast du recht. Aber der Verkehr ...”

„Ist für ein Bajaj kein Problem! Sonst nimmste halt ein Boda­boda, die können richtig rasen. Dauert von hier aus höchstens eine halbe Stun­de.”

„Ich bin aber ...

„Nun lass doch mal dein doofes Aber weg, Hannes Wabaye aus Moshi! Lass uns lieber nochmal ein bisschen nachdenken und vielleicht auch ein bisschen schwelgen!” Mit sanfter Gewalt zieht Ambi den Detektiv auf ein kleines Straßencafè zu. „Komm, wir trinken noch einen Chai, ich lad dich ein!”

Selbst unter seinem dunklen Teint kann jeder sehen, wie knall­­rot Hannes plötzlich wird. „Schwelgen? In was denn? Ge­mein­samen Erinnerungen?”, stammelt er.

„Ja, vielleicht auch das! Doch erst lass uns mal zusammen nach­denken, wie wir deinen Auftrag und mein Interesse zu­sam­menbringen. Hab’ ich nicht so genau erzählt, oder? Ich will unbedingt da runter, in die Gegend der Morde, sehen, was die Behörden tun. Und berichten, wie es in den Dörfern aussieht. Mit den Hinterbliebenen sprechen ...”

„Mutig.” Hannes ist längst auf ihrer Seite.

„Nein, ich hoffe nicht, dass es dazu besonderen Mut braucht. Doch der Apparat mauert, ich krieg einfach keinen Auftrag. Niemand will mir bestätigen, dass die Story wichtig ist! Ohne Auf­trag aber müsste ich alles selbst bezahlen. Könnte natürlich sein, dass ich danach eine tolle Geschichte hab, ob die allerdings Geld bringt, ist offen. Deshalb ist mir das Risiko, einfach auf eigene Faust loszufahren, zu groß.”

„Könntest du denn einfach so weg? Wartet niemand zuhau­se?”

Ambi versteht sehr wohl, wohin der Mann aus Moshi gerade tickt. Aber sie denkt gar nicht daran, es ihm zu leicht zu ma­chen. „Zu­hause? Du meinst bei der Nation? Da kann ich jeder­zeit weg, bin ja sowas wie deren Starreporterin. Mit eigener Kredit­kar­te ...”

„Was ist das denn für ein Status?” Hannes kann´s nicht las­sen. „Verheiratet, verbandelt oder ledig oder was?”

„Wenn ich eine gute Story habe, kann ich machen was ich will. Nur bezahlen tut´s keiner.” Im Überhören ist Ambi geübt.

Hannes gibt nach. „Wozu dann die Kreditkarte?”

„Kann ich mit arbeiten, muss allerdings am Ende immer alles genau belegen. Ist ganz praktisch, wenn man sich im Land be­wegt. Doch jetzt noch mal zurück: Dein Petermann, dieser lan­ge Deutsche, hat von Hamburg aus angerufen, oder?”

„Ja, aber ...”

„Ey, junger Mann, kein Aber! Ich will mir vorstellen können, was der Typ bereit ist zu investieren in vernünftige Antwor­ten auf seine Fragen, klar?”

Sawa.” Hannes lässt vorerst los. „Da hat Honni schon vor­ge­ar­beitet. Die glaubt, dass da tatsächlich noch einiges mehr raus­zuholen ist.”

„Mehr als was?”

„Als die paar hundert Dollar, die Petermann mir für die erste Recherche hier und diesen Trip zahlt ...”

„Ruf ihn doch einfach an und sag´s ihm!”

„Häh? Jetzt?”

„Hier gibt´s WLAN, kein Problem.”

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