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6. Abendgymnastik

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Am gleichen Abend trifft sich Honorata in Dar zu ihrem wö­chent­lichen Bauch-Beine-Po-Workout mit Freundinnen an der Coco Beach. Die Sonne brennt nur noch schräg von hinten. In einer Viertelstunde wird es dunkel an Dar´s Stadtstrand, be­kannt für seinen traubenzuckerfeinen, blendend weißen Sand unter dem unfassbar gleichgültig herumliegenden Dreck der Millionenstadt.

Jedem zufälligen Besucher bietet sich ein prächtiges Bild: Zwei Dutzend Frauen mittleren Alters, nur eine von ihnen in Ge­fahr, grazil genannt zu werden, stehen an der Wasserkante des azurblauen Indischen Ozeans und tanzen sich zur Musik aus einem Ghettoblaster in Trance. Eine einzelne ragt lang und groß aus der Menge heraus, unübersehbar auch wegen ihres riesigen bun­ten Huts. Nackte Füße stampfen auf und ab, als woll­­ten sie dem glühend heißen Sand entkommen, der ober­halb der Wellen droht. Eine Kursleiterin ist weit und breit nicht in Sicht.

Viele der Frauen verdecken ihren Ganzkörper-Bade­an­zug unter einem farbenprächtig wallenden Kanga, dem tansa­ni­schen Allzwecktuch. Plötzlich stoppt die psychodelische Melo­die und wird übergangslos ersetzt von einem schnellen, nack­ten Trommelrhythmus. Die Frauengruppe löst sich auf, lässt Hut und Kangas fallen und stürzt sich als geschlossene Meute in die sanft an den Strand plätschernden Wellen des Meeres.

Es ist flach hier. Nur wenige Frauen trauen sich tiefer hinein ins Nass, nur wenige dürften schwimmen können. Abkühlung bringt ein solches Bad im 33 Grad warmen Ozean auch keine. Doch Spaß scheint es zu machen, zweifellos.

Fünf Minuten später sind die Badeanzüge wieder trocken. Die Sonne ist weg, und damit auch das Licht am Strand. Erste kleine Feuer lodern auf dem noch warmen Sand. Nur wenige Hauptstraßen sind jetzt noch beleuchtet, Straßen­la­ter­nen scheinen oft fast aus Prinzip defekt. Licht spen­den dann Werbe­tafeln, Schaufenster, Fassaden oder Au­toscheinwerfer. Tansa­nias größ­te Stadt verdüstert sich, kommt aber noch lange nicht zur Ruhe. Sie brodelt und rumort und wird mit jeder Minute mehr zur Stadt der Männer.

Am Rand des Strands warten vorbestellt vertrauenswürdige Fahrer mit ihren Bajajs, diesen genialen, überdachten Drei­rad­rikschas aus Pune in Indien, um die Frauen in die benach­barten Stadtteile zurück­zubringen. Nicht viele Frauen trauen sich, derart öffent­lich Sport zu trei­ben, selbst nicht in einer guten Gegend wie Oyster Bay, wo die Coco Beach liegt. Geschweige denn fahren sie danach freiwillig im Dun­keln im Kleinbus allein nach Hause. Ganze zwei der Bauch-Beine-Po-Athletinnen werden nicht ab­ge­holt.

Auf Honorata wartet sogar ein Auto. Leonardo, ihr Liebster, ist verlässlich zur Stelle. „Honney, mein Honigtäubchen, jetzt ma­chen wir uns einen richtig netten Abend, haki!?

„Erst fährst du bitte Nyanjige, Ambi, Christine und Rhobi nach Hause, das kennst du doch. Die Straßen sind nun Mal nachts nicht für uns gemacht.”

„Ja, wenn du nur nicht so wunderbar zarte Knöchel hättest ...”, neckt Leonardo.

„Wenn´s nur die Schlaglöcher wären ... Du weißt genau, was ich meine.”

Mit Leonardos Schrottkarre, die ihm seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer sichert, steht nun eine kleine Rundreise an. Jede Woche dauert sie ein bisschen länger. Ambis mit bunten Federn ge­schmück­ter Hut, groß wie ein Toilettendeckel, landet zur Si­cher­­heit im Kofferraum. „Überall Baustellen, immer mehr Au­tos!”, klagt Honoratas Freund jedes Mal. „Nur gut, dass die Re­gen­zeit auf sich warten lässt!” Manche Stadtteile sind dann tage­lang nur über riesige Umwege zu erreichen. Aber Honnis Freun­dinnen sicher nach Hause zu bringen, lässt sich Leonardo auch dann nie neh­men.

So sitzen die fünf Frauen und Leonardo noch eine ganze Zeit zusammen. „Diese Fahrt ist mehr wert als jedes After-Work-Mee­ting in einer Bar”, verkündet Nyanjige behaglich. Als lokale Fachkraft einer britischen NGO verdient sie zwar nur einen Bruch­teil des Gehalts ihrer europäischen Kolleginnen, geht aber trotzdem ab und zu nach Feierabend mit zu deren Tref­fen.

„Hast du dich ein einziges Mal gut unterhalten in so einem Schuppen? Unter all den Jerks?” Das war Christine, zuständig für deftige Sprache. Wie Honorata ist auch sie engagiert in der Lokalgruppe der TASUWORI, einer NGO gegen häus­liche Ge­walt und Frauenhandel. „Können sich ja sowieso nur Schlam­pen leisten, so ein Wabenzi-Meeting.”

„Vorsicht!”, warnt Nyanjige.

„Kaum biste draußen, lauern dir die Säcke dann zu­hau­se auf!”, ereifert sich jetzt auch Rhobi. „Viel zu viele Frauen erleben Gewalt bei uns! Lebst du allein mit den Kindern in einer schlechten Gegend, kannst du abends, wenn du von der Arbeit kommst, sicher sein, von besoffenen Kerlen belästigt, an­gemacht oder gar vergewaltigt zu werden. Die lun­gern über­all herum. Gegen deren Übergriffe hast du keine Chan­ce! Nya­njige, hast du nicht gerade erst sowas erlebt?”

Die Angesprochene, die sich gerade noch zurückhielt, braust auf: „Nicht mir, aber einer Freundin ist das schon mehrmals passiert. Jede Vergewaltigung ein neues Trauma. Jedes Mal auch die Angst, dass der Wichser sie mit Aids infiziert haben könnte. Warum sie nicht zur Polizei geht? Die Bullen würden doch gleich weiter­machen!”

„Immerhin gibt´s auf den meisten Wachen heute abgetrennte Räume und weibliche Sergeanten”, will Rhobi besänftigen. Als Sekretärin der ewigen Regierungspartei CCM in ihrem Viertel ist sie stets auf staatstragenden Ausgleich bedacht.

„Mädels, lasst mal kurz den Männerhass. Gibt ja auch ein paar nette, oder?” Demonstrativ tätschelt Honorata ihrem Fah­rer den Hals. Unbequem, doch liebevoll nah hat sie auf dem Schalt­tunnel von Leonardos alterndem Mitsubishi Platz gefun­den, links neben ihr die lange Ambi. Hinten quetschen Chris­tine, Rhobi und Nyanjige ihre wohlproportionierten Hüften an­einander.

„Heute hat mich Hannes, mein Neffe aus Moshi angerufen. Hannes, der Schnüffler”, platzt es aus Honorata jetzt heraus. Mit „Schnüff­ler” hat sie die Aufmerksamkeit der anderen sicher, selbst Leonardo schaut erstaunt nach links. „Der hat mal wieder einen Auf­trag von seinem deutschen Bekannten gekriegt. Diesem Typen, mit dem er vor ein paar Jahren den Skandal um die Bukoba-Fähre aufgedeckt hat ...”

„Hallo? Ohne mich hätten die da gar nichts aufgedeckt!”, mischt sich nun auch Ambi ein, deren Berichterstattung damals zum Sturz einer Staatssekretärin und anderer hoher Regie­rungs­be­amter geführt hatte. Ihre Reportagen über die Affäre hat­ten in­ternational Aufsehen erregt und ihr einen Kar­rie­re­sprung zum East African verschafft, für den sie mittlerweile seit einem guten Jahr arbeitet. Nicht länger versteckt in der Provinz, sondern in Dar es Salaam, Tansanias kommerzieller Hauptstadt. Wo sie natürlich bald auch Honorata ge­troffen hatte, mit der sie sich auf Anhieb blendend ver­stand.

Mag die Millionenmetropole Dar noch so viele Bewohner haben: Über drei Ecken miteinander Bekannte finden sich hier immer. Egal, ob sie sich brauchen, mögen oder hassen. Honorata Rwebusoya war nicht umsonst die Tante von Hannes Wabaye aus Moshi, der als Adlatus damals diesen Hamburger Jens Petermann bei der Suche nach des­sen Schulfreund be­glei­tet hatte, Ambis halbseidenen Ex-Ge­lieb­ten Gerd – also gehörte Honni, wie alle sie nennen, fast zu Ambis Fa­milie. Da lag das Kennenlernen nahe. Und jetzt Ambis Frage:

„Was will der Deutsche denn diesmal von deinem Hannes?”

„Oh, er hat eine ganz banale Frage. Ob irgend so ein Wai­sen­haus bei uns im Süden ehrlich arbeitet.”

„Ob die Kinder da gut aufgehoben, sicher sind?”, regt sich sofort Rhobi auf. „Das nennst du banal? Rassistisch ist das! Hängt doch bestimmt mit diesen scheiß Kindermorden bei Njo­mbe zusam­men! Zeigt den Wazungu mal wieder, wie wahnsinnig und unfähig wir alle hier sind! Dabei hat die Polizei schon 65 Hexer ver­haftet! Fünfundsechzig!”

„Die Geschichte da unten in Njombe stinkt trotzdem zum Himmel, ich bin da dran, Rhobi! Aber nun lass Honni doch erst mal erzäh­len!” Das war wieder Ambi. Die beiden würden keine Freun­dinnen je werden. Dafür war Ambis Beruf einfach zu weit ent­fernt von regierungsfrommer Rhetorik. Im abgelegenen Mwanza am Victoriasee, wo Ambi zwan­zig Jahre lang Radio gemacht hatte, war sie berüch­tigt ge­wesen für ihre Furchtlosigkeit beim Befragen hoch­ge­stell­ter Funk­tionäre und Sicherheitsleute. Als Reporterin des East Afri­can, einer Wochenzeitung, die sich nicht immer mit Verlautba­rungs­kram zufriedengibt, nahm sie sich diese Frei­heit heute erst recht heraus. In Dar allerdings hatte sie schnell ge­lernt, dass die Sitten hier rauer waren. Diese Stadt, seit nahe­zu fünfzig Jahren 500 Kilometer weit weg von der offiziellen Hauptstadt, doch immer noch die bei weitem größ­te und wirt­schaftlich mit Ab­stand bedeutendste Metropole im Land, beherbergte nach wie vor fast sämtliche Re­gie­rungs­ver­tre­ter und so auch den größten Staats­sicherheits­appa­rat des Landes. Da bleibt wenig unbemerkt.

Als Leonardo Nvanjige vor ihrem Haus in der Manara Street aussteigen lässt, ist die Stimmung unter den Frauen auf dem Tiefpunkt. Beim Weiterfahren greift Honorata dann Ambis Auffor­derung auf und fährt mit ihrem Bericht fort. „Da gibt es gar nicht mehr viel zu erzählen. Hannes hat mir eine PDF des Pro­spekts vom Waisenheim geschickt. Nennt sich Mlakizi Foun­dation und wirbt mit der Zukunft. Der Deutsche, dieser Petermann, will wissen, ob die seriös sind.”

„Hat Hannes was gesagt, warum die in Deutschland daran zweifeln? Wo genau liegt dieses Mlakizi denn eigentlich?”

„Laut Google Maps wahrscheinlich irgendwo am Songwe, dem Grenzfluss zu Malawi. Hinter Tukuyu. Nee, zum Grund der Zweifel kein Wort bisher.”

„Das interessiert mich aber! Bin ja, wie gesagt, auch an den Njombe-Morden dran”, beharrt Ambi.

„Das liegt doch ganz woanders, mindestens einen Tag weit weg!”, wirft Rhobi ein.

Doch die Journalistin bleibt dran. „Egal, vielleicht lässt sich da was draus machen. – Honni, wir könnten doch auch Deinen Ex-Arbeitgeber bei Safety First, fragen ... Ob die vielleicht was über das Waisenhaus wis­sen?”

„Karsten Härtling? Lieber nicht, das kostet ...” Honorata hat keine angenehmen Erinnerungen an die Firma, für deren Chef sie jahrelang als Bürohilfe gearbeitet hat. Der Mann – einer der einflussreichsten Sicherheitsberater im Lande, der gut an der Hilfe mitverdiente, die Deutschland der tansanischen Polizei im Kampf gegen Terrorismus, Piraterie und organisierte Krimina­li­tät zukommen lässt – hatte Honorata zusammen mit seiner Frau Anna jahrelang sexuelle Avancen gemacht. Anfangs hatte sie das ganz schmeichelhaft gefunden. Am Ende aber konn­te sie sich der Anmache nur durch ihre Kündigung ent­ziehen. „Solche Jobs gibt´s nicht nochmal!”, hatte Hannes da­mals ge­warnt, dem sie nie erzählen mochte, was sich hinter den Wän­den des Härtlingschen Hauses abspielte.

„Wenn das so ist ...”, sagt Ambi mitfühlend. „Ich kann ja auch meine Beziehun­gen spie­len lassen ... Frag doch mal bei deinem Hannes nach, ob nicht vielleicht sogar ´ne Reise in den Süden drin wär´!”

Investigativen Journalismus, wie Ambi ihn aus europäischen Medien kennt, gibt es in ihrem Heimatland nicht wirklich. Sie aber fühlt sich da­von angezogen. Normalerweise würde Ambis Chef ihr vor je­der Recherche empfehlen, sich von einem hohen Regie­rungs­vertreter ein passendes Zitat zu besorgen, aus dem her­vor­geht, dass die Recherche eine gute Idee ist. Darauf könne man sich später beziehen, wenn einem irgend­welche ominö­sen Gesetzesverstöße oder auch nur ein Verletzen „ethischer Nor­men” vorgeworfen werden. Wer sich nicht auf irgendeinen wich­tigen Funktionär berufen kann, wird schnell von der einen oder anderen Lokalgröße abgebügelt und behindert. Fest steht: Ohne eine Empfehlung aus dem Innen- oder wenigstens Fa­mi­lien­ministerium würde der Redaktionsleiter ihr keine Rei­se in den Süden bezahlen, ganz gleich, wie brisant das Thema war.

„Seit Tagen krieg ich keinen dieser Regierungsfuzzis zu fas­sen, der mir bestätigt, dass die Njombe-Killings eine Nachfrage verdient haben”, fährt Ambi fort. „Zwölf ermordete Kinder, La­dies! Und niemand will zugeben, dass es da Fragen gibt! Was zur Hölle hat die Re­gie­rung denn zu verbergen?”

„Zwölf? Ich weiß nur was von zehn”, maunzt Rhobi dazwi­schen.

Da aber hat Leonardo nun auch Ambis Zuhause in Mwenge erreicht. „Wir bleiben in Verbindung, sivyo!?

„Nicht ohne mei­nen Hut!”, lacht die große, aufsehenerre­gend gut gebaute Frau und knallt den Kofferraum zu.

Der Transport der letzten beiden Mitfahrerinnen Rhobi und Christi­ne verläuft betont harmo­nisch. Kurz danach erreichen zwei sich Lie­ben­de endlich Honnis kleines Apartment hinter der Coca Cola Road.

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